Die Stromversorgung ist vielerorts aus Mühlen entstanden: Die Familie Ensinger aus Owen erzeugt schon seit 1901 mit der Wasserkraft des Flüsschens Lauter Elektrizität. Foto:  

Stromversorger sind Konzerne. Oder? Nein, viele von ihnen sind eher klein. Ganz besonders klein ist das Elektrizitätswerk im Städtchen Owen. Hier ticken die Uhren anders.

Owen - Im Städtchen Owen am Fuße der schwäbischen Alb ticken die Uhren anders. Wer hier Strom braucht, muss nicht lange im Internet suchen, denn Strom gibt’s auch im kleinen Mühlenladen im Ortskern. Hier dröhnen die Mahlstühle aus dem Nachbarraum, und es duftet nach Getreide. Es gibt Mehl, Bio-Korinthen, Vollkornnudeln, Atlantiksalz – und Stromverträge. Und wer in Owen am Samstagabend Fußball schauen möchte, aber einen Kurzschluss im Haus hat, klingelt bei Christian Ensinger – der hat immer eine 16-Ampere-Sicherung da. Er hilft auch gerne, wenn der Untermieter ausgezogen ist. Man muss den 36-Jährigen nur auf der Straße ansprechen, schon ist das Thema Abschlagssenkung erledigt.

Onlineformulare, Callcenter oder anonyme Mitarbeiter sind am Fuße der Burg Teck für Stromkunden kein Thema – im Gegenteil: mit ihrem Versorger sind die Owener in der Regel per Du. Denn für Owen ist eines der kleinsten Energieunternehmen Deutschlands zuständig: Auf dem Briefkopf nennt es sich kurz EWO für Elektrizitätswerk Owen, doch das sagt kein Mensch. Die Leute sprechen nur vom „Ensinger“ – so lautet der Name der Inhaberfamilie. „Lang’ nicht in die Steckdose, sonst kommt der Ensinger raus!“, sagt man hier zu den Kindern. Auf dem Dachboden des Firmensitzes, der eher wie ein Handwerksbetrieb aussieht, ist das Lager des Familienbetriebs: Hier liegen Isolatoren, Zählerkästen, Kabel, Straßenlaternen und Traversen. In der Ecke stehen Transformatoren zum Umspannen zwischen verschiedenen Stromstärken. Die Ensingers unterhalten das Stromnetz in Owen, sie besitzen und betreiben die Straßenbeleuchtung am Ort, und sie bieten Strom an. 13,5 Millionen Kilowattstunden liefert der winzige Versorger jährlich an seine Kunden. Die EnBW setzt in nur einer Stunde das Zehnfache ab.

Alle helfen überall – egal ob in der Mühle, am Wehr oder im Kabelgraben

Kunden des EWO sind ausschließlich die 3500 Seelen Owens. „Es sind 3508“, korrigiert Christian Ensinger. Der Wirtschaftsingenieur weiß es genau, denn er sitzt auch im Gemeinderat. So, wie sein Onkel Christoph vor ihm. Beide arbeiten gemeinsam mit Ursula Flad, Schwester von Christoph und Mutter von Christian, für das winzige E-Werk. Die Geschwister – sie ist Müllermeisterin und Handelsfachwirtin, er Elektroingenieur – fungieren als Geschäftsführer. Ein Mitarbeiter hilft überall, wo es klemmt – egal ob in der Mühle, am Wehr oder im Kabelgraben. Ein paar Frauen schaffen abwechselnd im Laden. Das war’s.

So wie in Owen ist vielerorts die Stromversorgung entstanden

Die Mühle ist die Keimzelle des Betriebs. 1883 ist sie von Ursulas Flads Urgroßvater Christof Ensinger gegründet worden. Seit 1901 erzeugt die Familie mit der Wasserkraft des Flüsschens Lauter auch Strom – zuerst fürs Rathaus, später für ganz Owen. Eine typische Geschichte aus der Historie der Stromversorgung: sie ist vielerorts aus Mühlen entstanden. In Owen, das hören Ensingers immer wieder im Ort, erinnern sich die Leute auch noch daran, dass Mitglieder aus der eigenen Familie dabei geholfen haben, Gräben auszuheben oder Masten zu stellen. „Wir sind hier tief verwurzelt“, sagt Ursula Flad.

