Nicht alle Autofahrer, die Foto: Archiv Häusser

Die Filderstädter Bußgeldaffäre landet nun vor Gericht. Nach mehr als dreijähriger Ermittlungsarbeit erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen vier ehemalige Beschäftigte des Ordnungsamts wegen Rechtsbeugung.

Filderstadt - Nach mehr als drei Jahren seit Bekanntwerden der Filderstädter Bußgeldaffäre steuert sie nun auf ein Ende zu. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat entschieden, dass sich vier ehemalige Mitarbeiterinnen des Ordnungsamts vor dem Nürtinger Amtsgericht verantworten müssen

Sie sollen in der Zeit zwischen 2008 und 2011 mehrmals Verwarnungs- und Bußgeldbescheide zurückgehalten haben, um Verwandten und Bekannten die Geldzahlung und Punkte in der Flensburger Verkehrsdatei zu ersparen. Die erste der vier Verhandlungen, bei denen es jedes Mal um den Vorwurf der Rechtsbeugung geht, wird Mitte September stattfinden.

Damit wird den vier Frauen, deren Arbeitsverhältnisse Ende 2012 und Mitte 2013 gekündigt wurden, ein Verbrechen zur Last gelegt, das ein Strafmaß von einem bis fünf Jahren aufweist. Offen ist, ob die Angeklagten tatsächlich hinter Gitter müssen. Schließlich könnte das Schöffengericht Strafen unter zwei Jahren verhängen und diese dann auch zur Bewährung aussetzen.

Rechtsbeugung ist ein Verbrechen

Das scheint möglich, nachdem die Taten, die den Frauen zur Last gelegt werden, lediglich geringe materielle Schäden hervorgerufen haben. Die Höhe der Bußgelder, die der Stadtkasse entgingen, liegt laut Anklage zwischen zehn und 100 Euro. In den meisten Fällen handelt es sich um Geschwindigkeitsverstöße, die nicht geahndet wurden. Das Gesetz geht dabei jedoch nicht von einer Bagatelle aus. „Man muss bedenken, dass die Rechtsbeugung ein Verbrechen ist“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Jan Holzner. Schließlich handle es sich bei der Arbeit der Frauen um eine verantwortungsvolle Tätigkeit. In solche Entscheidungsträger setze der Bürger ein besonderes Vertrauen. Deshalb sei die vom Gesetz vorgesehene Strafe auch besonders hoch.

Die Frauen hatten außerdem, wie sich bereits bei einer Verhandlung vor dem Arbeitsgericht gezeigt hat, eine besondere kriminelle Energie entwickelt. So wurden die Kennwörter zur Anmeldung am Computer untereinander getauscht, um die einzelnen Fälle nicht zuordnen zu können. Trotzdem wirft die Anklage den vier Frauen nun vor, mehrmals das Recht gebeugt zu haben: einmal in drei und dreimal in vier Fällen. Die meisten Verstöße, die von den früheren Bediensteten des Ordnungsamtes nicht verfolgt wurden, sind laut Staatsanwaltschaft Geschwindigkeitsverstöße. Außerdem wurden das Auffahren auf ein stehendes Fahrzeug und ein Parkverstoß nicht geahndet.

Verfahren nicht eingeleitet oder eingestellt

Die entsprechenden Bußgeldverfahren wurden entweder nicht eingeleitet oder aber eingestellt. Zu den Begünstigten gehören offenbar auch ein Ehemann, ein Schwager und die Schwiegermutter einer Angeklagten, sowie städtische Bedienstete von Filderstadt und sogar ein Gemeindevollzugsbeamter aus einer Nachbarkommune. Inwieweit die Angeklagten von sich aus gehandelt haben ist noch nicht klar. Sie sollen jedoch in einigen Fällen auch angestiftet worden sein. Es wurden jedenfalls Verfahren gegen Begünstigte auch eingestellt.

Die Bußgeldaffäre war der damaligen Oberbürgermeisterin Gabriele Dönig-Poppensieker zum Herbst 2012 bekannt geworden. Sie hatte daraufhin Anzeige erstattet. Bereits im September 2012 wurde der ersten Mitarbeiterin fristlos gekündigt. „Wir hatten zunächst gedacht, das sei ein Einzelfall“, erklärte Rechtsreferent Helmut Dworatschek bei der Arbeitsgerichts-Verhandlung. Erst als das Rechnungsprüfungsamt den vollständigen Umfang der Affäre aufdeckte (siehe auch nebenstehender Bericht) folgten die Kündigungen von drei weiteren Mitarbeiterinnen.