Knapp ein Drittel aller Frauen ist von ihrem Partner finanziell anhängig. Die Soziologin Birgit Happel sieht darin eine große Gefahr – und erklärt, wie Frauen sich in Geldfragen absichern können.
Noch immer sind Frauen in Finanzfragen benachteiligt. Das zeigt sich spätestens beim Eintritt in die Rente, denn Frauen ab 65 haben laut dem Statistischen Bundesamt jährlich rund 27 Prozent weniger Einkünfte als Männer. Aber das Problem fängt schon viel früher an. Das macht die Soziologin und Bankkauffrau Birgit Happel in ihren Vorträgen zum Thema „Gegen die Gerechtigkeitslücke“ klar. Am 10. März kommt Happel auch nach Fellbach, wir haben vorab mit ihr gesprochen.
Frau Happel, Frauen sind in Deutschland deutlich stärker von Altersarmut bedroht als Männer. Woran liegt das?
Frauen haben in allen drei Säulen Rentenlücken, bei der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge. Die sogenannte Gender Pension Gap, also die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen, ist dann das traurige Endergebnis einer strukturellen Benachteiligung. Diese nimmt in der Mitte des Lebens Fahrt auf und trifft besonders Mütter und pflegende Angehörige hart. Neue Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben gerade gezeigt, dass die Lohnlücke mit zunehmendem Alter in allen Bildungsgruppen ansteigt. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, sind seltener in Führungspositionen, übernehmen den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit und sind oft in schlechter bezahlten Branchen tätig. Das sind alles Faktoren, die Rentenpunkte kosten und sich negativ auf die Rentenansprüche auswirken. Zudem haben Frauen in der Teilzeit oft geringe finanzielle Spielräume und investieren weniger in die private Altersvorsorge.
Stichwort unbezahlte Sorgearbeit: Wenn das erste Kind kommt, rutschen Paare – oft auch ungewollt – schnell in genau dieses Muster hinein: Der Mann verdient, die Frau sorgt für den Nachwuchs und pflegt die Eltern. Wie können Paare diese Dynamik vermeiden?
Zunächst sollten sie sich, lange bevor das erste Kind kommt, mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beschäftigen und miteinander klären, wohin die Reise gehen soll. Welche Ziele will man zusammen und auch für sich selbst verwirklichen? Viele junge Frauen denken: „Bei uns läuft das anders, wir bekommen das besser hin.“ So habe ich auch gedacht und wollte direkt nach der Geburt meiner Tochter an meiner Dissertation weiterschreiben. Man kann sich einfach nicht vorstellen, wie sehr sich das Leben mit Kind ändert, gerade, wenn keine Großeltern in der Nähe sind. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.internationaler-frauentag-ricarda-lang-kommt-zum-frauentag-nach-backnang-die-termine-im-ueberblick.e0fc9bc6-7fa1-41cc-a1a3-bc1857f6788c.html
Bei der Planung der Elternzeit sollten Paare nicht nur kurzfristig auf das gemeinsame Familieneinkommen schauen, sondern die langfristigen Folgen von Karriereunterbrechungen und Teilzeitarbeit im Blick behalten. Denn das Erwerbseinkommen, das Müttern dadurch über die Lebenszeit hinweg entgeht, beläuft sich in Westdeutschland auf einen hohen sechsstelligen Betrag. Das sind Dimensionen, die leider zu häufig verdrängt werden. Deswegen ist es in der Paarbeziehung auch umso wichtiger, gleich von Anfang an offen über Geld zu sprechen.
Frauen, die in Geldfragen von ihrem Partner abhängig sind, laufen eher Gefahr, finanzielle Gewalt zu erleben. Wie können sich junge Frauen dagegen absichern?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Finanzieller Machtmissbrauch ist weithin ein Tabuthema. Wenn schon über Geld ungern gesprochen wird, dann erst recht nicht über finanzielle Gewalt. Hier gibt es aber sehr viel Leid in den Familien. Ungefähr 30 Prozent der Frauen in Deutschland befinden sich in finanzieller Abhängigkeit, und 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen sagen, sie könnten mit ihrem Einkommen nicht langfristig für sich und ein Kind sorgen.
