Die nächtliche Erstürmung des Terroristen-Verstecks in „Zero Dark Thirty“ mutet an wie eine Fernsehreportage Foto: Verleih

Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch: Neun Oscars bekam „The Hurt Locker“ 2010, Kathryn Bigelows grandioses Drama über US-Bombenräumer im Irak. In „Zero Dark Thirty“ zeigt sie nun, wie Osama bin Laden zur Strecke gebracht wurde – und hat damit in den USA eine Kontroverse ausgelöst.

Stuttgart/Washington - Fast fühlt es sich an, als wäre man dabei, so nah am Geschehen sind Kathryn Bigelows Bilder von einer Nacht-und-Nebel-Geheimoperation des US-Militärs im Mai 2011. Mit raubeinigen Marine Spezialeinheiten in Kampfhubschraubern passieren die Zuschauer die afghanische Grenze, dringen mit grünstichigem Blick durchs Nachtsichtgerät in ein Anwesen im pakistanischen Abbottabad ein, wohnen einigen Erschießungen bei und schließlich derjenigen eines bärtigen Mannes: Osama bin Laden, Kopf des Terror-Netzwerks El Kaida.

In dieser letzten Phase hat „Zero Dark Thirty“ (im Militärjargon 30 Minuten nach Mitternacht) die dokumentarische Anmutung einer Fernsehreportage, die die Zuschauer einsaugt, Echtheit und Wahrhaftigkeit suggeriert, den Druck fühlbar macht, der auf den Männern lastet, ihre eingespielte Professionalität und die Kollateralschäden, die sie in Kauf nehmen. Schockierend? Zu diesem Zeitpunkt nicht mehr: Die Zuschauer haben bereits einem Sprengstoffanschlag auf eine US-Militärbasis zugeschaut und aus nächster Nähe CIA-Agenten bei brutalen Folterungen – inklusive des berüchtigten Waterboardings, bei dem Gefangenen Wasser übers verhüllte Gesicht laufen gelassen wird, so dass sie denken, sie würden ertrinken.

Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal, 2004 Kriegsberichterstatter im Irak und für „The Hurt Locker“ Oscar-prämiert, zeigen die trostlose Realität eines militärischen Konflikts, der von schmutzigen Mitteln auf beiden Seiten bestimmt wird, von geduldeten Menschenrechtsverletzungen auf amerikanischer und sogenannter asymmetrischer Kriegsführung auf islamistischer Seite.

In den USA hat der unabhängig finanzierte Film Kontroversen ausgelöst

Dabei sind es nicht nur die Bilder selbst, die irritieren und provozieren, es ist die kühle Distanziertheit, mit der die Filmemacherin auf das Geschehen schaut – dieselbe kühle Distanz, mit der die zynischen CIA-Agenten vorgehen bei der nahezu aussichtslos erscheinenden Suche nach Terroristen. Jessica Chastain, die in „Tree of Life“ (2011) blühendes Leben und Gefühligkeit verkörperte, versagt sich hier die Emotionen als ameisenhafte Agentin Maya, die sich verbissen an Hinweisen abarbeitet. Dafür bekam sie im Januar einen Golden Globe.

In den USA hat der unabhängig finanzierte Film mehrere Kontroversen ausgelöst. Die Republikaner kritisierten den geplanten Filmstart im Oktober 2012 kurz vor der Präsidentschaftwahl, witterten Wahlkampfhilfe für Amtsinhaber Barack Obama. Der Verleih verschob den Start. Auf ihrem Parteitag im August warfen die Republikaner Obama vor, er habe den Filmemachern Geheiminformationen beschafft, und machten daraus eine Kampagne. Eine Untersuchung erbrachte keine Hinweise dafür, dass Bigelow und Boal irgendwelche geheimen Dokumente zugespielt worden waren oder dass das Weiße Haus mit den Filmemachern in Kontakt gestanden hätte.

Erste Vorführungen brachten inhaltliche Fragen: Rechtfertigen Bigelow und Boal die Folter als Mittel, suggeriert ihr Film, Waterboarding habe zur Ergreifung bin Ladens geführt? Und trägt ihre Darstellung des US-Militärs propagandistische Züge?

CIA-Chef pries nach bin Ladens Tod den Erfolg des Waterboardings

Die US-Senatoren Dianne Feinstein und Carl Levin erklärten nach einer dreijährigen Untersuchung der Verhörmethoden der CIA, Waterboarding habe keine entscheidenden Hinweise erbracht. Der frühere Präsidentschaftskandidat John McCain, im Vietnamkrieg selbst ein Opfer von Folter, sagte in einer Rede im Senat, durch Folter sei man im Gegenteil an falsche und irreführende Informationen gekommen. CIA-Chef Michael Morell schrieb in einem öffentlichen Brief, „enhanced interrogation“ (erweitertes Verhör), eine beschönigende Beschreibung für Waterboarding und andere folterähnliche Verhörmethoden, habe im Fall bin Laden keine Schlüsselrolle gespielt; es seien vielmehr Ermittlungsergebnisse aus unterschiedlichen Kanälen zusammengeflossen.

