Atemberaubende Tiefen: Robert Zemeckis hat den New Yorker Seiltanz in „The Walk“ mit Joseph Gordon-Levitt in 3-D gedreht Foto: Sony

Am 7. August 1974 balancierte der Franzose Philippe Petit achtmal auf einem Stahlseil von einem Turm des World Trade Center zum anderen – in 417 Meter Höhe. Robert Zemeckis hat das tollkühne Kunststück nun unter dem Titel „The Walk“ verfilmt und verrät im Interview, was ihm dabei wichtig war.

New York – Mr. Zemeckis, stimmt es, dass Sie in einem Kinderbuch über die Geschichte von Philippe Petit gestolpert sind?
Ja stimmt, das ist wahr! Es war ein kleines, illustriertes Buch mit dem Titel „The Man Who Walked Between The Towers“. Ich selbst hatte gar keine Erinnerung an das Ereignis, das ging völlig an mir vorbei. Ich war, denke ich, zu der Zeit auf der Filmschule und hatte keine Verbindung zur Außenwelt. Über das Buch erfuhr ich zuerst davon, und dann las ich auf dem Buchrücken, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt. Ich habe dann recherchiert und war begeistert.
Sie haben stereoskopisch gedreht und atemberaubende dreidimensionale Tiefe erzeugt – was hat Sie an 3-D gereizt?
Die Idee gibt es ja schon lange, aber es hat nie richtig funktioniert, solange der Film mechanisch transportiert wurde und die beiden Bilder nie ganz synchron waren. Mit der Einführung der digitalen Projektion hat sich das geändert. Ich glaube aber, dass niemals alle Filme in 3-D sein sollten. 3-D sollte eine dramaturgische Wahl sein, eine emotionale Wahl. Und es sollte organisch zu der Geschichte passen, die man erzählen möchte. „The Walk“, ein Seiltanz zwischen zwei Wolkenkratzern mit riesigen Räumen, hat sich für mich immer angefühlt wie 3-D. Bei meinem vorigen Film, dem Flugpiloten-Drama „Flight“, hätte ich niemals erwogen, ihn in 3-D zu machen.
Worauf kommt es an, wenn man in 3-D dreht?
Man plant die ganze, gesamte Geschichte in 3-D durch. Das Problem in Hollywood ist, dass viele Filme nach dem Dreh einfach konvertiert werden in 3-D, ohne entsprechend gestaltet worden zu sein. Deshalb funktionieren die nicht, und wenn man die 3-D-Brille während der Vorführung abnimmt, sieht man auch, dass das 3-D die meiste Zeit über abgestellt ist. Besonders, wenn es viele schnelle Schnitte gibt oder eine Szene eine Menge Action beinhaltet. Stereoskopie ist eine sehr spezielle Art des Filmemachens, man muss sich bei jeder Einstellung genau überlegen, was man damit anstellen will.
Ihre Perspektive ist ungewöhnlich, der Hauptdarsteller erzählt die Geschichte rückblickend.
Das war eine stilistische Entscheidung. Ich habe mit der Planung zu „The Walk“ vor über zehn Jahren angefangen, lange vor dem Dokumentarfilm, und sehe den Film als ein historisches Gemälde, eine Interpretation dessen, was damals geschah. Weniger als eine Art detailgetreue, akkurate Wiedergabe. Es gibt meiner Meinung nach keine Möglichkeit, einen narrativen Film zu machen, ohne sich gewisse Freiheiten zu erlauben. Also ist doch die Frage: Welchen Teil der Geschichte möchte ich erzählen? Was für Freiheiten nehme ich mir dabei?
Waren die Entscheidungen in diesem Fall schwierig?
Dies ist der erste Film, den ich über eine reale Person gedreht habe. Petit war anfangs skeptisch, was die Verfilmung anging, aber ich habe verstanden, was ihm so wichtig war: dass der Gang zwischen den Türmen so dargestellt werden sollte, wie er wirklich passiert ist. Das habe ich ihm geschworen, und das Versprechen habe ich gehalten. Ich habe ihm aber auch erklärt, dass sein Leben bis zu diesem Punkt und auch der Aufbau des Coups, dass dies alles filmisch verdichtet werden musste. Seine Geschichte war viel zu ausufernd, das hätte niemals in einem narrativen Film funktioniert. Das hat er verstanden, und er mag den fertigen Film sehr.
Bei „Der Polarexpress“ (2004) haben Sie die Bewegungen realer Schauspieler auf digitale Figuren übertragen. Welche Rolle spielt für Sie die Technik?
Die ganze Technologie sollte genutzt werden, um etwas Künstlerisches zu schaffen. Man sollte vermeiden, dass einem die Technologie in die Quere kommt, sie sollte immer dazu beitragen, etwas emotional auszudrücken! Dafür gibt es sie. Oft geht das dann durcheinander. Aber dieses Durcheinander gab es schon immer, denn das Filmemachen ist von Anfang an eine sehr technische Kunstform gewesen. Und sie entwickelt sich da auch noch immer weiter fort. Sie wird das also immer bleiben, da wird man immer eine Balance finden müssen. Das formt natürlich die Sprache des Kinos und verändert sie.
Inspiriert die Technik neue Geschichten, oder findet man über Geschichten zu neuen filmischen Techniken?