Sie selbst und ihr Bruder lernten schon als Kinder, Verantwortung im Unternehmen zu übernehmen – nach dem frühen Tod des Vaters 1973 blieb nichts anderes übrig. Die Mutter der damals 13-jährigen Ursula und des 12-jährigen Christoph machte mit zwei Mitarbeitern weiter. Auch das hat die Familie ans Unternehmen geschweißt und sie auch dann nicht an der Wasserkraft zweifeln lassen, als „der Unterhalt der Kanäle mehr kostete als der Stromverkauf an Erlösen einbrachte“, so Ursula Flad.

Immer wieder Avancen vom großen Bruder

Ensingers sind auch nicht in Zweifel geraten, wenn der große Bruder immer wieder Avancen machte – erst die Neckarwerke, dann die NWS, später dann die EnBW. „Es gab freundliche Versuche, uns zu übernehmen und wüste“, sagt Christoph Ensinger. Zwischenzeitlich traf man sich gar vor Gericht, weil die Römer von der NWS als vorgelagerter Netzbetreiber die Gallier in Owen über die Netzentgelte in die Knie zwingen wollten. „Das waren unschöne Zeiten“, sagt Christoph Ensinger und seine Schwester nickt: „Das hat uns viele graue Haare beschert.“ Die Einigung, die im Zuge eines Vergleichs vor dem Oberlandesgericht entstand, gilt heute für ähnliche Fälle im ganzen Land.

Bis heute betreiben Ensingers Wasserkraftturbinen an der Lauter – zwei gehören ihnen selbst, vier weitere sind dazu gepachtet. Ein Siebtel des Stroms, den Ensingers in Owen verkaufen, produzieren sie auf diese Weise selbst. Den Rest kaufen sie zu – seit Januar ausschließlich zertifizierten Ökostrom. Der Preis für die Kunden ist dadurch nicht gestiegen. Das ist er – soweit es die Preisbestandteile betrifft, die Ensingers beeinflussen – seit 2013 nicht mehr, wie die Familie betont. Und er ist durchaus konkurrenzfähig, obwohl alle in Owen, die beim Ensinger Kunde sind, ein- und denselben Tarif bekommen – egal ob sie Neukunden sind, „schon beim Opa Kunden waren“ oder vom EWO versorgt werden, weil der eigene, frei gewählte Anbieter pleite gegangen ist. Dann haben Kunden den sogenannten Grundversorgungstarif, der eigentlich als schlechte Wahl unter Verbraucherschützern gilt, weil er meist teuer ist. Doch ein teurer Grundversorgungstarif im Stammgebiet und Schnäppchenpreise außerhalb des eigenen Netzes, wie es bei vielen Anbietern üblich ist, ist für Ursula Flad undenkbar. Neukunden-Boni? Gibt es nicht in Owen. Lange Kündigungszeiten? Nein, denn in der Grundversorgung schreibt das Gesetz die Kündigungsfrist vor: zwei Wochen.

Die Bürokratie frustriert häuftig

Dennoch ist der Betrieb eines solchen Miniversorgers nicht immer ein Zuckerschlecken. Die Energiewirtschaft ist ein politisch scharf überwachter und regulierter Markt, an dessen Bedingungen sich ständig etwas ändert. Selbst das sogenannte Unbundling – die strenge Trennung von Netz und Vertrieb bei Strom- und Gasversorgern – gilt für Ensingers. Netzchef ist Christoph Ensinger, Vertriebschefin Ursula Flad. Die Kommunikation zwischen den beiden Unternehmensbereichen läuft streng über E-Mail. Und Ensinger beteuert, dass es ihm nie einfallen würde, Zugezogenen, deren Netzanschluss er erledigt, das eigene Unternehmen als Versorger zu empfehlen: „Wenn ich gefragt werde, sage ich nur: Sie können den Strom bei jedem Händler kaufen – auch bei uns.“ Das ist die Owener Variante des Brüssler Fachterminus Diskriminierungsfreiheit. Trotzdem landen die meisten beim Ensinger – nur zwei bis zweieinhalb Prozent der Haushalte, schätzt Flad, sind nicht ihre Kunden.

Streng zwischen Netz und Vertrieb zu trennen, ist nur eine Anforderung, die ein winziger Versorger genauso erfüllen muss wie ein Konzern. Hinzu kommen unendlich viele Berichtspflichten und Regeln. „Ich bin von sieben bis sieben mit Bürokratie ausgelastet“, sagt Flad und schiebt wenig später nach: „Den Moment, wo man alles hinschmeißen will, gibt’s immer wieder.“ Kurz schweigen alle drei. Dann sagt Christian: „Aber am nächsten Morgen geht’s halt trotzdem weiter.“ Und alle nicken dazu.