Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sieht in den nächsten vier Jahren einen großen Finanzspielraum, um Steuersenkungen zu finanzieren. Foto: dpa

Ob für höheres Kindergeld, Netzausbau und Steuersenkungen: Die Unterhändler der Sondierungsgespräche zu einer möglichen Jamaika-Koalition entdecken einen gewaltigen Finanzspielraum.

Berlin - Gleichsam über Nacht ist ein warmer Geldregen über die Jamaika-Sondierungen niedergegangen. Die Verhandlungen gehen allgemein zwar nur schleppend voran, doch Union, Grüne und FDP sind zur Überzeugung gelangt, dass in den nächsten Jahren weitaus mehr Geld zur Verfügung steht als angenommen. Das vom geschäftsführenden Minister Peter Altmaier (CDU) geführte Bundesfinanzministerium hat den Finanzspielraum für die nächsten vier Jahre überraschend aufgestockt. Altmaier hatte nach der Steuerschätzung vor einer Woche gesagt, dass in den nächsten vier Jahren rund 30 Milliarden Euro für zusätzliche Aufgaben ausgegeben werden können. Dies ergebe sich aus höheren Steuereinnahmen und der mehrjährigen Finanzplanung. Dem Ressort zufolge könne diese Summe in vier Jahren für höhere Familienleistungen, Steuersenkungen und Investitionsprogramme ausgegeben werden, ohne die schwarze Null im Bundeshaushalt zu gefährden. Doch auf Druck der Jamaika-Sondierer mussten die Finanzbeamten nachrechnen – und siehe da, der Finanzrahmen hat sich gewaltig erhöht: Die Union spricht jetzt von einem finanziellen Spielraum von 45 Milliarden Euro für vier Jahre. Das soll die Verhandlungen erleichtern. Damit können größere Teile der Wunschliste umgesetzt werden. Dennoch ist die FDP unzufrieden.

Misstrauen der Liberalen ist groß

Das Misstrauen der Liberalen ist groß, dass das Finanzministerium die finanziellen Möglichkeiten kleinrechnet. Dies gehörte in den vergangenen Jahren zur Strategie der Haushaltsabteilung: Einnahmen und Ausgaben wurden stets so taxiert, dass sie „stille“ Reserven enthielten. So wurde vermieden, dass der Haushalt auf Kante genäht war. Von diesem Grundsatz scheint Jamaika jetzt abrücken zu wollen. Unter den Haushaltspolitikern der Union ist jedenfalls die Unruhe groß: „Jamaika könnte die teuerste Koalition werden, die wir je hatten“, sagt einer. Dem widersprechen FDP-Politiker, die der Meinung sind, der Bund solle die einmalig gute Lage nutzen, um die Bürger zu entlasten und Investitionen auf den Weg zu bringen. Es sei absehbar, dass der Bund beim bisherigen Stand in den nächsten Jahren hohe Haushaltsüberschüsse ausweist, sagt Florian Toncar, Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, dieser Zeitung. Die Spielräume sollten genutzt werden, um Bürger zu entlasten. Toncar sieht auch den erweiterten Finanzspielraum von 45 Milliarden Euro nicht als das Ende der Fahnenstange. Aus Sicht der FDP könne dieser Rahmen um zehn bis 13 Milliarden Euro pro Jahr höher angesetzt werden. Damit beläuft sich der Verteilungsrahmen auf fast 60 Milliarden Euro. Grund: Bei den Privatisierungserlösen lägen die Schätzansätze für die Zukunft weit unterhalb des langjährigen Durchschnittswerts, so Toncar. Die Liberalen wollen nachjustieren.

Schon die Anhebung des Finanzrahmens auf 45 Milliarden Euro ist dadurch zustande gekommen, dass die Jamaika-Unterhändler mit höheren Privatisierungserlösen von rund fünf Milliarden Euro rechnen. Spielraum sehen die Finanzpolitiker auch noch bei den geplanten Zinsausgaben. Doch auch die höhere Manövriermasse reicht nicht aus, um alle Wünsche der Parteien zu erfüllen.

Schwerpunkte liegen bei Entlastungen und Investitionen

In der Finanzpolitik scheint sich zwar eine Verständigung anzubahnen, dass die Milliarden für Entlastungen von Bürgern und Unternehmen sowie Investitionen in Bildung und digitaler Infrastruktur ausgegeben werden. Bei den Entlastungen konzentrieren sich die Gespräche um den Soli-Abbau (jährliches Aufkommen 20 Milliarden Euro), Einkommensteuersenkungen und ein um 25 Euro höheres Kindergeld. Darüber hinaus sind viele neue Förderungen vorgesehen. Ein Unterhändler der Union beklagt, dass die Parteien dabei sind, eine Vielzahl neuer Subventionen zu beschließen. Das reicht von der geplanten steuerlichen Forschungsförderung für Unternehmen, mehr Geld für die Elektromobilität, einem Gebäudesanierungsprogramm und Sofortabschreibungen für den Wohnungsbau. Beim jetzigen Stand würden allein diese Programme Mehrkosten in Milliardenhöhe bedeuten. Das erklärt das Bemühen, den Finanzspielraum anzuheben. Die Stimmen, die mahnen, das Geld nicht mit vollen Händen auszugeben, scheinen verstummt zu sein.

Die bisherigen Finanzverhandlungen ähneln der Quadratur des Kreises. Die Unterhändler wollen vier Jahre ohne neue Schulden auskommen und die Schuldenquote des Staates unter 60 Prozent des Sozialprodukts senken. Gleichzeitig sind hohe Mehrausgaben vorgesehen.