Schlaglöcher kosten das Land viel Geld. Doch sind es deshalb „Schulden“ Foto: dpa

Eigentlich müsste das Land Schulden tilgen. Doch Grün-Schwarz saniert lieber Straßen und behauptet, das laufe aufs selbe hinaus. Der Finanzexperte Hans-Peter Burghof widerspricht.

Stuttgart - Eigentlich müsste das Land Schulden tilgen. Doch Grün-Schwarz saniert lieber Straßen und behauptet, das laufe aufs selbe hinaus. Der Finanzexperte Hans-Peter Burghof widerspricht.

Herr Burghof, das Wort Schulden bedeutet, dass man Geld geliehen, aber noch nicht zurückbezahlt hat. Stimmt diese Definition?
Ja. Und in der Regel gibt es einen Vertrag, der die Pflicht zur Rückzahlung regelt.
Die Landesregierung bezeichnet nun Schäden an Straßen und Gebäuden als „ implizite Schulden“ und argumentiert, wenn man diese Schäden behebt, sei das Schuldentilgung. Was halten Sie davon?
Generell kann man sagen: Der Schuldenbegriff kann auch mehr als die Zahlungsverpflichtungen aus Krediten umfassen. Unternehmen zum Beispiel zählen dazu auch eventuelle Verbindlichkeiten, weil sie wissen, dass daraus irgendwann eine Zahlungsverpflichtung erwachsen kann. Geht man diesen Weg weiter, könnte man sich alles Mögliche an Zahlungsverpflichtungen für die Zukunft ausdenken und dies als Schuld definieren. Aber irgendwann wird das beliebig.
Gibt’s da keine Regeln?
Doch. Im Handelsrecht gibt es klare Vorgaben, wann man Rückstellungen bilden darf und wann nicht. Sonst würden ja alle Unternehmen so viele Rückstellungen machen, dass sie keine Steuern mehr zahlen müssten. Bei der Staatsschuld gibt es tatsächlich auch den Begriff der impliziten Schulden. Der bezieht sich aber auf Schulden, bei denen eine vertragliche Verpflichtung besteht. Also etwa auf Pensionszahlungen.
Sind Schäden an Straßen und Gebäuden nun Schulden oder nicht?
Das sind keine Schulden. Denn es gibt keine vertragliche Verpflichtung, irgendwann etwas zu leisten, weder fix noch als Eventualverpflichtung. Der Staat hat immer die Möglichkeit, die Straßen auch verfallen zu lassen. Das sollte er natürlich nicht tun, und ökonomisch ist es durchaus richtig, dass der Staat diese Investitionen irgendwann tätigt und auch dafür Vorsorge trifft. Nur: Man sollte die Begriffe nicht durcheinander werfen.
Das heißt, die Ausdehnung des Schuldenbegriffs auf diesen Bereich ist nicht statthaft?
Letztlich entscheidet der Gesetzgeber, was statthaft ist. Aber es ist eine Aufweichung des Schuldenbegriffs, der diesem am Ende eine gewisse Beliebigkeit gibt. Denn was unabdingbare Verpflichtungen des Staates jenseits von Verträgen sind, hängt ja ganz vom politischen Standpunkt ab. Man öffnet damit den Schuldenbegriff, der eigentlich objektiv festgelegt sein sollte und so etwas wie die Schuldenbremse erst verbindlich macht, für interessengeleitete politische Interpretationen. Auf die Frage, was der Staat zwingend leisten muss, hat eben jede politische Partei eine andere Antwort. Und jede Partei könnte versuchen, ihre eigenen Zielgruppen unter den Wählern über eine entsprechende Abgrenzung der zwingend zu bedienenden Schulden zu privilegieren.
Grün-Schwarz argumentiert, es sei wegen der aktuell niedrigen Zinsen nicht sinnvoll, Kreditmarktschulden zu tilgen.
Das ist kein gutes Argument. Es hat eine ganz andere Qualität als die durchaus richtige ökonomische Beobachtung, wonach unterlassene Instandsetzungsarbeiten eine zukünftige Belastung für das Land sind. Die können und würden übrigens auch von Unternehmen in ihrer Bilanz durch entsprechende Rückstellungen berücksichtigt werden. Ich meine, der Staat sollte von den Bürgern nicht mehr Geld verlangen, als er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Er ist kein Investmentfonds. Es ist auch nicht seine Aufgabe, möglichst viel Geldvermögen anzusammeln und dann unter seiner Kontrolle anzulegen. Natürlich muss der Staat Vorsorge treffen, und man kann darüber reden, ob er das für die impliziten Schulden nicht stärker tun muss. Aber er ist kein Akteur auf dem Kapitalmarkt, der die Geldanlage um ihrer selbst willen betreibt.
Ist am Zweck, für den das Land das Geld ausgeben will, etwas zu kritisieren?
Nein. Ebendies mildert meine Kritik. Ich halte die Ausweitung des Schuldenbegriffs zwar für falsch, aber die konkrete Verwendung des Geldes, etwa die Instandsetzung der Infrastruktur, ist eigentlich nicht zu kritisieren. Denn diese Verpflichtungen kämen in jedem Fall auf das Land zu. Es werden ja wohl keine Luxusstraßen gebaut, die eigentlich niemand braucht. Das Geld wird auch nicht irgendwo geparkt, um damit zu spekulieren.
Gleichzeitig gibt es eine Verpflichtung, Schulden am Kreditmarkt zu tilgen. Die Bayern machen das. Können die nicht rechnen?
Sie haben vielleicht ein anderes, konventionelleres Verständnis von der Rolle des Staates: Der muss seine Pflichten erfüllen und nur so viel Geld einsetzen, wie er dafür benötigt. Dass sich die baden-württembergische Landesregierung jetzt Gedanken darüber macht, ob sie Schulden tilgt, weil der Zins gerade niedrig ist, hängt natürlich mit den Fehlanreizen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank zusammen. Man muss ganz klar sagen: Das ist eine verkehrte Welt. Wer Kapital braucht, sollte dafür Zins zahlen müssen, sonst ist Kapital nichts mehr wert.
Die Fragen stellte Arnold Rieger