Fällt die Feuerwehr im Aichtaler Ortsteil Neuenhaus hinten runter? Foto: Ines Rudel

Der Streit zwischen Rathaus und Freiwilliger Feuerwehr in Aichtal (Kreis Esslingen) erreicht den nächsten Höhepunkt: Seit Mittwochabend steht die Feuerwehr ohne Führung da. Wie es dazu kam und wie es weiter geht.

Es war nur ein Tagesordnungspunkt sehr weit am Ende einer langen Agenda, irgendwo zwischen den höheren Friedhofsgebühren und einem Abwasserthema: die vorläufige Beerdigung der Aichtaler Feuerwehr. Ausgesprochen nüchtern klang der Beschlussantrag, über den der Gemeinderat am späten Mittwochabend zu entscheiden hatte. „Antrag des Feuerwehrkommandanten und seiner Stellvertreter auf Abberufung“.

 

Dieser Beschluss hat eine jahrelange Vorgeschichte und findet mit diesem Beschluss auch nicht sein Ende. Dennoch ist es eine Zäsur in der Aichtaler Historie. Und auch im gesamten Land Baden-Württemberg dürfte der Vorgang weitgehend einmalig sein. Aufgrund von Querelen zwischen Rathaus und Freiwilliger Feuerwehr bat der Kommandant und seine drei Stellvertreter den Gemeinderat bereits vor einigen Monaten, sie abzuberufen. Der Gemeinderat folgte nun diesem Ansinnen – einstimmig. Im Ergebnis bedeutet das: Die Feuerwehr des knapp 10 000-Einwohner-Ortes hat keine Führung mehr.

Einer der Zurückgetretenen ist im Gemeinderat

Zwei der vier Kommandanten waren an dem Abend dabei. Einer saß bei den Besuchern, der andere, Christian Wahl, ist Mitglied der Freien Unabhängigen Wählervereinigung, der stärksten Fraktion im Aichtaler Gemeinderat. Zu seinem Abberufungsantrag sagte er: „Wie es nun weitergeht, weiß ich nicht, aber für mich ist ein Schlusspunkt erreicht. Ich habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen.“

Das Feuerwehrhaus in Grötzingen. Foto: Ines Rudel

Auch wenn der Tagesordnungspunkt verhältnismäßig trocken und professionell über die Bühne ging – ganz ohne Spektakel lief es dann doch nicht ab. Die Fraktionschefin der CDU, Pia Schwarz, stellte vor der Abstimmung eine Frage, die in der Luft lag: Ist Wahl befangen? Wahl selbst meinte „nein“. Er habe sich zuvor bei einer Expertin für Kommunalrecht erkundigt. Dennoch mussten er und alle Gäste der gut besuchten Gemeinderatssitzung den Saal verlassen, damit der Gemeinderat – ohne Wahl – unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber beraten konnte, ob Wahl bei der Abstimmung zugelassen werden könne oder nicht. Die Stimmung unter den Besuchern war leicht aufgeheizt. „Was für ein Kindergarten“, war mehr als einmal zu hören unter den Kommentaren der kurzfristig Ausgeschlossenen. Nach einigen Minuten durften alle wieder rein. Der Gemeinderat hatte entschieden: Wahl durfte mitwählen.

Wie es weiter geht, ist unklar und kommt darauf an, ob sich Feuerwehrleute finden, die bereit sind, in einer offenkundig sehr schwierigen Zeit die offenen Stellen zu besetzen. Wahl meinte, es hoffe, „dass das noch irgendeiner macht“. Bürgermeister Sebastian Kurz zeigte sich nicht unvorbereitet. Bereits vor der Gemeinderatssitzung hatte er Kontakt mit dem Kreisbrandmeister aufgenommen, um das Vorgehen im Falle einer Abberufung abzustimmen. Am Donnerstagmorgen informierte er den Landrat und die Erste Landesbeamtin über den Beschluss des Gemeinderats. Dabei ist Kurz klar, dass die Uhr tickt: „Da die Position des Feuerwehrkommandanten und seiner Stellvertreter von großer Bedeutung für die Einsatzfähigkeit der Gemeindefeuerwehr ist, dürfen diese Stellen nicht zu lange unbesetzt bleiben.“ Das Feuerwehrgesetz von Baden-Württemberg sieht vor, dass in den nächsten drei Monaten eine Wahl stattfinden muss. Sollte das nicht gelingen, muss erneut der Gemeinderat handeln: Er ist verpflichtet, kommissarisch einen Feuerwehrkommandanten zu benennen.

Ist die Feuerwehr noch einsatzbereit?

Und bis dahin ist die Feuerwehr nicht einsatzbereit, da führungslos? Nein, sagt Kurz, die Feuerwehr sei nach wie vor leistungsfähig. „Mit rund 100 Einsatzkräften sind wir weiterhin in der Lage, unseren Aufgaben nachzukommen und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr zu gewährleisten.“

Zudem bleiben die Abberufenen zunächst im Amt, bis ein neuer Kommandant gewählt wurde. Und nicht nur das: Ihre Abberufung betrifft nur die Gesamtfeuerwehr. Sie sind aber auch Abteilungskommandanten in den drei Ortsteilen Aich, Neuenhaus und Grötzingen. Als solche bleiben sie zunächst ebenfalls im Amt. Wenn auch demotiviert. Wahl als einer der Abberufenen will schon gar nicht mehr von einem Wunschszenario sprechen, was die Zukunft angeht. „Das habe ich seit Jahren nicht mehr. Es geht nur noch um Schadensbegrenzung.“

Chronik des Konflikts

Erster Beschluss
 Im Juli 2022 fasst der Aichtaler Gemeinderat den Beschluss, die Verwaltung mit der Suche nach einem Standort für ein neues Feuerwehrhaus zu beauftragen. Hieran entzündet sich der Streit zwischen Rathaus und Feuerwehr: zum einen über den möglichen Standort zwischen den Stadtteilen Aich und Grötzingen, zum anderen über die – aus Feuerwehrsicht – schlechte Kommunikation.

Mediation
Da in der Folge immer weniger miteinander gesprochen wird, verabreden die Parteien eine Mediation. Sie beginnt Anfang des Jahres und scheitert im Juli.

Verhärtete Fronten
Erneut sprechen die Parteien nicht mit-, sondern nur übereinander. Die gegenseitigen Vorwürfe werden immer heftiger.

Abwahl
Am späten Mittwochabend stimmt der Gemeinderat dem Antrag auf Abberufung zu, die der Kommandant und seine Vertreter selbst gestellt hatten.