Vor der Filderklinik in Bonlanden geht es am Freitag ruhig zu, tags zuvor war die Stimmung laut Klinikleitung „explosiv“ Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Es ist der Albtraum vieler: Man stimmt einem vermeintlich einfachen Eingriff im Krankenhaus zu und verliert dann sein Leben. Weil dieses Schicksal einer 21-Jährigen aus Filderstadt droht und sich ihre Freunde darüber empören, hat die Filderklinik den Fall am Freitag öffentlich gemacht.

Filderstadt - Die Führungsriege der Filderklinik in Filderstadt-Bonlanden erstaunt die Journalisten bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Freitagnachmittag mit ihrer Offenheit. „Wenn die Operation gut verlaufen wäre“, sagt der Medizinische Geschäftsführer Dr. Bernd Voggenreiter, „hätte die Patientin am gleichen Nachmittag oder am nächsten Tag das Haus verlassen können.“ Tatsächlich liegt die 21-jährige drei Tage danach immer noch im Krankenhaus – und wird es aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr lebend verlassen. „Die Prognose ist miserabel“, sagt Voggenreiter, „es ist eine Frage der Zeit, wann sie sterben wird.“ Eine Frage von Tagen.

Esra O.’s Katastrophe ist eine Komplikation, die nach Voggenreiters Erkenntnissen in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland einmal dokumentiert ist: Dass bei einer Bauchspiegelung eine Vene mit lebensbedrohlichen Folgen verletzt wird. Damals musste in Köln einem jungen Mann ein Bein abgenommen werden, die junge Frau aus Bonlanden bezahlt wohl mit ihrem Leben.

Der Reihe nach: Esra O. hat am vergangenen Dienstag so starke Bauchschmerzen, dass sie sich in die Filderklinik begibt. Der Blinddarm kann es nicht sein, den hat man ihr im Jahr zuvor an selber Stelle entfernt. Eine Oberärztin in der Gynökologie findet die vermutliche Ursache. Genauer wollen es Voggenreiter und der Kaufmännische Geschäftsführer Volker Ernst mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht nicht benennen. Esras Freundin Zeynep D. (Name geändert) spricht von einer Zyste, die entfernt werden sollte. Die Ärzte sagen, dass der Eingriff nicht sofort vorgenommen werden muss. „Die Patientin hat darauf bestanden, dass sie operiert wird“, sagt Voggenreiter.

Den Ablauf schildern die Ärzte detailliert, um „maximale Transparenz“ zu schaffen, so Volker Ernst – und mit Zustimmung der Familie, die sich vom Pressetermin fernhält und „darum gebeten hat, Abstand von ihr zu halten“, sagt Filderklinik-Sprecherin Dr. Linda Mayer. Eine Angehörige von Esra O. bestätigt dies danach unserer Zeitung: „Jetzt geht es nur im die Gesundheit, alles andere kommt später.“

Eine Oberärztin der Gynäkologie macht sich am Dienstagmittag ans Werk und schafft es nicht, mit ihrem Besteck durch die Bauchdecke zu dringen. Sie holt den Chef der Abteilung dazu und gemeinsam scheint die sogenannte Laparoskopie zu gelingen, die in der Filderklinik laut Voggenreiter regelmäßig gemacht wird. Allerdings blutet Esra O. plötzlich massiv, so der Klinik-Chef, „da wurde ein großes Gefäß getroffen, eine Beckenvene“. Nebenan ist ein Bauchchirurg, der hinzueilt und die Blutung stoppt, es allerdings nicht schafft, die Vene wieder zu schließen. Dazu wird ein Gefäßexperte aus dem städtischen Krankenhaus Esslingen gerufen. Er ist 28 Minuten später da und schließt die Vene mit einem anderen Stück Vene, das er aus dem Bein entnimmt. Die Situation scheint im Griff, die Patientin kommt auf die Station.

Bei einer Computertomografie am Mittwoch bestätigt sich, dass nichts mehr blutet, eine Schwellung des Beines wird behandelt. Beim Absaugen von Wundflüssigkeit später fällt dem Anästhesisten auf, dass O. keine Reflexe zeigt. Eine Computertomografie erhärtet den Verdacht eines Gehirnschadens, und Esra wird ins Katharinenhospital gefahren. Dort findet ein Neurologe nach Voggenreiters Angaben heraus, „dass das Gehirn hochwahrscheinlich irreversibel geschädigt ist“. Der Filderklinik-Chef schiebt nach: „Das steht fest.“

In der Filderklinik gibt es keine speziellen Gefäßchirurgen. „Wir haben in den vergangenen sieben Jahren zweimal einen gebraucht“, sagt Dr. Bernd Voggenreiter, „das meiste können wir selber machen.“ Die Anfahrt von Esslingen sei nicht das Problem gewesen. Das Problem war der plötzliche Blutdruckabfall, der zu einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff führte, sagt der Leitende Arzt. Esra O. wird zurück in die Filderklinik gebracht.

Öffentlich wird der Fall, weil in Erwartung von Esras Ableben am Donnerstag immer mehr Verwandte und Bekannte in die Filderklinik kommen, zuweilen deutlich mehr als 100 Trauernde das Foyer blockieren und ihrer Trauer freien Lauf lassen. „Die Stimmung vor dem Haus war sehr explosiv“, sagt Dr. Bernd Voggenreiter.„Es gab unschöne Szenen“, sagt Zeynep D., die berichtet, dass sich einige Trauernde von Klinik-Mitarbeitern verbal angegriffen gefühlt hätten. Klinik-Chef Volker Ernst sagt dagegen, dass alles ruhig abgelaufen sei, und dass es nicht stimme, dass die Polizei gerufen wurde, um die Ordnung wieder herzustellen. Allerdings sind laut Voggenreiter andere Besucher nicht mehr durchs Foyer gekommen, und eine Angehörige sei kollabiert, so dass man „den Trauernden einen anderen Weg zugewiesen habe“. Auch habe man für Essen und Getränke gesorgt und Kriseninterventionskräfte des Roten Kreuzes dazugeholt, so dass sich die Situation um die Filderklinik wieder beruhigte. Trotzdem macht der Vorgang auch bei mehreren Zeitungen die Runde.

Dass die Klinikleitung die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat, bestätigt Staatsanwältin Claudia Krauth am Freitag: „Wir haben Unterlagen bekommen und sind dran“, sagt Krauth. Genaueres dürfte laut Voggenreiter aber erst eine Obduktion ergeben.Volker Ernst verspricht, „dass wir nach den Ursachen suchen und versuchen, Verbesserungsmaßnahmen zu identifizieren, damit so etwas nicht mehr passiert. Der Fall macht uns alle betroffen.“. Ernst betont aber auch, „dass so etwas in jeder Klinik zu jeder Zeit mal auftreten kann“. War es also kein Fehler der Ärzte? „Ein Behandlungsfehler auf jeden Fall“, sagt Dr. Voggenreiter. Seine Kollege Dr. Poppe hält das nicht für ausgemacht und will die Untersuchung abwarten. Die beiden Gynäkologen hat Voggenreiter bis auf weiteres in den Urlaub geschickt.

Weil bei Esra O. am Donnerstag leichte Gehirnströme gemessen werden, laufen die Maschinen, die sie am Leben erhalten, weiter. „Die Verwandten sagen, dass sie mit Gott entscheiden darf, wann sie geht“, berichtet Voggenreiter. Zeynep D. hält sich daran fest, „dass sich Esras Zustand wieder etwas verbessert hat“. Die Hoffnung stirbt zuletzt.