Bunt und musikalisch: Szene aus der Schluss-Folge von „Transparent“ Foto: Amazon Prime

Die bemerkenswerte Amazon-Prime-Serie „Transparent“ endet feierlich – und zwar mit einem Musical-Special. Sie hat vier Staffeln lang von weitaus mehr als dem Leben im falschen Geschlecht erzählt.

Stuttgart - Es ist bittere Ironie, wenn ausgerechnet der Hauptdarsteller einer Serie wie „Transparent“ wegen Metoo-Vorwürfen gehen muss. Jeffrey Tambor soll am Set Frauen sexuell belästigt haben. Daher erscheint das Serienfinale beim Streamingdienst Amazon Prime am 27. September nun ohne ihn. Ironie auch deswegen, weil es bei „Transparent“ doch mitunter darum geht, wie einem weißen, akademischen Mann seine lebenslangen Privilegien bewusst werden – nämlich als er sich im Alter entscheidet, künftig als Frau durch die Welt zu gehen.

Der amerikanischen Regisseurin Jill Soloway ist es nicht nur gelungen, vollkommen anders, weil tiefgründiger als je zuvor, von Transsexualität zu erzählen. Mit der Serie „Transparent“, die seit 2014 vier Staffeln lang bei Amazon Prime lief, hat sie außerdem vieles von Belang über unsere Zeit gesagt: über Frauen und Männer, Sexualität, postmoderne Neurosen, ja, sogar über jüdische Geschichte und vererbtes Trauma, Monogamie, Identitätspolitik und verdrängten Missbrauch. „Transparent“ war eine Serie über Metoo, noch bevor es Metoo überhaupt gab.

Mort wurde zu Maura

Als die Pilotfolge 2014 ausgestrahlt wurde, war Transsexualität ein Nischenthema, die meisten dachten dabei höchstens an Dragqueens. Mittlerweile ist das anders, auch in Deutschland. Medienberichten über Jugendliche, die sich nicht wohl fühlen in ihrem Geburtsgeschlecht oder überhaupt in einem von beiden Geschlechtern begegnet man häufiger, zuletzt vergangene Woche in der Titelgeschichte des „SZ Magazins“.

„Transparent“ hatte 2014 begonnen mit der Offenbarung des siebzigjährigen ehemaligen Uni-Professors Mort Pfefferman (Tambor), er wäre sein Leben lang lieber eine Frau gewesen. Im Alter wolle er nun endlich offen so leben, wie er sich eigentlich immer gefühlt hatte. Mort wird zu Maura, und nach dem Outing gerät auch bei Mauras Exfrau Shelly und ihren drei erwachsenen Kindern Sarah, Josh und Ali einiges ins Wanken, der Blick auf das Vergangene verändert sich.

Die Lebenslüge überschattet die Familiengeschichte, das erfährt der Zuschauer auch in Rückblicken. Genauso wie Shelly die ganze Zeit Bescheid wusste und schwieg, schauten beide Eltern weg, als der jugendliche Sohn Josh von der Babysitterin missbraucht wurde. Das fragile Konstrukt der Familie entpuppt sich als Schauplatz der Grenzverletzungen und Co-Abhängigkeiten. „The best stand-in for boundaries are secrets“, heißt es einmal, also sinngemäß: Wer es nicht schafft, Grenzen zu ziehen, flüchtet sich eben in Geheimnisse.

Warum ist die eigene Familie so irre?

Besonders intensive (Sex-)Szenen in „Transparent“ sind nie billige Unterhaltung. Sie zeigen, was sich sonst oft im Dickicht psychologischer Fachtermini und politisch korrekter Sprachhülsen verliert. Der Mensch mag das Vokabular gefunden zu haben, um all seine Befindlichkeiten, Beziehungen und sein Handeln zu beschreiben, doch oft streckt er nur die Arme aus wie ein Kind auf der Suche nach Zuwendung. Weil sie genau das, und zwar nie ohne liebevolle Komik, vermittelt, ist die Serie so erfolgreich: Warum fällt es so schwer, immer so zu sein, wie man sich fühlt? Und warum, verdammt noch mal, ist die eigene Familie so unfassbar irre?

„Transparent“ endet ohne Jeffrey Tambor nun mit einem Musical-Film, Maura stirbt zu Beginn. Jill Soloways Schwester Faith steuert zum Finale einige bemerkenswerte Songs bei, und die Folge lässt sich nicht anders als auf einer übergeordneten Ebene verstehen. Schon der Tod Mauras ist in seiner Unvermitteltheit verstörend artifiziell – man denkt aufgrund der Umstände eher an den Tod des Übervaters, den Tod des Patriarchen, den Tod einer vergangenen Zeit – als daran, dass eine Figur gestorben ist, der schon zuvor Herzprobleme diagnostiziert worden waren. Diese Künstlichkeit erstrahlt auch immer dann, wenn die Charaktere unvermittelt anfangen zu singen oder plötzlich im Filmset einer erfundenen Fernsehserie mit Claqueuren wie in den achtziger Jahren stehen.

Schade ist das Ende der Serie vor allem auch wegen zwei Figuren und ihren Darstellerinnen, von denen man gerne noch sehr viel mehr sehen würde. Zum einen Gaby Hoffmann als Ali, die sich jetzt Ari nennt und künftig weder Mann noch Frau sein will – von ihrem merkwürdigen Gesicht kann man sich kaum abwenden. Und zum anderen ist es Judith Light als Shelly Pfefferman, deren Musical-Auftritt mit dem Song „Your Boundaries are my Trigger“ zugleich rührend und verstörend in Erinnerung bleibt. Light gelingt es, das Interesse an Frauenfiguren jenseits der sechzig zu wecken. Was für spannende Geschichten warten da noch!