Greta Klingsberg und Annika Foto: Wilder Süden

Holocaust? Nicht schon wieder! So reagierte die Jugendtheatergruppe der Berliner Schaubühne, als sie die im KZ Theresienstadt aufgeführte Kinderoper „Brundibár“ spielen sollte. Dokumentarfilmer Douglas Wolfsperger zeigt , wie eine Reise mit einer Überlebenden die Jugendlichen umgestimmt hat.

Stuttgart - Zwei Frauen liegen auf einer Wiese. Es könnten Großmutter Greta und Enkelin Annika sein. Sie lachen sich an, die Gesichter wirken offen. Auf dem Kinoplakat ist darüber ein zweites Foto: Zwei Mädchen umarmen einander, lächeln in die Kamera. Es sind die junge Greta und ihre Schwester. Beide Mädchen waren im Konzentrationslager Theresienstadt, später in Auschwitz. Greta hat überlebt, ihre Schwester nicht. Der vom Bodensee stammende Regisseur Douglas Wolfsberger erzählt in seinem Dokumentarfilm „Wiedersehen mit Brundibár“ von Greta, Annika und einem Glücksfall, der alle Beteiligten verändert hat.

„Brundibár“, 1938 komponiert von Hans Krása nach dem Libretto von Adolf Hoffmeister, wurde heimlich uraufgeführt in einem jüdischen Waisenhaus in Prag, vor allem aber bekannt durch 55-maliges Spielen im Konzentrationslager in Theresienstadt.

Was die jungen Berliner Schauspieler in ihrer Ablehnung zunächst nicht wussten: Greta Klingsberg, die in Theresienstadt in fast allen Aufführungen die weibliche Hauptrolle der Annika spielte, lebt noch.

„Lasst euch nicht manipulieren"

Ohne pädagogischen Zeigefinger, dafür mit großer Sensibilität zeigt der Film, wie Klingsberg geistige Scheuklappen zur Seite schiebt, Klischees über den Holocaust aufbricht, zum Ventil für die Jungschauspieler wird, die eigene Lebensbrüche erlitten haben. 2014 wurde „Nach Brundibár“ in der Regie von Uta Plate an der Schaubühne am Lehniner Platz mit großem Erfolg aufgeführt, Wolfsperger drehte seinen für den Prix Europa 2014 nominierten Dokumentarfilm „Wiedersehen mit Brundibár“ über alle Phasen des Projekts. Und die Mitglieder der Jugendtheatergruppe haben auch dank der außergewöhnlichen Persönlichkeit der Greta Klingsberg eine kaum mit Worten zu beschreibende innere Entwicklung vollbracht.

Jubel brandet auf, als die 85-Jährige bei der Berliner Deutschlandpremiere von Wolfspergers Film vor die eigens aufgebaute Kinoleinwand tritt. Klingsberg, vital, couragiert, selbstironisch, winkt ab. Zeit ihres Lebens hat sie Theater gespielt, gesungen, und auch als „Zeitzeugin“ gehören öffentliche Auftritte zu ihrem Alltag. Nicht müde aber wird sie zu sagen: „Lasst euch nicht manipulieren, egal, an welchem Platz ihr im Leben steht.“

Ja, Erinnern müsse sein, bestätigt sie, die im Alter von acht Jahren von ihren Eltern getrennt wurde, nach Theresienstadt kam, dort mit 29 anderen Kindern in einem Raum „wie ein mittleres Wohnzimmer so klein“ lebte, hungerte, fror, keine Schule besuchen durfte. Aber „besser als Gedenkfeiern oder Gedenkstein-Haufen“ sei, Zeitzeugen zu befragen. „An einem Gedenktag, da sollst du plötzlich traurig sein und bist es vielleicht gerade gar nicht, das ist doch eigentlich komisch“, gibt Klingsberg zu bedenken.

Ein junger Kinobesucher möchte wissen, wie das möglich war, so viele Kinder in einem so kleinen Raum? „Wir schliefen in Stockbetten, immer drei übereinander“, antwortet die aus Jerusalem Angereiste. Jeden Tag seien Kinder verschwunden „auf Transport“. Der letzten Bedeutung dieses Begriffes seien sie sich als Kinder nicht bewusst gewesen. „Aber wir wussten, dass es nichts Gutes verhieß“, sagt Klingsberg. „Das Theater war meine Rettung. Wer die Hauptrolle hatte, wurde nicht so einfach deportiert, wer das Theater hatte, vergaß für die Zeit, in der er spielte.“

Holocaust, nicht schon wieder? Der Protest der Berliner Jungschauspieler schwindet, als sie gemeinsam mit Greta Klingsberg nach Theresienstadt fahren. Die Kamera von Frank Amann und Igor Luther begleitet sie. Auch hier ein Gedenkort, auch hier von Grün überwucherte Eisenbahnschienen, auch hier das Hinweisschild „Krematorium“. Aber es ist anders als in der Schule. „Da weißt du, irgendwann in der neunten Klasse ist der Holocaust Schulstoff, da hörst du ein paar Fakten, und einige Zeit später schreibst du eine Klausur“, sagt Jungschauspielerin Ikra, Mitglied der Jugendtheatergruppe.

In einem Filmmoment stehen sich Ikra und Greta gegenüber, Greta erzählt von ihrer ermordeten Schwester, Ikra sagt: „Ich hab’ auch jüngere Geschwister“, Greta: „Schön, dass du sie hast.“ Tränen fließen, und plötzlich ist die Ermordung von sechs Millionen Juden, unter ihnen viele Kinder, ganz, ganz nah.

„Das Thema Holocaust ist durch, wenn es um die Filmförderung geht“, sagt Douglas Wolfsperger, dem man in einem Ablehnungsbeschluss bescheinigte, nur schwer könne „eine ausreichend große Zielgruppe erreicht werden“, das Thema sei „bereits oft behandelt“. Nun sucht er Spenden.

Die Folgen von Manipulation haben Ikra und Annika, die in „Nach Brundibár“ die weibliche Hauptrolle spielt, in Jerusalem erlebt, als sie Greta besuchten. Arabische Kinder gingen auf Ikra los, forderten ein muslimisches Glaubensbekenntnis von ihr, drohten ihr massiv. Greta Klingsberg ging dazwischen. „Es war fürchterlich“, sagt Annika. Trotzdem wünscht sich Greta Klingsberg, „Brundibár“ solle in arabischer Sprache aufgeführt worden. Sie, die das tschechische Libretto ins Hebräische übersetzt hat, sagt: „Warum nicht auf Arabisch, es wurde doch schon in vielen Sprachen gespielt. Ich kann Arabisch.“

Infos zur Filmschau Baden-Württemberg

„Wiedersehen mit Brundibár“ feiert an diesem Donnerstag um 20.30 Uhr im Kino Metropol Stuttgart-Premiere im Rahmen der Filmschau Baden-Württemberg. Zu Gast sind die Holocaust-Überlebende Greta Klingsberg und der Regisseur Douglas Wolfsperger.

Die Filmschau mit ihrem neuen Stauferlöwen-Logo findet von 3. bis 7. 12. im Metropol-Kino (Bolzstraße 10) statt, Eröffnung ist heute um 20 Uhr mit dem Filmdrama „Be My Baby“. An diesem Donnerstag um 18.30 Uhr wird der Wettbewerb um den Jugendfilmpreis eröffnet. Preisverleihung ist am Sonntag, 7. 12., um 19 Uhr im Metropol-Kino. Um 21.15 Uhr läuft der Gewinner-Spielfilm.

Informationen im Netz unter: www.20.filmschaubw.de www.11.jugendfilmpreis.de