Markus Wohlschlager arbeitet weiter an der Genauigkeit der Geräte, mit denen die Kindersterblichkeit verringert wurde. Foto: factum/Granville

Vor 50 Jahren erfand Konrad Hammacher die Überwachungstechnik. In Böblingen werden die Geräte hergestellt und weltweit verkauft. Markus Wohlschlager hat sie 25 Jahre lang weiterentwickelt und perfektioniert. Es gibt noch Luft nach oben.

Böblingen - Mit gekonnten Handgriffen testet Markus Wohlschlager einen Wehensensor, der auch noch den Puls der Mutter aufzeichnet. Dabei kommt ein Infrarot-Sensor zum Einsatz, den Wohlschlager erfunden hat. „Inzwischen habe ich den Überblick über meine Patente verloren“, sagt der 61 Jahre alte Sindelfinger, der seit 25 Jahren diese Überwachungstechnik weiterentwickelt. Zuerst bei der Firma Hewlett Packard (HP) in Böblingen, seit dem Jahr 2001 für das Unternehmen Philips, das damals die HP-Gesundheitssparte übernommen hat.

Revolution bei der Geburtenüberwachung

Der Reihe nach: Der Bau medizinischer Geräte in Böblingen begann mit einer Erfindung des Gynäkologen Konrad Hammacher. Im Jahr 1963 verbrachte er viele Nächte im Keller der medizinischen Akademie in Düsseldorf, um an einem Kardiotokografen für die Herzfrequenz des ungeborenen Kindes und die Wehentätigkeit der werdenden Mutter zu basteln. Tagsüber war Hammacher Geburtshelfer in der Frauenklinik. Seine Erfindung sollte die Geburtenüberwachung revolutionieren.

Der Medizinprofessor (1928-2001), der nach seiner Düsseldorfer Zeit an der Universitätsklinik in Tübingen arbeitete, stellte 1965 sein Gerät zur elektronischen Überwachung des Herzschlags ungeborener Babys der Firma HP in Böblingen vor. Ein Jahr später gab es den ersten Prototypen, und im Jahr 1968 wurden die ersten Wehenschreiber produziert, dank derer die Kindersterblichkeit in der Schwangerschaft und während der Geburt sank. Jüngst wurde das Jubiläum gefeiert.

Luftballons als Knallkörper

Natürlich war Markus Wohlschlager bei der Feier dabei. Für ihn war die Medizintechnik in ihren Anfangsjahren zwar noch ein fremdes Terrain. Aber schon damals experimentierte der junge Wohlschlager mit wachsender Begeisterung. „Ich durchwühlte den Sperrmüll und suchte nach alten Radios und Fernsehern, um Elektrisiermaschinen zu basteln“, erinnert sich der gebürtige Sindelfinger. Er machte sich mit Freunden einen Spaß daraus, wenn man beim Anfassen der fabrizierten Apparate einen kleinen elektrischen Schlag bekam. Oder er baute Knallkörper aus Luftballons, gefüllt mit Acetylen und Sauerstoff. In einem Fass ließ er sie explodieren. Die Detonationen seien damals so heftig gewesen, dass die Fensterscheiben am Haus der Wohlschlagers fast zerborsten seien.

Die Physik hatte Markus Wohlschlager schon als Kind interessiert, im Unterricht kam sie zunächst aber kaum vor. „Ich war in der Grundschule keine große Leuchte und bekam eine Empfehlung für die Hauptschule“, blickt er zurück. Seine Mutter habe mit ihm gepaukt – er schaffte es auf die Realschule. Nach einem erfolglosen Intermezzo auf einem Gymnasium legte er das Abitur später dann doch ab: an einem Technischen Gymnasium. „Diese Schule war mein Glück“, sagt Wohlschlager. Bei „Jugend forscht“ wurde er Landessieger. Ein Physikstudium brach er dennoch ab: „Es war mir zu theoretisch“, sagt er. Er lernte Schreiner. Da ihm der Lohn nicht ausreichend erschien, sattelte er erneut um und erlangte nach einem Studium der Elektrotechnik das Ingenieurdiplom.

