Ein Grund für Klagen: Die Stadt will per Bebauungspla hochwertige Nutzungen für ihre Gewerbegebiete erzwingen. Foto: /Frank Eppler

Gleich mehrere Firmen liegen aus unterschiedlichen Gründen mit der Stadt Weinstadt in gerichtlichem Clinch. Da stehe, sagt der Oberbürgermeister, meist das Einzelinteresse von Bauherren oder Investoren gegen das kommunale Gemeininteresse.

Weinstadt - Alles nur Zufall? Gleich mehrere gerichtliche Klagen von Unternehmern sind gegen die Stadt Weinstadt anhängig. „Die Stadt Weinstadt setzt momentan sehr viele große Projekte mit nachhaltigen und weitreichenden Auswirkungen im gesamten Stadtgebiet um“, sagt Oberbürgermeister Michael Scharmann. Dabei spielten Themen wie Wohnungsnot, Nachverdichtung und Ausbau der Bildungs- und Betreuungsangebote eine zentrale Rolle. Stadt und Gemeinderat seien dabei verpflichtet, das Wohl aller Weinstädter zu vertreten – auch gegenüber Einzelinteressen beziehungsweise Investoren, deren Projekte oft auf Gewinnmaximierung ausgerichtet seien und manches Mal zu Lasten der Allgemeinheit gingen.

Zank wegen Lärmschutz

Da wäre zunächst die Auseinandersetzung mit der Gärtnerei Hayler Begonien. Inhaber Simon Hayler fürchtet wegen des Endersbacher Neubaugebiets Halde V neben seinem Betrieb um dessen Existenz. Es geht um das Thema Lärmschutz im Bebauungsplan. So hat Hayler mehrfach darauf hingewiesen, dass seine Gärtnerei ihre Pflanzen in den frühen Morgenstunden ausliefern müsse, der Plan aber die Betriebszeiten auf 6 bis 22 Uhr beschränke. Die Stadt hält entgegen, dass eine Nachtanlieferung nie beantragt und auch nicht genehmigt worden sei. Zudem habe Hayler bei der Ansiedlung seines Betriebs von den Wohnbauplänen gewusst. Mit einem Normenkontrollantrag beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim geht Hayler nun gegen den Bebauungsplan vor.

Wann es zu einer Entscheidung des Gerichts kommt, ist momentan völlig offen. Ein Termin für die Verhandlung sei nicht absehbar, teilt der VGH-Sprecher Rüdiger Albrecht mit. Derweil sind die Erschließungsarbeiten nach Angaben der Stadt fast fertig, Grundstückskäufer können Bauanträge stellen. Wann die ersten Bauarbeiten starten sei noch nicht bekannt – aber: „Die Stadt unterstützt die privaten Bauherren dabei, ihre Vorhaben zeitnah umsetzen zu können.“

Die Stadt hat eigene Pläne

Ebenfalls nicht absehbar ist, wann es in einem anderen Rechtsstreit zu einer Entscheidung kommt. Dabei geht es um den Bau von Garagen und Ladesäulen für Elektroautos auf einem ehemaligen Bahngrundstück an der Schorndorfer Straße in Endersbach. „Das ist noch ein ganz junges Verfahren für uns“, sagt Ulrike Zeitler, die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Stuttgart. Am 28. Oktober sei die Klage eingegangen. Damit war der Antragsteller mit seiner Klage schneller bei der Hand als die Stadt mit der Entscheidung über die Pläne. Am 12. Dezember lehnte der Gemeinderat den Garagenbau samt Werbeanlage ab. Der Grund: Laut Bebauungsplan liegt das Grundstück in einem nicht überbaubaren Bereich. Auch ein zweiter Antrag für eine Aufstellfläche für 30 Autos statt der Garagen stieß auf Ablehnung. Sie sei als gewerbliche Fläche im allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig.

Laut einer aktuellen Stellungnahme will die Stadt die gesamte Schorndorfer Straße mit Bäumen und anderem Grün „klimatologisch und ökologisch“ aufwerten, um die Lebensbedingungen im Ort zu verbessern. Dabei spiele der bisherige Grünstreifen eine bedeutende Rolle. „Das Kfz-Garagenkonzept mit E-Tankstellen-Verkehr an der Schorndorfer Straße in Endersbach steht einer zukunftsfähigen Mobilitätsplanung der Stadt im Wege“, erklärt dazu das Stadtplanungsamt. So würde der Verkehr von und zu Garagen und Ladesäulen Fußgänger und Radler auf dem Weg daneben gefährden. Genau dort verlaufen überdies die Planvarianten für eine Radschnellverbindung zwischen Schorndorf und Fellbach. Daher begrüße man das Bauvorhaben zwar grundsätzlich, aber nicht am Standort, so die Verwaltung.

Betrieb untersagt

Den Plänen Weinstadts im Weg ist offenbar auch eine Recyclingfirma im Endersbacher Gewerbegebiet Benedikt-Aucht-Wiesen, die sich ebenfalls gerichtlich wehrt. „Die Zulassung eines Recyclingunternehmens würde die städtebaulich angestrebte Neuordnung und Entwicklung im Plangebiet verhindern“, nimmt die Stadtverwaltung Stellung. Aktuell ist man nämlich dabei, den Bebauungsplan für das 1967 entstandene Gewerbegebiet zu ändern, um weg von „Schmuddelnutzungen“ zu kommen. Denn dort sei generell „eine schleichende defizitäre städtebauliche Entwicklung“ erkennbar. Indem man die Nutzungen künftig stärker beschränkt, will man dem entgegenwirken. Lagerplätze, bewirtschaftete Parkplätze und Parkhäuser, Spielhallen, Kleintierkrematorien und Firmen, die für mehr Verkehr sorgen, wie Fuhr-, und Busunternehmen sollen nicht zulässig sein.

Bereits ansässige Betriebe haben zwar Bestandsschutz, aber das Recyclingunternehmen kann für seinen Betrieb keine so genannte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorweisen. Den Antrag darauf hat das Landratsamt 2018 abgelehnt. Weil das Grundstück ohne die erforderliche Genehmigung genutzt werde, habe man nach ergebnislosen Gesprächen mit dem Eigentümer die rechtswidrige Nutzung untersagt, erklärt die Stadtverwaltung. Mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Stuttgart versucht die Firma nun, die Vollstreckung abzuwenden. Am 16. Dezember 2019 sei dieser eingegangen, bestätigt die Gerichtssprecherin Zeitler. Zudem habe die Firma am 15. Juli vorigen Jahres gegen die Ablehnung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Klage erhoben. Über beides sei noch nicht entschieden.

Individualismus als Ursache?

„In den allermeisten Fällen können, gemeinsam mit möglichen Investoren, Lösungen gefunden werden, um Projekte zu realisieren“, erklärt Scharmann. „In letzter Zeit mehren sich jedoch die Fälle, in denen Investoren konkrete Projekte durchsetzen wollen, ohne vorher mit der Stadt Kontakt aufzunehmen, ob diese baurechtlich oder stadtplanerisch überhaupt möglich sind.“ Würden diese abgelehnt, werde oft sofort ohne zu zögern der Rechtsweg beschritten. Die scheinbare Häufung an Auseinandersetzungen gehe zudem auf tief greifenden Veränderungen der Gesellschaft zurück, in der Individualismus immer mehr zunehme. „Dies hat nicht selten zur Folge, dass einzelne Menschen der Meinung sind, die allgemeinen Regeln einer solidarischen Gemeinschaft, aber auch die Regeln des Bau- und Planungsrechts gelten für alle anderen, nur nicht für sie selbst.“