Rainer Moritz und seine Mitarbeiterinnen Angela Wetsches (links) und Ruth Michaeli beim Wiegen und Verpacken Foto: Götz Schultheiss

In einer Serie stellen wir landwirtschaftliche Betriebe vor, die sich mit einem bestimmten Betätigungsfeld auf den Fildern oder im Schönbuch eine Nische geschaffen haben. Heute: ein Sprossenzüchter aus Filderstadt-Bonlanden.

Bonlanden - Man kann auch Landwirt sein, wenn das Feld, das man bestellt, nicht viel größer als ein Wohnzimmer ist. „Mein Acker ist etwa 20 Quadratmeter groß“, sagt Rainer Moritz. Die 20 Quadratmeter stecken in verschlossenen grauen Plastikkisten. In der Mitte der Deckel ist jeweils eine Öffnung für den Schlauch, der Wasser für eine Beregnungsanlage im Inneren spendet. Was dort gedeiht, ist wenige Zentimeter groß. Rainer Moritz ist Sprossenzüchter. Seit zehn Jahren gehört ihm der Betrieb „Keimland“ in Bonlandens Gewerbegebiet.

Soja, Alfalfa, eine Luzerne-Art, Brokkoli, Linsen, Kichererbsen, Dinkel, Radieschen, die asiatische Mung-Bohne und Rettich treiben aus Samen in zwei bis sieben Tagen Sprossen aus. Eine bis anderthalb Tonnen pro Woche kann Moritz davon produzieren. „Im Samenkorn speichert die Pflanze Nährstoffe fürs Wachstum. Beim Keimen reichern sich diese Nährstoffe in den ersten fünf bis sechs Tagen an. Außerdem ist die Sprosse verdaulicher. Man muss sie im Dunkeln ziehen, damit kein Chlorophyll entsteht“, sagt Moritz. Im Prinzip, erläutert der Experte, esse man die Pflanze als Baby: „Die Amerikaner bezeichnen Sprossen treffend als Living Food.“

Bundesweit gibt es nur etwa zehn Sprossenzüchter

Die Samen kommen fast alle aus Italien. „Das ist traditionell ein Saatgutvermehrungsland.“ Nur die asiatische Mung-Bohne, die Soja zum Verwechseln ähnelt, bezieht er über einen Händler im Hohenlohischen, der wiederum importiert die Samen aus China. Acht Mitarbeiter mit Hauben, Schutzmasken und Handschuhen kümmern sich täglich um die Sprossen, wiegen und verpacken sie für die Kühllastwagen der Naturkost-Großhändler, welche die Ware abholen. „Kleine Mengen bekommen Freunde, die Bioland-Hofläden haben, aber auch Gastronomen sind Abnehmer. Bäcker schätzen die Getreidekeimlinge“, sagt Moritz. Viel Konkurrenz hat er nicht: Bundesweit gibt es etwa zehn Betriebe, die nächsten sind in München und bei Worms.

Liebe zur Landwirtschaft durch Ferien auf dem Bauernhof

1994 hat der gebürtige Villinger, der in Nagold aufgewachsen ist, an der Uni Hohenheim sein Diplom als Agraringenieur abgelegt. Das Studium selbst habe ihn nicht auf die Sprossenzucht gebracht. „Ich hatte schon als Kind eine emotionale Bindung an die Landwirtschaft“, sagt er. Dies sei darauf zurückzuführen, dass er als Pfarrerssohn die Ferien auf dem Bauernhof verbracht habe: „Ich war immer mit dem Bauern unterwegs.“

Während des Studiums war er für die Grünen aktiv, 1990 wurde er Mitglied der Grünen-Fraktion im Filderstädter Gemeinderat. Nach dem Studium arbeitete er im Büro eines Bundestagsabgeordneten. „Das war nichts für mich, ich wollte Landwirt werden.“ Ein Freund hatte einen Obstgroßhandel: „Sein Lieferant baute Sprossen in kleinerem Stil an. Er transferierte mir sein Wissen. Erst haben wir in Ostfildern produziert, jetzt in Filderstadt.“ Die Lage im Bonländer Gewerbegebiet nahe der B 27 sei günstig: „Die Großhändler fahren sowieso hier vorbei. Deshalb muss ich mir keinen Kühlwagen anschaffen.“

Branche ist durch Auflagen schwerer geworden

Würde Rainer Moritz heute denselben Beruf wählen? „Ich bin gerne Sprossenzüchter, aber wegen der ganzen Auflagen ist die Arbeit schwierig geworden“, sagt er. Die Pflanzen wachsen bei ständiger Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent und 25 Grad. Dies sei die ideale Bedingung für Bakterien. Wenn ein krankheitserregendes Bakterium in den Keimen sei, gedeihe es ebenfalls gut, und auf einmal fördere die Sprosse die Gesundheit nicht mehr. „Deshalb sieht es bei mir nicht aus wie auf einem Bauernhof, sondern eher wie in einer Bäckerei oder in einer Metzgerei“, sagt Moritz in seinem mit Edelstahl verkleideten Produktionsraum. Er müsse immer desinfizieren und Labors molekularbiologische Untersuchen machen lassen: „Das geschieht mit derselben Technik wie die Genanalyse bei der Spurensicherung an einem Tatort.“ Bisher hat Moritz immer gut gearbeitet: „Ich habe 300 Proben untersuchen lassen, es war nie etwas dabei.“ Nur vor ein paar Jahren hatte der Betrieb vorsichtshalber kurzfristig geschlossen. Damals ging der EHEC-Erreger um, aber der Kelch ging an Moritz vorbei.

Der Traum von Geisen auf der Alm

„Die Produktion wirkt sehr technisiert, aber Sprossenzucht gibt es schon seit 3000 Jahren. Vor allem in Asien hat man das gemacht. Die Menschen der Neuzeit haben das nicht erfunden, aber wir versuchen, es mit mehr Technik hygienischer zu machen“, erläutert Moritz. Eine große Ranch in Texas sei nicht sein unerfüllter Wunsch. „Das wäre mir alles zu groß, ich habe es gerne überschaubar. Ein Traum wäre eine Alm in den Bergen mit ein paar Geisen. Man darf nur nicht davon leben müssen.“