Das Bild von den drei Linden hat Paul Zinßer geschenkt bekommen. Foto: Karin Ait Atmane

Paul Zinßer unterhält sich mit Vorliebe über „alte Zeiten“. Er sammelt und dokumentiert auch die Erinnerungen anderer – zum Beispiel beim Fleckatreff.

Wenn Menschen zusammenkommen, erzählen und diskutieren – das ist für Paul Zinßer das Größte. Der Ur-Hochdorfer ergreift solche Gelegenheiten, wo sie sich bieten. Manchmal schafft er sie auch selbst, zum Beispiel mit dem „Fleckatreff“: In diesem Rahmen kommen interessierte Bürgerinnen und Bürger zusammen und tauschen sich zu einem ortsgeschichtlichen Thema aus. Zinßer organisiert das und freut sich jedes Mal sehr auf die Erinnerungen und Erzählungen aus dem Kreis der manchmal um die 100 Teilnehmer.

 

Es war im Jahr 2012. Beim Mostfest des Obst- und Gartenbauvereins entspann sich unter den älteren Hochdorfern, Männern wie Frauen, ein Gespräch über vergangene Zeiten. Jeder konnte etwas beisteuern, Erinnerungen wurden wach und der Kreis wurde immer größer. „Das ist über zwei Stunden gegangen, den ganzen Frühschoppen lang“, erinnert sich Paul Zinßer, der großen Spaß an dem lebhaften Austausch hatte. Am Ende stand wie so oft die Erkenntnis, dass man so etwas eigentlich öfter mal tun sollte. Und in diesem Fall gab es einen, der Nägel mit Köpfen machte und die Sache in die Hand nahm: Seitdem lädt Zinßer zum Fleckatreff ein, meistens vier Mal im Jahr. Von der dörflichen Wasserversorgung, die beim ersten Termin auf dem Plan stand, über Wildtiere, Hochwasser oder das bäuerliche Leben von einst bis hin zu aktuellen Themen reicht die Palette.

Aus Erzählungen wird ein Buch

Im Januar kamen mehr als 100 Interessierte zusammen, um Abschied von der alten Schmiede in Hochdorf zu nehmen. Es sind nicht immer ganz so viele, aber 70 bis 90 Männer und Frauen fänden sich in der Regel schon ein, sagt der Organisator. Besonders freut er sich über die Über-90-Jährigen, die dabei sind. „Die haben ein Wissen, das würde ein Lexikon füllen“, sagt er. Damit dieser Schatz nicht verloren geht, schreibt er im Nachgang zu den Treffen auf, was erzählt wurde. Und wenn alte Bilder mitgebracht werden, fotografiert er sie direkt ab und versucht, die Namen der Abgebildeten herauszufinden. Aus all dem Material soll einmal ein Buch entstehen, das schon in Arbeit ist.

Paul Zinßer organisiert die Treffen und bereitet immer eine Präsentation zum jeweiligen Thema vor. Lebendig wird das Ganze aber erst durch die Erinnerungen aller. „Wenn ich der Alleinunterhalter wäre, würde ich es schon lange nicht mehr machen“, sagt er.

Die Freude an Geschichten und an der Kommunikation war dem Hochdorfer vielleicht nicht in die Wiege, aber mindestens in die Kinderschuhe gelegt. Er wuchs in der elterlichen Zinßer-Mühle am Talbach auf und verbrachte viel Zeit mit den Kindern aus den nahe gelegenen Baracken, wo Heimatvertriebene und Geflüchtete aus den vormals deutschen Ostgebieten lebten Alle spielten und kickten miteinander, näherten sich sprachlich und kulturell an. Daran hatte er damals schon Freude, eine wunderbare Kindheit sei das gewesen, sagt der 85-Jährige.

Integration im Fußballteam

Über Joschi, einen Freund aus diesem Kreis, kam er zum Fußball im Verein, kickte aktiv, war Trainer und Jugendleiter und schließlich Gründer der Hochdorfer Kicker, die abseits irgendwelcher Ligen einfach nur zum Spaß spielen. Sie integrierten in den 90er-Jahren Kriegsgeflüchtete aus dem Kosovo, von denen manche heute noch im Ort leben. „Das ist richtig freundschaftlich, das tut gut“, sagt Zinßer. Er hat ein ähnliches Modell ein zweites Mal mit ganzem Engagement gelebt: Als 2015 die große Flüchtlingswelle kam, wurde er aktiv und gründete im „Bergdorf“ ein Fußballteam. Diesen Straßenfußballern aus Gambia habe er zwar fußballerisch nichts beibringen können, sagt er selbst. Aber viele von ihnen lebten die ganze Woche aufs Training zu und fanden darin Halt und Anerkennung.

Paul Zinßer war und ist auch Mitglied in weiteren Vereinen und hat sich nie um Aufgaben und Ämter gedrückt. Im Gesangverein und bei der Feuerwehr war er lange aktiv. Dem Gemeinderat gehörte er für die CDU 20 Jahre lang an, zehn davon war er stellvertretender Bürgermeister. Und so gerne Paul Zinßer in seinem Beruf als Konstrukteur Neues entdeckte, so wenig hat es in aus seinem Heimatdorf fortgezogen. Hier ist er vernetzt und verwurzelt im besten Sinn. Wenn er zum Fleckatreff einlädt, wirft er all jenen, die keine E-Mails nutzen, die Einladung persönlich in den Briefkasten. Dafür marschiert er gern einmal ums Dorf und bis zu den Aussiedlerhöfen.

Geschichte zu Fuß und mit Bildern

Nächster Termin
Der nächste „Fleckatreff“ findet im Rahmen des Musikfestes am Montag, 26. Mai, statt. Man trifft sich um 15 Uhr am Festzelt, um an einem gemütlichen Ort über verschiedene Themen der Ortsgeschichte zu sprechen, wobei auch eine Überraschung eingeplant ist. Rechtzeitig zum offiziellen Festbeginn geht es dann an die reservierten Tische im Zelt des Musikvereins.

Symbolträchtige Bäume
Auch das Bild, das Paul Zinßer auf unserem Foto anschaut, hat eine Geschichte und mit dem Fleckatreff zu tun. Gemalt und signiert hat es 1937 der Hochdorfer Karl Schmid, der einen besonderen Bezug zu den drei abgebildeten Linden hatte: Er hatte sie einige Jahre vorher als Wappensymbol für die Gemeinde vorgeschlagen. Damit wurden sie zum Wahrzeichen Hochdorfs. Schmid selbst ist 1944 im Krieg gefallen, sein Sohn Gunter Schmid hat das Werk Paul Zinßer geschenkt, als Anerkennung für die langjährige Organisation des Fleckatreffs. Zinßer wiederum möchte, dass das Bild später einen Ehrenplatz im Hochdorfer Rathaus bekommt.