Crashtests belegen: Schlaufengurte im Flugzeug sind eine tödliche Gefahr für die kleinsten Passagiere.

Stuttgart - Wenn es um die Sicherheit ihrer Kinder geht, verstehen Eltern keinen Spaß. Zum Fahrrad- oder Skifahren wird ein Helm aufgesetzt. Inlineskaten geht nur mit Schutzausrüstung für Knie, Ellenbogen und Handgelenke. Bei Flugreisen jedoch blenden viele Urlauber aus, dass über den Wolken Gefahren für ihren Nachwuchs bestehen.

Vor allem Kleinkinder unter zwei Jahren sind betroffen. Sie sitzen an Bord auf dem Schoß von Mama oder Papa, manchmal nur durch deren haltende Arme gesichert. Viele Eltern nehmen diese für alle Beteiligten unbequeme Variante in Kauf, schließlich reist ein Baby so kostenlos mit. Für das eingesparte Geld jedoch bezahlt man unter Umständen einen hohen Preis. Falls im Flieger Turbulenzen auftreten, sind die Kleinsten in großer Gefahr. Die dabei in der Kabine wirkenden Kräfte betragen laut Tüv Rheinland bis zu sechs g (das Sechsfache der Erdbeschleunigung), bei Notlandungen 16 g. "Ein elf Kilogramm schweres Kind wird dadurch zu einem fast 180 Kilogramm schweren Geschoss. Die Eltern können es nicht halten", heißt es in einem Crashtestbericht.

Im Juli 2008 wurde daher der Loopbelt eingeführt, ein am Beckengurt der Eltern befestigter Schlaufengurt. Die Europäische Union wollte mit der Verordnung namens EU-OPS für mehr Sicherheit an Bord sorgen. Böse Zungen sagen: Das tut sie aber hauptsächlich, indem sie Mitreisende vor herumfliegenden Babys schützt. Sicherheitsexperten halten die Tandemgurtkonstruktion für eine tödliche Falle für die kleinen Passagiere.

Dummy-Versuche des Tüv Rheinland zeigen: Bei einem Crash werden die Insassen mit voller Wucht nach vorne geschleudert und die Kinder durch eine Art Klappmessereffekt von ihren Eltern regelrecht zerdrückt. "Das Kind wird im Notfall zum natürlichen Airbag für den Erwachsenen", erklärt Martin Sperber vom Tüv Rheinland. Zudem schneidet der Loopbelt in den weichen Unterleib der Kleinen, schwere innere Verletzungen sind die Folge.

Kurios: Man weiß schon lange von diesen Gefahren. 1994 hat der Tüv Rheinland erstmals darauf hingewiesen, ab 1998 war das System in deutschen Maschinen nicht mehr erlaubt. "Der Loopbelt ist in den USA und in Kanada bis heute verboten", so der Tüv. Dennoch wurde er 2008 europaweit Vorschrift - zum Ärger der Sicherheitsexperten und des Kabinenpersonals.

Auf einem Kindersitz fürs Auto fliegen Kinder sicher - brauchen dann aber einen eigenen Sitzplatz

Die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (Ufo) hält die Verordnung für eine "schwere Fehlentscheidung": "Hier hat sich aus rein wirtschaftlichen Gründen eine Airline-Lobby auf der EU-Ebene positioniert", heißt es in einem offenen Brief an Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Denn ein Kind im Kindersitz benötigt einen eigenen Platz - für den man nur etwa 50 Prozent dessen verlangen kann, was ein Erwachsener bezahlt hätte. "Auch Kleinkinder haben das Recht auf bestmögliche Sicherheit an Bord von Verkehrsflugzeugen.

Warum sollen im Luftverkehr andere Sicherheitsvorschriften als im Straßenverkehr gelten?", fragt Ufo-Vorstandsmitglied Ulrich Riedmiller. Minister Tiefensee sieht das ähnlich und hat sich dafür eingesetzt, dass die Maßnahme bei der EU nochmals überprüft wird. "Wir möchten die Doppelbelegung zugunsten eines eigenen Sitzplatzes für jedes Kind abschaffen", sagt ein Sprecher des Ministeriums. Auch für das Luftfahrtbundesamt (LBA) bleibt es "oberstes Ziel, für Kleinkinder in Flugzeugen dasselbe Sicherheitsniveau wie für Erwachsene zu erreichen", so Hans-Henning Mühlke, Abteilungsleiter beim LBA.

"Wir empfehlen Eltern, die auf Nummer sicher gehen wollen, auf Flugreisen einen Kinderautositz zu nutzen", sagt Martin Sperber. Für das Kind muss dann ein eigener Sitzplatz gebucht, bezahlt und der oft unhandliche Kindersitz in Eigenregie zum Gate geschafft werden. Wichtig zu wissen: Nur wenige Kindersitze werden von den Airlines akzeptiert, denn die meisten sind auf die Befestigung im Auto mit einem Dreipunktgurt ausgelegt. In Flugzeugen gibt es jedoch nur Beckengurte.

"Wegen der Vielfalt der in Flugzeugen installierten Fluggastsitze, der unterschiedlichen Gurtsysteme, Gurtverankerungspunkte und Sitzanordnungen" bereite das Befestigen eines Kindersitzes enorme Probleme, so das LBA. Seit vergangenem Sommer läuft ein Qualifizierungsverfahren des Tüv Rheinland. Die Kölner Experten testen dabei, ob ein Kindersitz überhaupt für den Einsatz über den Wolken geeignet ist - und wenn ja, auf welchen Flugzeugsessel er passt und wo er in der Kabine am besten platziert werden sollte. Auch das Bordpersonal wird geschult.

Air Berlin, Condor, LTU, Tuifly sowie Atlasjet haben das freiwillige Prozedere durchlaufen und bieten seither auf Vorbestellung geeignete Plätze an. Sicherheitsexperte Sperber rät Eltern, vor Buchung einer Reise nach Kindersitzen zu fragen und Interesse am Thema Sicherheit zu zeigen. "Dann wird sich auch etwas entwickeln", sagt der 48-Jährige, selbst Vater zweier Kinder.

Eltern stehen jedoch manchmal vor unvorhergesehenen Hindernissen, wie Erfahrungsberichte im Internet zeigen. Da passt dann der angemeldete Kindersitz nicht durch das Durchleuchtungsgerät am Flughafen, muss am Sperrgepäckschalter abgefertigt und doch als Gepäck aufgegeben werden. Erfahrene Flugbegleiter raten daher, mit einem Kind erst dann zu fliegen, wenn es mehr als 1,25 Meter misst. Ab dieser Körpergröße, die viele Sechsjährige schon erreichen, reicht der Standardbeckengurt aus.