Ich habe immer beides im Auge: Zum einen bin ich stets auf der Suche nach neuen Techniken, zum anderen erinnere ich mich immer wieder daran, was meine Aufgabe als Filmemacher ist – eine merkwürdige Bezeichnung, wo es inzwischen gar keinen Film mehr gibt. Als Filmemacher stehe ich immer im Dienst einer emotionalen, berührenden Geschichte – meiner Meinung nach!
Wie bleiben Sie immer auf der Höhe der Zeit, was die neuen Technologien angeht?
Ich selbst kümmere mich eigentlich wenig darum. Ich mache das anders. Ich präsentiere meinem technischen Team eine Herausforderung und sage denen: Wir müssen eine Szene machen, in der er das und das tut, in der das und das passiert. Und dann frage ich: Ist das möglich? Ich frage mein Team, ob man es in einer Art und Weise zeigen kann, die man so noch nie vorher gesehen hat. Und dann fangen wir an, Ideen zusammenzutragen und uns auszudenken, wie man die Mittel benutzen kann, die uns zur Verfügung stehen.
Sie sind dann aber schon derjenige, der entscheidet, wie etwas gemacht wird?
Natürlich, und ich bin ja verliebt in neue Techniken. Man kann sie wunderbar benutzen. Man muss sich natürlich auch zusammennehmen und beschränken. Und man muss ein Zauberer sein. Man muss das alles mischen. Man kann nicht einfach eine bestimmte Technik anwenden, dann sieht der Zuschauer den Trick. Als Filmemacher muss man sich die Gaben eines Bühnenmagiers aneignen und die Illusion so zusammenbauen, dass der Zuschauer gebannt bleibt. Also benutzt man nicht eine bestimmte Sorte von Spezialeffekten, sondern man benutzt einfach alles, was die Filmgeschichte hergibt. Den einzigen Spezialeffekt, den wir hier bei „The Walk“ nicht benutzt haben, war der Zeichentrick, dafür gab es keine Verwendung für, sonst aber wirklich alles.
Welchen Raum nimmt bei Ihnen die Vorproduktion ein? In „The Walk“ gibt es so unglaublich visuelle Ideen, dass man meinen könnte, Sie schreiben kein Drehbuch, sondern eher ein großes Storyboard. In einer Szene zum Beispiel schaut die Kamera aus einem Zeitungsartikel heraus durch die Buchstaben und ein Bild der Türme auf den Leser.
Oh, das ist wirklich interessant, weil ich hier für meine Verhältnisse wirklich sehr ungewöhnlich herangegangen bin. Sehr gut erkannt! Ich habe den Film tatsächlich in einer Art und Weise geformt, wie ich es noch nie gemacht habe. Ich habe den echten Philippe Petit vor eine Kamera gesetzt in einem Green-Screen-Studio und habe ihn tagelang interviewt. Er ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, das können Sie auch im Dokumentarfilm erleben, er kann tagelang erzählen. Und ich habe all dies Material genommen und ihn dazu noch in einen Performance-Capture-Anzug gesteckt. Darin hat er für mich den Gang zwischen den Türmen noch einmal genau nachgespielt. Und wir haben das mit unserer modernen Computertechnik aufgezeichnet. Mit diesem Material, den Interviews und dem nachgespielten Gang sowie historischen Fotos habe ich dann wirklich eine Animatic erstellt, ein gefilmtes Storyboard, wie man es für Trickfilme macht. Ich habe also den geplanten Film aus diesem Bildermaterial zusammengebaut.
Sie haben das Drehbuch also hinterher geschrieben?
Exakt, ich habe das gefilmte Storyboard in ein schriftliches Drehbuch übertragen. Die ganzen Ideen mit dem Zeitungsartikel über die Türme des World Trade Center im Vordergrund habe ich da schon ausgearbeitet.
Haben Sie jemals daran gedacht, Ihre „Zurück in die Zukunft“-Trilogie in 3-D zu konvertieren?
Nein! Weil ich glaube, dass Filme historische Dokumente sind. Ich halte nichts davon, zurückzugehen und alles zu digitalisieren, um dann aus Gewehren plötzlich Funkgeräte zu machen. Ich halte Filme für Entertainment, die für das jeweilige Publikum hergestellt worden sind, dadurch werden sie in diesem Moment zu historischen Dokumenten. Aber ich muss zugeben, dass die „Zurück in die Zukunft“-Filme sich sehr gut als 3-D-Filme machen würden. Ich würde es aber trotzdem nicht tun. Sie sind sehr ähnlich gedreht worden, wie ich heute einen 3-D-Film machen würde. Damals habe ich daran keinen Gedanken verschwendet. Aber mit meiner heutigen Erfahrung auf diesem Gebiet würden sie als 3-D-Filme sicher gut wirken.
Sir Ben Kingsley spielt in „The Walk“ eine großartige Rolle als Mentor. Wie wichtig ist so eine Figur in so einem Film?
Der Mentor ist eine wichtige mythische Figur beim Geschichtenerzählen – es gibt immer einen Lehrling und einen Meister. Man findet das immer in dramatischen Geschichten durch alle Zeiten. Und in diesem Fall ist es tatsächlich so passiert, die Figur basiert auf der Realität. Der echte Papa Rudy ist der Figur sehr ähnlich, wie wir sie im Film porträtiert haben.
Wo werden Sie beim Filmstart sein?
In Japan. Aber ich werde geistig bei Ihnen sein, in jeder Zeitzone, überall!