Störungen durch Handys

Endlich konnte er das machen, wozu er offenbar berufen ist. Der 61-Jährige kann heute von sich sagen: „Der Wehenschreiber ist mein Leben.“ 1988 hat er bei HP als Entwicklungsingenieur für Computer angeheuert, fünf Jahre später kam er in die Entwicklungsabteilung für Kardiotokografen. Er begegnete Professor Hammacher: „Als kleiner Ingenieur wechselte ich mit ihm kein Wort.“ Doch er hatte den Auftrag, an dessen Erfindung weiterzuarbeiten.

Ein Problem etwa waren Störungen bei drahtlosen Sensoren, die durch Handys ausgelöst wurden. „Sogar über Funk gesteuerte Baukräne konnten die Messwerte beeinflussen, sodass im Kreißsaal die Telemetrie nicht mehr funktionierte“, sagt Wohlschlager. Mit seinem Entwicklungsteam schuf er Abhilfe – und widmete sich neuen Lösungen bei Sensoren. Sie müssen so ausgelegt sein, dass sie bei schlanken und korpulenten Frauen gleich gut funktionieren.

Nicht selten wird die Frequenz des pulsierenden Blutes der Mutter gemessen und nicht die Frequenz des Kinderherzens. Zurzeit wird ein kabelloser Sensor an der Universitätsklinik in Tübingen getestet, der auf den Bauch geklebt wird. Mit der neuen Technik können die Herzfrequenz der Föten und der Mutter sowie die Wehentätigkeit aus elektrischen Signalen ermittelt werden. Die Neuerung geht bald in Serie.

Knackpunkt ist die exakte Messung der Baby-Herztöne

Auf dem Weltmarkt konkurriert Philips laut Martin Maier, dem Marketingleiter für Geburtshilfe der Firma, vor allem mit dem US-amerikanischen Hersteller GE Healthcare, der seine Geräte unter dem Markennamen Corometrics vertreibt, und Anbietern der asiatischen Hemisphäre. In Europa gebe es nur einen ernst zu nehmenden Konkurrenten in Großbritannien, der aber weit weniger Abnehmer habe als Philips. „Wir sind als Gesundheitskonzern auch die Nummer eins, was die jährlichen Patentanmeldungen in Europa angeht“, resümiert der Philips-Chef Peter Ziese.

Und noch in einem anderen Punkt habe das Unternehmen die Nase vorn: Der Wehenschreiber Hammachers sei der erste auf dem Weltmarkt überhaupt gewesen. „Mehrere Forschergruppen beschäftigten sich mit dessen Entwicklung“, berichtet Markus Wohlschlager. Ein Patent auf den Kardiotokografen von Konrad Hammacher gebe es nicht. Dafür sei es schon zu lange her.

Der Knackpunkt ist die exakte Erfassung der Herzfrequenz des Babys und die Vermeidung von Störungen, die durch den Puls der Gebärenden entstehen. Wohlschlager hat sich auch das patentieren lasen. Ist der Herzschlag des Ungeborenen schwach, etwa weil die Nabelschnur um den Hals liegt, gilt es zu handeln. Mit einem Wehenschreiber sind solche Gefahren früh erkennbar. Wenn die Sauerstoffversorgung des Babys gefährdet ist, kommt es zu einem Not-Kaiserschnitt.

Noch kleiner, leichter und einfacher

Noch kleiner, leichter und einfacher zu bedienen soll die Überwachungstechnik werden, „damit sich die werdende Mutter frei bewegen kann und es die Hebammen mit der Technik leichter haben“, sagt der dreifache Vater, der bei der Geburt seiner Kinder jedes Mal dabei war. Für Wohlschlager gibt es keinen schöneren Beruf: „Ich kann zur Sicherheit während der Schwangerschaft und der Geburt beitragen.“