Auf dem Marktplatz waren Autos Anfangs der 1960er Jahre ganz normal. Foto:  

Hobbyfilmer kommen jetzt groß raus: Für ein Stadtportrait sucht das Haus des Dokumentarfilms Filmschätze aus Privatarchiven.

Stuttgart - Die Reichsgartenschau auf dem Killesberg im Jahr 1939, der Wochenmarkt auf dem Schillerplatz, der Sonntagsausflug mit Kind und Kegel in die Wilhelma, das Badevergnügen im Höhenfreibad Killesberg und im Mineralbad Leuze, die Taufe der Kinder, die Hochzeit der Schwester oder der Weihnachtsabend im Familienkreis: Da surrten die Kameras der Hobbyfilmer, die wichtige Momente im Leben auf Zelluloid festhalten wollten oder von unwiderstehlich schönen Motiven wie der Blütenpracht am Killesberg animiert waren. Denn in Stuttgart, weiß man im Haus des Dokumentarfilms, ist im vergangenen Jahrhundert sehr viel mehr von Privatleuten gefilmt worden als professionell fürs Kino. Bewunderung und Beifall waren jedoch dem privaten Umfeld vorbehalten. Dann wurde das Wohnzimmer zum Vorführraum, eine Leinwand entrollt, der Projektor aufgebaut und die Leistung des Amateurs gebührend bestaunt.

Haus des Dokumentarfilms sucht für Portrait über Stuttgart private Filme

Was auch als historisches Gedächtnis für Kinder und Kindeskinder gedacht war, lagert heute, im besten Fall wohlgemerkt, unbeachtet und fast vergessen in irgendeiner Ecke. Zeit, die Rollen herauszuholen, denn jetzt schlägt ihre große Stunde: Für ein aktuelles Filmportrait über Stuttgart sucht das Haus des Dokumentarfilms nach solchen privaten Schätzen und lädt dazu ein, sie am Samstag, 28. April, von 10 bis 16 Uhr ins neu eröffnete Stadtpalais, dem Stadtmuseum, zu bringen.

„Viele Leute wissen gar nicht, dass sie irgendwo, versteckt in Schränken, im Keller oder auf der Bühne, solche Schätze besitzen“, vermutet Thomas Schneider, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Haus des Dokumentarfilms. Daher die dringende Bitte: „Guckt nach und überlasst sie uns.“ Denn diese Filme bringen den Alltag nah. Sie dokumentieren das Leben in der Stadt, in der Familie, der Freizeit und der Fabrik und bieten damit sehr viel mehr als nostalgische Unterhaltung: „Sie geben einen spannenden Einblick in den Alltag unserer Vorfahren und zeigen, was für wert erachtet wurde, auf den teuren Film gebannt zu werden“, sagt Anita Bindner, die den aktuellen Film über Stuttgart dreht. Der letzte endete im Jahr der Leichtathletik-WM anno 1993, der neue wird unter anderem die folgenden Jahrzehnte dokumentieren, nicht nur mit professionellem Material, zum Beispiel von den Film- und Fernsehautoren, sondern auch mit privaten Szenen.

Samstag sichten Profis die Privatfilme

Thomas Schneider ist zuversichtlich, dass viele Besitzer ihren Schätzen diese öffentliche Aufmerksamkeit gern gönnen. Das Haus des Dokumentarfilms wurde 1991 gegründet. Ein wichtiger Bestandteil ist die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg, deren Auftrag es ist, Filme aus dem Südwesten zu sammeln – inzwischen rund 10 000 Filme, viele davon Amateuraufnahmen, aber auch professionelle Filme unter anderem von Firmen und aus Nachlässen.

Schon vor gut 120 Jahren war Stuttgart im Fokus eines französischen Kameramannes, der für die Gebrüder Lumière, die Erfinder der laufenden Bilder, arbeitete. Die Aufnahmen wurden auf Messen, Jahrmärkten, in Varietés und den ersten Kinos dem staunenden Publikum vorgeführt. Selbst zu filmen war lange ein Privileg der Begüterten: Die Kamera kostete 1000 Mark, eine Film-Minute 20 Mark, dafür schaffte ein Industriearbeiter fast drei Tage. Eine der ersten Filmkameras besaß der Fabrikantensohn Hermann Hähnle (1879–1965), der den Besuch des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in Stuttgart auf 35-Millimeter-Film festhielt. Zum verbreiteten Hobby wird das Filmen, als in den dreißiger Jahren die 8-Millimeter-Schmalfilmkamera auf den Markt kommt und Kodachrome in Amerika 1935 den ersten Farbfilm liefert, gefolgt von Agfacolor ein Jahr später.

Da muss sich doch was finden, was am Samstag im Stadtpalais von den Profis vom Haus des Dokumentarfilmes angeguckt und dankbar entgegengenommen werden kann. Den Blick in die Vergangenheit bieten nonstop laufende Filme aus der Nostalgie-Schatzkiste. Und von 10 bis 14 Uhr wird der Videojournalist Joachim G. Sauer wertvolle Tipps geben, wie man die Aufnahmen aus dem Videozeitalter erhalten und auf neue Medien überspielen kann.