Jugendfilmpreis: In „Schwarzes Kreuz“ verhindern Liebende ein Menschenopfer       Foto: Festival

Filmschau Baden-Württemberg: Das Festival ist mit dem Drama „Be My Baby“ und gelebter Inklusion eröffnet worden.

Ein gesellschaftlich weitgehend ausgeblendetes Thema auf großer Leinwand? Eine Gratwanderung. Es kann noch so viel über Inklusion diskutiert werden, Nichtbehinderte werden im Alltag kaum damit konfrontiert. Insofern ist Christina Schiewes Film „Be My Baby“ eine kleine Sensation.

Sie zeigt, wie das Leben einer 18-Jähringen mit Down-Syndrom verrutscht, nachdem sie sich in den Kopf gesetzt hat, eine ganz normale Familie zu gründen. Obwohl Mama ihr erklärt hat, dass das nicht geht, ist Nicole schwanger – vom einsamen Nachbarsjungen Nick, den sie seit Kindestagen kennt und kurzerhand verführt hat.

Wie im Film ist Carina Kühne auch in der Realität eine lebenslustige junge Frau ohne Scheu. Souverän schreitet sie mit ihrer Mutter über den roten Teppich der Filmschau Baden-Württemberg ins Metropol-Kino und schenkt dabei manchem ein Lächeln. Das Publikum applaudiert ihr wie jeder anderen Schauspielerin – dieser FestivalEröffnungsabend ist gelebte Inklusion.

Mit Fingerspitzengefühl und ohne zu beschönigen blickt Schiewe auf Nicoles Realität: Wie sie kokett die fragile Sozialstruktur in der Behindertenwerkstatt durcheinanderbringt, wie sie mit ihrem Kollegen Hermann heimlich in die Badewanne steigt, wie sie Nicks anfängliche Grobheit mit Humor nimmt, wie sie ihre traurige Mama mit großem Herzen tröstet, wie sie dann totalverweigernd im Bett liegt und nicht mal mehr etwas isst. Das Ende fällt angesichts der vorangegangenen Schwierigkeiten erstaunlich happy aus – doch Nicole hat ihr kleines Glück verdient, das sie sich vorher ausgemalt hat in einer Traumsequenz in den Weinbergen um Stuttgart.

Produziert hat „Be My Baby“ die Ludwigsburger Firma Zum Goldenen Lamm, eine Gründung von Absolventen der dortigen Filmakademie, an der auch Schiewe gelernt hat. Als Partner sind das ZDF und die MFG-Filmförderung im Boot. „In der Leistungsgesellschaft, in der viele ihre Gefühle unterdrücken, sagt Nicole, was sie denkt“, erklärt Schiewe – „eigentlich ist sie die Normale.“ Sie habe viel mit Carina gearbeitet, auch an Nuancen – und die sei immer sehr gut vorbereitet gewesen. Mir hat das großen Spaß gemacht“, erzählt die Hauptdarstellerin, „und ich war nie müde, wollte immer weitermachen!“ Die Schwangerschaft zu spielen sei das Schwierigste gewesen, das Schönste, „am Kran über den Weinbergen zu schweben. Und die Liebesszenen, die Nähe zu spüren.“ Auch Gitta Schweighöfer, im Film die Oma und im Leben die Mutter von Matthias, ist nach Stuttgart gekommen. „Ich wollte das sofort machen“, sagt sie, „ich fand das mutig mit dieser Hauptfigur, und Carina und ich hatten auch gleich einen guten Draht.“

Die Filmschau hat die erste Gratwanderung geschafft. Es ist die 20., Zeit für Blicke zurück. Dieter Krauß von der MFG erinnert vor dem Film an die „Notgemeinschaft“ engagierter Filmemacher in den 1980ern, an magere 250 000 D-Mark Filmförderung, an Namen wie Nico Hofmann, Andres Veiel, Frieder Schlaich und den 1995 viel zu früh verstorbenen Autoren Thomas Strittmatter, nach dem heute der MFG-Drehbuchpreis benannt ist. Marianne Gassner, lange Chefin der Film Comission, beschwört die Aufbruchstimmung 1995, als der erste Diplomjahrgang die Filmakademie verließ.

Beide würdigen Oliver Mahn, der die Filmschau seit 2001 leitet, sie ins Metropol-Kino geholt und ihr Glanz gegeben hat. „Der baden-württembergische Film hat schon einen Roten Teppich verdient“, sagt Krauß.

Einig sind sie sich auch darin: Die Partys waren früher besser. Damals, als es in Stuttgart noch ein Filmhaus mit Ballroom gab.

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