Newt Scamander (Eddie Redmayne) glaubt an das Recht der gefährlichen Fabeltiere, zu leben. Er will all jene retten, denen andere die Ausrottung wünschen. Foto: dpa, Verleih

Joanne Rowling kehrt als Drehbuchautorin ins Harry-Potter-Universum zurück. Und nie haben wir schönere Bilder von dort zu sehen bekommen als im 1926 in New York spielenden „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“.

New York - Wie fängt man eigentlich eine fantastische Kreatur, wird einmal der Zauberer Newt Scamander gefragt, der kurz zuvor einen alten Lederkoffer mit bedenklich wackeligen Schlössern und voller magischer Tierwesen durch die Zollkontrolle am New Yorker Hafen geschmuggelt hat. „Nur unter enormen Anstrengungen“, verrät der mit vielen Regeln und Vorurteilen der Zauberergemeinschaft überworfene Artenschützer. Womit wir eines bereits geklärt hätten: „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“, der wahrlich spektakuläre neue Film aus dem Harry-Potter-Universum, der im Jahr 1926 in den USA spielt, also lange vor Harry Potters Geburt, kündigt im Titel eine Vermittlung von Geheimwissen an, die nie erfolgt. Das Famose: das ist die einzige Enttäuschung, die er zu bieten hat.

Denn auch wenn die Frage, wie man einen Blockbuster produziert, normalerweise mit Scamanders Worten beantwortet werden könnte, „nur unter enormen Anstrengungen“, ist diese mit High-End-Schauwerten aufwartende Großproduktion doch von Beginn an von erhebender Leichtigkeit und ganz liebenswertem Ernst. „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ begreift sich nicht als neurologische Erkenntnisse und kalte Marktforschung nutzende Reflexerzwingungsmaschine eines Pawlowschen Vergnügungsparks, sondern als Brückenbauer zwischen erfundenen Figuren und realem Publikum, die beide Respekt verdienen.

Keine Kompromisse mehr

Diesmal mussten keine umfangreichen Romanvorlagen eingekürzt werden. Joanne Rowling selbst hat „Phantastische Tierwesen“ eigens für die Leinwand geschrieben. Der Film ist also frei von den dramaturgischen Kompromissen und Unwuchten, auch dem Schuldbewusstsein gegenüber den auseinander strebenden Fanerwartungen, die in unterschiedlichem Maße alle Harry-Potter-Adaptionen durchzogen. Und der britische Regisseur David Yates hat zwischen 2007 und 2011 bereits den fünften, sechsten, siebten und achten Harry-Potterfilm verantwortet, neben den „Herr der Ringe“-Adaptionen immerhin die am heikelsten zu lenkenden Großkarnevalswagen, die damals im Weltkino unterwegs waren. Er bewegt sich mittlerweile offenbar mit derselben Souveränität und Zuneigung durch diesen fiktiven Kosmos wie Rowling selbst. Wir werden hier nicht in den Rücken gestoßen und möglichst schnell durch einen Budenzauber getrieben, dessen Schäbigkeit uns dank der Eile nicht auffallen soll, wie etwa in den „Transformers“-Filmen. Wir werden an der Hand genommen und durch eine verschmitzte, schlaue, in jedem Detail sorgfältig ausgeführte Zauberwelt geführt, auf die ihre Erbauer zu Recht stolz sind.

Vieles an der Konfliktarchitektur ist aus den Potter-Büchern schon vertraut, ohne dass etwas aufgewärmt wirkt. Auch in den USA leben die Zauberbegabten in einer gut abgeschirmten Parallelgesellschaft. Die in Potters England Muggles genannten Normalmenschen werden von den Amis als No-Majs bezeichnet, als Magielose also. Nie sollen sie etwas ahnen von den Andersbegabten, ein Prinzip, über das eine geheime Zaubererbehörde grimmig wacht. Doch unter den Zauberern gibt es Renegaten, die den offenen Konflikt suchen. Je mehr destruktive Magie aufsehenerregenden Schaden in der No-Maj-Welt anrichtet, desto schneller wird es zum Bürgerkrieg kommen, den dann bitte die Zauberer gewinnen sollten. Tatsächlich sind die Magiehasser bereits als Sekte aktiv in New York und fordern auf Flugblättern, es brauche dringend wieder Hexenverbrennungen.

Vorm Hintergrund populistischer Angst- und Hasshetzereien ist ein Idealist, der ein keinesfalls ausbruchsicheres Behältnis voll wilder Fabelwesen bei sich trägt, ein Politikum. Scamander, von Eddie Redmayne mit dem ganzen Charme jener Verrückten gespielt, die in jeder Wüste ein Frühbeet anlegen würden, will die gehetzten Kreaturen in seinem Koffer, diese vermeintlichen Pestschleudern unkontrollierbarer Magie, vor der Ausrottung durch die Zauberer schützen. Aber bald sind ihm die Häscher auf den Fersen, und noch schneller sind einige Kreaturen aus dem Koffer geschlüpft. Zum Beispiel eine Art Schnabeltier mit großer kleptomanischer Energie und einem Bauchbeutel, der einen Juwelierladeninhalt beulenlos fasst.

Auch wenn sie sich nicht durch eine Stadt der Feinde und Paniker bewegen müssten, hätten Scamander und seine Unterstützer, die ins Büro für Zauberstablizenzen verbannte Ex-Auditorin Porpentina Goldstein (Katherine Waterston) und der beleibte No-Maj Jacob Kowalski (Dan Fogler), ein Fabrikarbeiter mit Träumen von der eigenen Bäckerei, alle Hände voll zu tun, das entwichene Wunderviehzeug zurück in die magisch großen Gehege im erstaunlich kleinen Koffer zu locken.

Politik und Poesie

Einerseits ist „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ von jenem politischen Geist durchdrungen, der auch Yates‘ Potter-Filme prägte, vom meist in Bildern und selten über Dialoge ausgedrückten Bewusstsein für den schlummernden faschistischen Zug in der Biederwelt. Auch kann einem der Anblick der Tiere in Scamanders Obhut das Herz zerreißen. Sie sind ein Sinnbild für den rapiden Artenschwund, für die Verarmung des Planeten, die sich unter einem US-Präsidenten Donald Trump, der offen das Ende der Naturschutzprogramme ankündigt, noch einmal beschleunigen wird.

Andererseits folgt diese Fantasy-Produktion einem der ältesten Impulse des Kinos: uns etwas in der Realität nicht Vorhandenes fast greifbar vor Augen zu führen, um unseren Glauben an das Wunderbare, das nicht Ausrechenbare der Welt zu stärken. Natürlich werden dazu Computertricks eingesetzt, jene CGI-Bilder, mit denen Hollywood oft um sich wirft, als ginge es darum, die Emotionsstürme eines Hysterikers in rabiate Bildfetzen zu übersetzen.

„Phantastische Tierwesen“ aber funktioniert völlig anders. Hier geht es dem Kino nicht darum, zu zeigen, was es selbst mit seinen Effektmaschinen alles vermag. Hier will es vielmehr zeigen, was seine wunderbaren Geschöpfe können. Das ist trotz des gleichen Produktionsaufwands der Unterschied zwischen gebrüllter Großmannssucht und geflüsterter Poesie.

Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Großbritannien, USA 2016. Regie: David Yates. Mit Eddie Redmayne, Katherine Waterston, Dan Fogler. 133 Minuten. Ab 6 Jahren. Cinemaxx Mitte und SI, Gloria, Ufa, OF Corso