Szene aus einem der Beiträge beim Stuttgarter Filmwinter im Theater Rampe – das Festival startete am Donnerstag Foto: Festival

Die digitale Revolution fegt alte Gewohn- und Gewissheiten hinweg. Was macht die Informationsflut mit den Menschen und der Kunst? Dieser Fragen widmet sich der Stuttgarter Filmwinter.

Stuttgart - Der Amerikaner Edward Snowden hat der Welt verraten, in welchem Ausmaß Geheimdienste die Menschheit überwachen – und der Amerikaner Benjamin Grosser hat eine Strategie entwickelt, diese Überwachung zu torpedieren. Seine Software „ScareMail“ hängt an jede harmlose E-Mail eine computergenerierte Geschichte an, die aus NSA-Suchbegriffen wie „Anschlag“ oder „Dschihad“ besteht und so die Überwachungsprogramme der Geheimdienste mit Unsinn beschäftigt – bis hin zum möglichen Zusammenbruch, wenn eine kritische Masse in aller Welt die Software nutzen würde.

Eine Aura des Subversiven umweht das Film- und Medienkunst-Festival Filmwinter seit seiner Gründung, und das hat sich bei der 28. Auflage nicht geändert: Um ungewöhnliche Blickwinkel und experiementelle Ansätze geht es bis Sonntag im Theater Rampe, dem Kunstraum34 und der Galerie Kunstbezirk im Sieglehaus, wo am Donnerstag die Ausstellung „Medien im Raum & Network Culture“ eröffnet worden ist – in Anwesenheit einiger ausstellender Künstler. Hier geht es zur Bildergalerie.

Andreas Zingerle und Linda Kronman aus Österreich zum Beispiel, die sich in „Password: ******“ mit den beliebtesten Passwörtern von Internet-Betrügern beschäftigt haben. Hacker sammeln solche Daten, und Begriffe wie „love“, „jesus“, „mother“, „bless“ und „money“ stechen heraus aus typografisch angeordneten Sprachkonglomeraten in Sternen, wie sie als Platzhalter bei Passwort-Eingaben im Internet erscheinen.

„Die Leute machen es den Betrügern leicht, weil sie sehr naheliegende Passwörter verwenden“, sagt Zingerle, „und es ist sehr einfach, Nutzern sozialer Netzwerke Antworten auf ihre Sicherheitsfragen zu entlocken, die Straße ihrer Kindheit etwa oder den Geburtsnamen ihrer Mutter.“

Zingerle reiste mit Kronman via Stipendium nach Ghana, „eine Hochburg des Internet-Betrugs: Viele der Passwörter sind dort allgegenwärtig in der Öffentlichkeit auf Plakaten und Aufklebern“, erzählt er. Zufällig stießen sie in Ghana gleich auf ihr nächstes Projekt: „Dort ist die weltgrößte Halde für Elektronik-Müll, der vor allem aus den USA und Europa dorthin geschafft wird, getarnt als Entwicklungshilfe“, sagt Zingerle.

„Und in den Rechnern sind oft noch die Festplatten drin mit vielen sensiblen Daten, die Kriminelle sich aneigenen und die Datenträger dann für zwei Euro auf der Straße verkaufen.“ Das Duo hat einige Festplatten erstanden und möchte nun mit den Daten arbeiten, „natürlich anonymisiert“ – Findekunst, wie sie Künstler vor 20 Jahren mit alten Dias fremder Menschen vom Flohmarkt gemacht haben.

Bei Kevin Röhl und Erik Freydank zeitigt die durchweg analog erscheinende Anordnung „Panopticon“ ernste digitale Konsequenzen. Unter flackerndem Glühbirnenlicht steht ein schwarzes Wählscheibentelefon unter Glas, daneben eine Telefonnummer; wer diese mit dem Handy anruft, hört „Die Gedanken sind frei“ als Glockenspielversion – und wird kurz darauf damit konfrontiert, was ein einziger digitaler Anruf alles offenbart. „Viele geben viel mehr über sich preis, als sie ahnen“, sagt Röhl.

Das demonstriert auch der Schweizer Marc Lee in „Pic-me“. Seine Software verbindet aktuelle Posts von Nutzern des Bilder-Netzwerks Instagram, die das „geotagging“ (geografische Zuordnung) nicht abgeschaltet haben, mit Google Earth; kaum ist ein Selbstporträt Online, fliegt der Betrachter um die Welt und bekommt den exakten Ort gezeigt, von dem aus das Bild ins Netz gestellt worden ist. „Ich kann nur raten: Seid vorsichtig!“, sagt Lee und grinst.

Bei soviel Unsicherheit tut physische Selbstvergewisserung gut. Séverine Urwyler, ebenfalls aus der Schweiz, bietet dazu eine seltene Gelegenheit: Sie befestigt 32 Membranen an liegenden Probanden und macht ihre Körper zum Resonanzraum für kollektive Emotionen, die sie zum Beispiel bei Sportveranstaltungen akustisch aufgezeichnet hat – „ein ganz besonderer Trip“, verspricht Marcus Kohlbach, Kurator der Medienkunstschau des 28. Filmwinters.

Auf den Spuren des kanadischen Medienschleifen-Spezialisten Stan Douglas bewegt sich Agnes Jänsch aus München. Wie eine typische Familienidylle der 1950er Jahre erscheinen zunächst die drei Filmsequenzen ihrer Videoinstallation „Wir waren sehr glücklich“; doch bei näherem Hinsehen zeigt sich: Die Menschen drehen sich im Kreis, spielen immer die selben Situationen durch, die nach und nach entgleisen.

An der Familien-Kaffeetafel reden alle in bekannten Textbausteinen aneinander vorbei, zunehmend drastischer. „Vater, es ist wichtig!“, insistiert der Sohn, „Man spürt schon den Frühling“, verkündet der Alte, und Mama sagt derweil zum anderen Sohn: „Ich wusste, dass Du das schaffst.“

Eine Studie der Platituden und Absurditäten menschlicher Kommunikation ist Jänsch gelungen mit einer bemerkenswerten Besonderheit: Sie hat ihre sich wandelnden Handlungsschleifen nicht geschnitten, ihre Darsteller spielen die Handlungsschleifen vor statischer Kamera am Stück durch.

Was virtuell ist und was real, darum geht es in vielen Facetten bei diesem Filmwinter. „Vielleicht sind wir alle nur holografische Projektionen“, mutmaßt die slowenische Künstlerin Karina Smiglia-Bobinski, deren Arbeit „Simulacra“ („Abbilder“) schon als Objekt sehenswert ist: Ein schwebendes Gebilde aus vier weißen Flächen, Kablen, Lautsprechern und Lupen, in dessen Innern sich bei näherem Hinsehen das Gefangensein des medialen überfütterten Menschen spiegelt. „Ich habe nur die oberste Folie von LCD-Monitoren entfernt und dadurch eine tabula rasa geschaffen“, sagt die Künstlerin. „Was wir sehen sind nur Licht und Impulse, der Rest ist Kopfkino.“

Mancher treibt das bis hin zur gewollten Überlastung: Die Franzosen mit dem Kollektiv-Namen jimpunk fluten Rechner mit Unmengen einander überlagernder Videoclips, in denen irgendwann eine Verbindung von Unterhaltung und Gewalt sichtbar wird. Grenzen? Gab es gestern. Der Pole Pawel Janicki strebt gar ins All: Für seine Musik-Performance an diesem Samstagvormittag verwendet er angeblich Daten der Internationalen Raumstation ISS – man darf gespannt sein, wie die klingt.