Auf den ersten Blick sieht unser Land modern und familienfreundlich aus, aber wer genauer hinschaut, sieht, dass wir bei der Gleichstellung vielen Ländern hinterherhinken. Laut dem Global Gender Gap Report 2024 belegt Deutschland bei der wirtschaftlichen Teilhabe und Partizipation nur Rang 82 – von insgesamt 146 Ländern. Vor allem in Westdeutschland schreiben soziale Normen und traditionelle Rollenbilder immer noch den Müttern die Hauptverantwortung für die Sorgearbeit zu. Junge Frauen sollten sich mit diesen Themen auseinandersetzen und von vornherein in ihren Partnerschaften auf eine faire Rollenverteilung achten. Natürlich spielt auch die Berufswahl eine Rolle, denn wenn das Einkommen beider Partner in etwa gleich hoch ist, fällt es den Paaren leichter, auch die Sorgearbeit gerechter aufzuteilen.
Welche politischen und gesellschaftlichen Veränderungen sind notwendig, damit Frauen finanziell unabhängiger sein können?
Dafür gibt es mehrere Stellschrauben. Ein großer Hebel liegt in der fairen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in Partnerschaften. Hier muss die Politik viel mehr Anreize zur gerechteren Verteilung setzen. Derzeit arbeiten gerade einmal sieben Prozent der Väter in Teilzeit, aber zwei Drittel der Mütter. Da ist sehr viel Luft nach oben. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.vortrag-zum-weltfrauentag-wo-bleibt-eigentlich-die-chancengerechtigkeit.4bc98e57-24d7-4630-bfb6-d262293df1dd.html
Auch das Steuer- und Sozialversicherungssystem zu reformieren, ist längst überfällig. Insbesondere muss die Steuerklassenkombination 3/5 abgeschafft und durch 4/4 mit Faktor ersetzt werden. Dieses Vorhaben wurde letztes Jahr im Bundestag beschlossen, beim Bruch der Ampelkoalition aber leider wieder einkassiert.
Was möchten Sie Frauen mit auf den Weg geben, die sich finanziell unabhängig aufstellen möchten?
Finanzielle Selbstbestimmung ist einer der wichtigsten Faktoren unserer Lebensqualität. Frauen sollten das Geld in jeder Lebenslage ernst nehmen – sich also mit ihrer Einstellung zu Geld beschäftigen, sich zum Thema Finanzen bilden und das Anlegen lernen. Das ist viel leichter, als viele denken. Es gibt so viele Börsen-Mythen, die leicht zu entkräften sind – zum Beispiel der Satz „Zum Anlegen habe ich kein Geld“. Denn schon ab einem Euro – realistischerweise mit zehn, 20 oder 50 Euro – kann man einen Wertpapiersparplan einrichten. Mindestens ebenso wichtig ist es aber, die eigene Berufsbiografie wie einen Schatz zu hegen und bei der Partnerwahl genau hinzuschauen.
Zur Person
Birgit Happel ist Soziologin, Bankkauffrau und Autorin. Sie setzt sich als Vorstandsmitglied des Präventionsnetzwerks „Finanzkompetenz“ bundesweit für die Förderung finanzieller Bildung, die Prävention von Frauenarmut und soziale Gerechtigkeit ein und ist Mitglied von der NGO „UN Women Deutschland“.
Auftritt
Die Expertin kommt am Montag, 10. März, nach Fellbach und wird im Großen Saal des Rathauses ausführlich erklären, wie Frauen das Thema finanzielle Selbstbestimmung angehen können. Birgit Happels Vortrag „Gegen die Gerechtigkeitslücke“ beginnt um 19 Uhr, der Eintritt ist frei.