Das Szenario eines französischen EU-Austritts gilt als „unwahrscheinliches, aber höchst gefährliches Ereignis“ und wird deswegen auch als „schwarzer Schwan“ bezeichnet. Foto: AFP

Investoren befürchten einen Erfolg der Euro-Gegnerin Martine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen. Als Folge hat sich der Abstand der französischen Anleihenzinsen auf die deutschen verdoppelt.

Paris - Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich werden erst in gut einem Monat entschieden. Bei den internationalen Anlegern erzeugen sie aber schon jetzt großes Interesse – und Sorge. Viele reisen nach Paris, wo sie die komplexen Mechanismen der französischen Wahlen zu verstehen versuchen, um die Kernfrage beantworten zu können: Hat Marine Le Pen eine reale Wahlchance und damit die Möglichkeit, den Ausstieg Frankreichs aus der EU – den Frexit – oder zumindest aus dem Euro durchzuziehen?

Arithmetisch sind die Chancen gering. Die Kandidatin des Front National führt zwar etliche Umfragen für den ersten Wahlgang am 23. April an; in der Stichwahl am 7. Mai wird sie demnach aber gegen einen ihrer wichtigsten Widersacher François Fillon oder Emmanuel Macron mit 35 bis 40 Prozent der Stimmen unterliegen. Und selbst wenn sie in den Élysée-Palast einzöge, müsste ihre Partei bei den Parlamentswahlen im Juni trotz des für sie sehr ungünstigen Mehrheitswahlrechts zuerst noch einen Sieg erringen; und nach Ablauf eines halben Jahres müsste Le Pen auch die angekündigte Volksabstimmung über den Frexit für sich entscheiden. Auszuschließen ist dieses Szenario aber nicht.

Frexit würde ganzes europäisches System in Frage stellen

Das sagen sich gerade die amerikanischen Investoren, die auch nicht mit einem Wahlsieg von Donald Trump gerechnet hatten. Ein Frexit hätte für Europa gravierendere Folgen als der Trump-Sieg oder der Brexit Großbritanniens. Wenn EU-Mitbegründer Frankreich aus dem Euro ausstiege, würde zweifellos das ganze europäische System zusammenbrechen. US-Investoren nennen das ein „tail risk“ oder einen „black swan“, einen schwarzen Schwan – ein zwar unwahrscheinliches, aber höchst gefährliches Ereignis.

„Die Rückkehr zum Franc würde rasch zu einem Kapitalabfluss der französischen und ausländischen Investoren führen, weil sie sich vor dem Abwertungsrisiko schützen möchten“, schreibt der Pariser Thinktank Montaigne, um für Frankreich ein Schreckensszenario einer massiven Rezession und Inflation an die Wand zu malen.   Und so wie der mexikanische Peso vor der US-Präsidentschaftswahl ein Spielball der Börsen geworden war, kommen in Paris jetzt bereits die Zinsen unter Druck. Die französischen Zehnjahresanleihen OAT müssen neuerdings mit einem Prozent verzinst werden. Damit wächst der Abstand zur europäischen Referenzanleihe, dem deutschen „Bund“ (0,39 Prozent). Dieser „Spread“ hat sich seit letztem Herbst von 25 auf gut 60 Punkte verdoppelt. Auch wenn die französischen Leitzinsen noch weit von spanischen oder italienischen Vergleichswerten entfernt sind, ist der Anstieg bemerkenswert – vor allem, weil er weitgehend politisch bedingt ist: Pariser Anleger sprechen von einem „Le-Pen-Risikoaufschlag“.

Märkte sehen Wahrscheinlichlkeit einer Wahl Le Pens bei 25 Prozent

Zugleich versuchen sie ihre ausländischen und namentlich amerikanischen Kollegen zu beschwichtigen. Didier Le Menestrel, Vorsteher der Anlegerfirma Financière de l’Echiquier, erklärt, der zunehmende Spread zwischen OAT und Bund zeige „nur, dass die Märkte die Wahrscheinlichkeit einer Wahl Le Pens bei 25 Prozent ansetzen“. Immerhin eine Viertelchance, antworten skeptische Investoren. Vertreter von Black Rock, UBS oder Barclays haben sich laut Insidern direkt beim Front National informiert und dessen Wirtschaftsstrategen Bernard Monot ausgefragt. Er beruhigt die Märkte mit öffentlichen Stellungnahmen: „Wir werden wegen des Euroausstiegs sehr häufig angefragt und erinnern daran, dass wir die Abhaltung eines EU-Gipfels verlangen, um ein Ausnahmeregime für Frankreich durchzusetzen. Es kommt für uns nicht infrage, die Tür einfach zuzuschlagen, wie das die britische Ministerpräsidentin Theresa May mit dem Brexit tut.“

  Selbst in Paris wächst indes die Sorge über die wahren Pläne des Front National. Der Gouverneur der französischen Zentralbank Banque de France, François Villeroy de Galhau, hat für den Fall eines Wahlsiegs von Marine Le Pen bereits ausrechnen lassen, dass ein Euro-ausstieg den Schuldendienst Frankreichs um zusätzliche 30 Milliarden Euro pro Jahr belasten würde. Diese Mitteilung hätte die Gefährlichkeit dieses Projektes aufzeigen sollen; sie verunsicherte aber in erster Linie die Finanzmärkte. Und Unsicherheit ist es, was sie am wenigsten mögen.