Julia-Bianca und Carmen Jung (von links) lassen mit Licht und Schatten im Wohnzimmer die Puppen tanzen. Foto: Georg Linsenmann

Eine Privatwohnung in Bad Cannstatt wird zur Außenstelle des Linden-Museums: Passend zu dessen Ausstellung „Die Welt des Schattentheaters” haben Studenten der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Figurentheater gespielt.

Bad Cannstatt - Schattentheater, das könnte ein wenig nach Kinder-Verzaubern klingen. Nach einer sympathischen, kleinen, stubengerechten Spielform von Theater im Taschenformat. In anderen Kulturkreisen, in Asien vor allem, stellt sich das ganz anders dar, denn dort speist sich die Gattung aus rituellen Zusammenhängen. Entsprechend „groß” ist dort das Spiel mit Licht und Schatten, was im Linden-Museum derzeit eine kapitale Ausstellung über „Die Welt des Schattentheaters” ergibt.

Auf diesem Wege wurde nun eine Privatwohnung in Bad Cannstatt für einen Abend zu einer Art Außenstelle des Museums: mit der Aufführung einer Schattentheater-Produktion, die das Museum in Kooperation mit dem Studiengang Figurentheater der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst realisiert hat. Als Irmgard und Klaus Reissner gefragt wurden, ob sie sich eine Aufführung in ihrem Wohnzimmer vorstellen könnten, hatten sie schnell zugesagt. Und nun, nach Ende der Vorstellung? „Ich bereue es nicht“, sagt Irmgard Reissner, „im Gegenteil! Es war schön und passend. Die Leute, die dabei waren, sind gerne hier gesessen.“

Eine intime Form von Theater

Das könnte man eine kleine Untertreibung aus Bescheidenheit nennen, denn die zwei Dutzend Besucher wurden von der Vorstellung in den Bann gezogen, waren verzaubert und begeistert, konnten erleben, dass diese intime Form von Theater wie maßgeschneidert fürs Wohnzimmer war. Die Faszination rührte selbstredend nicht zuletzt aus der fabelhaften Inszenierung, die die acht Schatten-Spielerinnen boten: kein puppiges, selbstverliebtes Spiel, sondern eine sehr moderne Form von Schattentheater mit experimentellem Einschlag. Und einer sehr selbstbewussten Auffassung von der künstlerischen Wirksamkeit von Schattentheater! Schon der Sammel-Titel der locker gefügten Szenen ist ein Statement hinsichtlich einer Ästhetik, die das pur Gegenteil ist zu den obwaltenden, hektisch-bunten Clip-Orgien: „Beyond the Screen: Von den Schattenseiten des Daseins“. Ein Schauspiel „jenseits des Bildschirms“. Die pure Gegenwelt zur Gegenwart – doch ganz von dieser Welt.

Auch im ironischen Zitieren, denn die erste Szenenfolge spielte in „Bildschirmen“. Jedenfalls in deren Rahmen, die von hinten bespannt waren. So konnte man sich zunächst beim Kardiologen wähnen, als rechts oben das Röntgenbild eines menschlichen Schädels auftauchte. Wobei eine Fantasiefigur dagegen ankämpfte, von sich multiplizierenden kleinen Kopien zu gedeckt zu erden. Eine Totale der Durchleuchtung, gegen die nur der Sprung durch die „Mattscheibe“ hilft.

Klecksologische Fantasiegestalten, kafkaeske Szenen

Von den Figuren aus scheinen die meisten Szene gedacht und entwickelt. Klecksologische Fantasiegestalten zumeist, die sich irgendwie durchkämpfen müssen. Oder im lustvollen Spiel mit Stuhl und Bistro-Tischchen chaplineske Übungen im Kampf gegen die Tücke der Objekte vollbringen. Ein gebogener Metallstab – und schon beginnt die Seiltänzerin, an filigranen Stäben bewegt, ihr Tänzchen über dem Abgrund! Wobei die Technik des Spiels mit Licht und Schatten im präzisen Spiel wie von alleine die Wirkung der Schwerkraft vergessen lässt. Kafkaesk wiederum andere Szenen, mit halbierten Gesichtern, die sich fügen und lösen und Identität zum Spiel des Zufalls machen. Ein „Ich“-Monolog vor dem Vorhang lehnt sich an Brechts episches Theater an, während die Sprecherin von in den Raum spielenden Gitternetzen verfangen schein. Die Knitterfolie, die das Schicksal einer Figur akustisch begleitet, wird vor, nicht hinter der „Bühne“ aktiviert, das Cello, die singende Säge, die Kalimba werden offen gespielt. Wenn Federn vom Himmel schweben, wenn Laub fällt, darf man hier zum Teil auch sehen, wie das „gemacht“ wird.

Und es nimmt nicht die Spur von Magie und Spannung, sondern fügt eine Ebene hinzu in dieses so zerbrechliche Spiel von Licht und Schatten, das so berührend menschlich ist: eben in seiner Zerbrechlichkeit. Und das nicht nur beim tragischen Ende der melancholischen Prinzessin! Dann muss Irmgard Reissner nur noch den Staubsauger nehme, Blätterkrümel beseitigen. Und alles ist wie vordem.