All dem widersprechen Aussagen, die G. Roger Denson am 17. Januar 2013 in der Online-Zeitung „Huffington Post“ veröffentlicht hat: Der damalige CIA-Chef Leon Panetta pries drei Tage nach bin Ladens Tod den Erfolg des Waterboardings, und der frühere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte am 3. Mai 2011 dem Fernsehsender Fox News, man habe bin Laden nur aufgrund dieser Verhörmethode gefunden.

Ganz grundsätzlich wurde David Edelstein in Vulture, einem Online-Blog des „New York Magazine“ am 10. Dezember 2012: „Zero Dark Thirty“ bewege sich in moralischer Hinsicht „im Grenzbereich zum Faschistischen“, sei künstlerisch aber ein „unheilvolles Meisterwerk“. Die Autorin und Polit-Aktivistin Naomi Wolf zog am 4. Januar 2013 im englischen „Guardian“ in einem Brief an Bigelow gar einen Vergleich zur Nazi-Propagandistin Leni Riefenstahl: „Wie Riefenstahl sind Sie eine große Künstlerin. Aber nun werden Sie für immer als Dienerin der Folter in Erinnerung bleiben.“

Bigelow hat sich mehrfach zu den Vorwürfen geäußert und in einem Essay am 15. Januar 2013 in der „L. A. Times“ geschrieben: „Als lebenslange Pazifistin unterstütze ich jeden Protest gegen die Anwendung von Folter und (. . .) jede Art von unmenschlicher Behandlung.“ Folter sei ein Teil der im Film erzählten Geschichte, den sie nicht habe ignorieren können – sie wegzulassen wäre einer Beschönigung der Geschichte gleichgekommen, ergänzte sie kurz darauf in der Satiresendung „The Colbert Report“.

Tun, was getan werden muss

Tatsächlich steht das Waterboarding ganz am Anfang des Films und ist nur ein kleiner Teil einer langen Ermittlungsarbeit, allerdings ein besonders verstörender. Der CIA-Folterknecht Dan, der die junge Agentin Maya in die Realität einführt, tut, was aus seiner Sicht getan werden muss und was man ihn tun lässt – er spiegelt also weniger die Geisteshaltung der Filmemacher wider als vielmehr die seiner Befehlsgeber, in diesem Fall des früheren US-Präsidenten George W. Bush, dessen Vizepräsidenten Dick Cheney und Rumsfeld; Menschenrechtsorganisationen fordern seit einiger Zeit, die drei müssten wegen der Misshandlung von Gefangenen vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden.

Hinzu kommt das unerhörte Charisma, das der Schauspieler Jason Clarke in die Rolle legt: Dan ist eigentlich ein netter Kerl mit zutiefst menschlichen Zügen, der sich väterlich um die Kollegin kümmert, kleine Affen mit Eis füttert – und auch dann noch sympathisch wirkt, wenn er zynisch Bedauern äußert, als die Folter verboten wird.

Dieser verführerische Charakter verkörpert nicht nur idealtypisch den moralischen Zwiespalt und die Irrationalität menschlichen Handelns, er zieht auch die Zuschauer hinein, bedrängt sie regelrecht mit seiner aufrechten Freundlichkeit.Bigelow, die nahe San Francisco als einziges Kind einer Bibliothekarin und eines Managers einer Farbenfabrik aufwuchs und mit 30 Jahren ihren ersten Spielfilm drehte, zwingt ihr Publikum dazu, sich mit den eigenen Widersprüchen zu konfrontieren.

Ein Film ohne doppelten Boden

Die Darstellung der Militäroperation wiederum hält sich exakt an die offizielle Version, die die Regierung Obama als glorreichen Erfolg für sich reklamiert hat. Von einer Glorifizierung des Militärs kann dennoch keine Rede sein: Das Eindringen nach Pakistan ist eindeutig als völkerrechtswidrig gekennzeichnet, und in bin Ladens Festung werden im Eifer des Gefechts auch unbewaffnete Frauen erschossen.

Verstörend bleibt vor allem, dass Bigelow und Boal stur abbilden. Ohne doppelten Boden wie Francis Ford Coppola in „Apocalypse Now“, bei dem ein Offizier im Vietnamkrieg GIs im Bombenhagel zum Surfen schickte und sagte: „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen.“ Provokativ führt „Zero Dark Thirty“ eine zynische Logik vor – ein gefährliches, mutiges Spiel, mit dem Bigelow eines auf jeden Fall erreicht hat: Es wird wieder diskutiert, über Folter, Menschenrechte, den Anti-Terror-Krieg an sich.

„Zero Dark Thirty“ ist ab zwölf Jahren freigegeben. Bei Kindern unter 16 scheint dennoch elterliche Begleitung geboten. Der Film läuft in Stuttgart in den Kinos Cinemaxx (SI), Metropol und Ufa.