Nur die Bahn darf Varianten präsentieren – Start verschoben – Kritik am Verfahren.
Stuttgart - Der Filder-Dialog zu Stuttgart 21 wird nicht am Freitag, sondern erst am 16. Juni starten, weil sich bisher nur fünf statt 80 Bürger zur Teilnahme gemeldet haben. Im Dialog soll ausschließlich über Planungsvarianten der Bahn gesprochen werden. Diese Vorgabe wird massiv kritisiert.
Der Start des Filder-Dialogs ist in letzter Minute verschoben worden. An drei Terminen sollten von Freitag an in Leinfelden-Echterdingen 163 Menschen darüber beraten, wie die heute zum Hauptbahnhof führende Gäubahn bei Stuttgart 21 zum Flughafen fährt und wo sie dort hält.
„Es gibt keinen Mangel an Interesse“ verteidigt der von der Landesregierung für den Dialog berufene Bonner Moderator Ludwig Weitz sein Verfahren und die Terminverschiebung. 80 der 168 Teilnehmer sollten aus einer Zufallsauswahl kommen. Gisela Erler, Grünen-Staatsrätin für Bürgerbeteiligung in der Landesregierung, hatte 250 Bürger angeschrieben. Bis Montag hatten nur 40 auf die Einladung reagiert. Davon sagten 35 ab.
Die Spurgruppe will am Freitag die Probleme bereden
Angesichts der absehbaren Blamage zog Weitz am Montag die Notbremse. In einer Telefonkonferenz mit den Mitgliedern der sogenannten Spurgruppe wurde eine Terminverschiebung beschlossen. In der Spurgruppe sind die Stuttgart-21-Projektpartner sowie organisierte Gegner und Befürworter und betroffene Städte vertreten. „Die Mehrzahl der Beteiligten steht weiter zum Verfahren, der Dialog steht nicht zur Debatte“, sagt der 51-jährige Weitz am Dienstag. Er nennt den Rücklauf von 40 Bürgern „gut“. Der Freitag vor Pfingsten als Starttermin sei bewusst gewählt worden, die Probleme mit den beginnenden Ferien habe man in Kauf genommen. Mehr Einladungen sollen nun die erwarteten 80 Zusagen bringen.
Die Spurgruppe will am Freitag ab 15 Uhr die Probleme bereden. Teilnehmer sprechen von einem „letzten Versuch“. Die 80 Bürger durch Vertreter von Interessengruppen zu ersetzen, lehnt Weitz, aber auch die Bahn ab. „Die Besonderheit des Dialogs besteht darin, einen repräsentativen Querschnitt der Bürgerschaft zu beteiligen. Initiativen können sich im kommenden Planfeststellungsverfahren einbringen“, sagt Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich. Und weiter: „Ich hoffe, dass die Landesregierung den Aufschub nutzt.“
Die geringe Resonanz der Bürger kommt für Verfahrensbeteiligte nicht überraschend. Um 80 Menschen zu gewinnen, müsse man mindestens 800 ansprechen, sagt ein Mitglied der Spurgruppe. Erler und Weitz hätten auf diesen Hinweis nicht reagiert. „Wir betreten mit diesem Verfahren Neuland, da kann man nicht erwarten, dass alles sofort rund läuft“, verteidigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag im Landtag seine Staatsrätin. In die Absage der ersten Dialogveranstaltung sei er nicht eingeschaltet worden. „Die Federführung liegt beim Moderator und bei der Spurgruppe“, so der Regierungschef.
„Das ist alles andere als ein Dialog“
Auf die Landesregierung prasselte am Dienstag nicht nur massive Kritik an der Organisation des Verfahrens ein. Projektgegner wie Steffen Siegel, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Filder, bemängeln, dass Initiativen, Städte oder Bürger in den geplanten drei Diskussionsrunden keine Möglichkeit erhalten, eigene Pläne vorzustellen.
Tatsächlich erhält nach dem Ablaufplan nur die Bahn die Möglichkeit, ihre favorisierte Trasse – die Mitnutzung der S-Bahn-Gleise auf den Fildern durch Regional- und Fernzüge der Gäubahn – vorzustellen. Am zweiten Tag will sie noch vier Varianten darstellen. Diese hat sie aber längst als ungünstig oder zu teuer aussortiert.
„Das ist alles andere als ein Dialog“, sagt Steffen Siegel. „Die Bürger sollen hier freundliche Teilnehmer einer Alibi-Veranstaltung sein. Wir als Schutzgemeinschaft wollen kein Kaffeekränzchen, sondern über Fakten und Inhalte sprechen“, so Siegel. „Die Bahn hat Angst davor.“ Das Dialog-verfahren und dessen Leiter Ludwig Weitz sieht Siegel „schwer beschädigt, es gab handwerklich grobe Schnitzer“.
Die umstrittene Mischnutzung der S-Bahn-Gleise und des S-Bahnhofs am Flughafen hat die Bahn nach Informationen unserer Zeitung als sogenannte Antragstrasse offenbar beim zuständigen Eisenbahn-Bundesamt (Eba) eingereicht. „Eine abschließende Bewertung kann erst im Rahmen der Beschlussfassung erfolgen“, heißt es dort. Die Bahn habe sich entschieden, „vor der Einleitung des Anhörungsverfahrens den Filder-Dialog durchzuführen.“
„Jede Verzögerung blockiert uns und kostet Geld“
Die von den Bahn-Plänen betroffenen Kommunen sind nicht begeistert über die Entwicklung. „Ich bin richtig geladen, das ist einfach der Hammer, was die hier abliefern“, sagt Leinfelden-Echterdingens OB Roland Klenk (CDU). Die Organisation sei „katastrophal, das gilt für Ludwig Weitz und für die Landesregierung“. Der Moderator sei offensichtlich nicht vorbereitet. Claudia Moosmann, Vorsitzende des Vereins Lebenswertes LE, sieht in dem Aufschub „die einzige Möglichkeit, den Dialog weiterzuführen“. Das geplante Prozedere kritisiert sie: „Es gibt nur die Info durch die Bahn, wir als Gegner können nur noch auf die Bürger einreden.“ Flughafen-Geschäftsführer Georg Fundel warnt vor einer Verzögerung. „Jede Verzögerung blockiert uns und kostet Geld“, so Fundel.
Er würde „mit nur 15 oder 20 Bürgern kein Dialogverfahren starten“, sagt Stuttgarts Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD). Die Auswahl nach dem Zufallsprinzip müsse beibehalten werden. Ob es sie tatsächlich gibt. ist die Frage. Filderstadt erhielt die Order, neben den zwei offiziellen Vertretern „zufällig“ vier Personen zwischen 18 und 90 Jahren zu benennen. Die je zwei Frauen und Männer sollen alle Stadtteile repräsentieren. Man fühle sich angesichts der Vorgaben „auf den Arm genommen“, sagt Filderstadts Erster Bürgermeister Andreas Koch.