Unterstütze die Dreharbeiten: Stadtdekan Christian Hermes Foto: Peter Petsch

Ein Film reißt alte Wunden auf. Die „Verfehlung“ greift den Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche auf. Stadtdekan Christian Hermes hat die Dreharbeiten unterstützt. „Es ist wichtig, dass wir uns dieser Problematik stellen“, sagt er.

Stuttgart - Am Anfang war das Gebet. Ein Stoßgebet, das um Vergebung und Seelenruhe bittet. „Herr, bitte gewähre mir eine ruhige Nacht.“ Jakob (Sebastian Blomberg) drückt das Gewissen. Er ist Mitwisser einer sündhaften „Verfehlung“, so der Titel des Kino-Films von Gerd Schneider. Deshalb betet er flehentlich.

Jakob ist Freund des Täters Kai Schumann. Er sieht die Not der jungen Opfer. Vor allem aber fühlt sich der Priester Jakob seinem Dienstherr, der römisch-katholischen Kirche, verpflichtet. Er steht zwischen allen Fronten.

„Glaube, Vertrauen, Zweifel.“

Der Untertitel des Films, der Jakobs inneren Konflikt beschreibt, ergreift den Zuschauer zusehends mehr. Das Schweigen und die Vertuschungsversuche der Kirche. Die Bagatellisierung des Täters. All dem gibt Regisseur Schneider in einer ruhigen Bildsprache weiten Raum. Unbeteiligte fühlen in diesem Drama Unbehagen. Opfer von sexuellem Missbrauch gehen während des Films sogar wieder durch ihre persönliche Hölle.

"Mir hat diese Geschichte den Hals zu geschnürt"

Auch an diesem Tag sitzt ein Missbrauchsopfer bei einer Sondervorführung in den Stuhlreihen im Stuttgarter Kino Cinema. Betroffen ringt es nach der Vorstellung um Worte: „Mir hat diese Geschichte den Hals zu geschnürt. Die alte Wut kam zurück. Und meine Hoffnung, dass dieses Kartell des Schweigens und mit ihm der Täter auffliegt, wuchs während des Films mit jeder Minute.“

Zum Hintergrund: Im Sommer des Jahres 2010 geriet die katholische Kirche in Deutschland durch die Aufdeckung ungezählter Missbrauchsfälle im Berliner Canisius-Kollegs in eine schwere Krise. Seitdem beklagt die Kirche in der Gesellschaft einen großen Vertrauensverlust. So verwundert es nicht, dass in Teilen der katholischen Kirche angesichts dieser Verfilmung Missstimmung herrscht. Auch in Stuttgart.

„Wir hatten einige Diskussionen“, gibt Stadtdekan Christian Hermes zu. Nicht alle waren begeistert, dass der Film auch in Stuttgarter Kirchen und Gemeinden gedreht wurde. Manche sagten: „Muss das jetzt sein.“ Sie wollten nicht, dass alte Wunden aufgerissen werden. Für Hermes gilt jedoch: „Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik steht über allem. Deshalb habe ich dieses Filmprojekt auch unterstützt.“

Er hat es nicht bereut. Nachdem sich Hermes die „Verfehlung“ angeschaut hatte, meint er: „Es ist ein schrecklich guter Film.“

Es gibt kein System der Vertuschung

Besser kann man die Ambivalenz, die dieser Streifen auslöst, wohl nicht ausdrücken. Die „schrecklichen“ Taten an Schutzbefohlenen hat der Regisseur und Drehbuchautor Schneider „gut“ in Szene gesetzt.

Profitiert hat Gerd Schneider dabei von seinen eigenen Erfahrungen: „Diese Fragen liegen mir sehr nahe: Ich war selbst Priesteramtskandidat der Erzdiözese Köln und festen Willens, mein Leben in den Dienst der katholischen Kirche zu stellen. Vor dem Hintergrund dieser tief greifenden Erfahrung war es mir wichtig zu erzählen, dass es kein System der Vertuschung gibt, aber das Vertuschen durchaus systematische Züge hat.“

Dieser seriöse Ansatz ist es, den auch Stadtdekan Hermes goutiert: „Ich bin froh, dass dieser Film die feinen Zwischentöne findet. Es ist kein plumpes Haudrauf auf eine vermeintliche Kinderschänder-Kirche.“ Zudem seien die Strukturen und die inneren Verhältnisse der Institution Kirche sehr gut beschrieben. „Sehr authentisch“, lobt der Monsignore, „gerade dieser Loyalitätskonflikt in dem sich manche befinden wird gut dargestellt.“

Den Ritterschlag bekommen die Schauspieler und der Regisseur jedoch von Jesuiten-Pater Klaus Mertes. Nach den 95 Minuten „Verfehlung“, die am 23. März in die Kinos kommen, meint er: „Mich hat die Darstellung der Figur des Jakobs am meisten beeindruckt.“

Bis zu hundert Kinder missbraucht

Dazu muss man wissen: Mertes kennt diese Rolle und die inneren Nöte am besten. Mertes war seinerzeit Rektor des Canisius-Kollegs. Er hat die sexuellen Übergriffe 2010 öffentlich gemacht. Ein Täter hatte bis zu hundert Kinder missbraucht. Erschüttert meinte Mertes damals: „Hier geht es nicht um Einzelfälle, sondern um Verbrechen in Serie.“

Auch im Film kommt das Ungeheuerliche in homöopathischen Mengen ans Licht. Manchmal ganz ohne Worte. Allein mit der Kraft des Bildes. Zum Beispiel mit der eingenässten Hose eines Missbrauchopfers. So spielt Schneider mit der Empörung der Zuschauer. Er mutet den Betrachter allerhand zu. Und er lässt einen Spannungsbogen wachsen, an dessen Ende alle stumm nach Gerechtigkeit schreien.

Tatsächlich ist es während des Abspanns im Kinosaal totenstill. Minutenlang. Es passiert in den Köpfen der Zuschauer das Notwendige: Ein Skandal wird aufgearbeitet. Für die einen ist es schmerzvoll, für andere lehrreich. Aber alle ahnen: Dies ist kein spezifisches Problem der Kirche, sondern der Gesellschaft. Christian Hermes fühlt sich in diesem Moment als Unterstützer des Projektes bestätigt: „Es ist wichtig, dass wir uns dieser Problematik stellen.“