Heidi Rehse unterstützt Kinder und Jugendliche in Armenvierteln weltweit. Foto: privat

Das Salamaleque-Tanztheater-Projekt von Heidi Rehse eröffnete Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, angestaute Emotionen nach traumatischen Erlebnissen herauszulassen. Beim Feuerseefest zeigt Rehses Stuttgarter Tanzgruppe eine Choreografie.

S-West - Ein toter Mann hatte vor ihrem Haus gelegen, deshalb hatte sie sich nicht hinaus getraut. Vor gut 16 Jahren entschuldigte sich mit diesen Worten ein Mädchen in einer Favela. Sie war zu spät zur Probe bei der Stuttgarter Tänzerin Heidi Rehse erschienen, die damals in Rio Tanzunterricht gab. Plötzlich wagten es auch andere Tanzschüler, ihrer Lehrerin erschütternde Erlebnisse anzuvertrauen. Und so entstand der Wunsch, einen Tanz zum Thema Gewalt zu gestalten.

Das Tanztheater, das Heidi Rehse daraufhin gemeinsam mit den Kindern entwickelte, eröffnete die Möglichkeit, Emotionen, die sich aufgrund ihrer Erlebnisse tief in ihrem Inneren angestaut hatten herauszulassen und sich nach außen zu öffnen, ohne das Erlebte in Worte fassen zu müssen. Vielleicht nannten sie ihr Stück deshalb „Abertura“, was auf Portugiesisch so viel bedeutet wie „Öffnung“.

Projekt für Ebola-Waisen in Sierra Leone

Auf dieses erste Tanzprojekt, das Rehse Salamaleque nannte, folgten viele weitere Salamaleque-Projekte unter anderem in Ghana, Indien und Deutschland. Überall erarbeitete die Stuttgarterin mit ihren Tanzschülern neben anderen Tänzen das in Brasilien entstandene Tanztheater „Abertura“. Auch in ihrem neuen Projekt für Ebola-Waisen in Sierra Leone, von wo sie vor Kurzem zurückgekommen ist, hat sie es einstudiert.

In Stuttgart wird das Tanztheater „Abertura“ am Samstag, 19. September, um 16.45 Uhr und am Sonntag, 20. September, um 12.30 Uhr auf dem Feuerseefest zu sehen sein. Aufgeführt wird es dort von der Jugendgruppe der 2007 gegründeten Stuttgarter Salamaleque Dance Company, die ebenfalls von Rehse geleitet wird. Rehses Profigruppe, wird mit einem Tanz zum Thema Ebola auftreten. Die im Anschluss gesammelten Spenden kommen dem neuen Tanzprojekt in Sierra Leone zugute.

Die Tanzlehrerin rief die Stuttgarter Jugendgruppe vor zwei Jahren ins Leben, um Kindern von der vierten Klasse an ein bezahlbares und allumfassendes Tanzangebot zu bieten. Inzwischen besteht die Gruppe aus rund 25 Kindern und Jugendlichen im Alter von neun bis fünfzehn Jahren, die einmal pro Woche im Jugendhaus West trainieren.

Das Projekt wird zum Selbstläufer

„Abertura“ ist zu einem von Rehses Lieblingsstücken geworden. Sie nennt es ihr „Baby“, und es darf sich durchaus weiterentwickeln und verändern. Auf diese Weise verliere es nie seinen Reiz. „Ich erreiche damit alle,“ sagt Rehse. Das sei auch der Grund dafür, warum sie es nach so langer Zeit immer noch in verschiedenen Tanzprojekten einstudiere.

Die Wirkung, die „Abertura“ sowohl auf die Zuschauer, als auch auf die Tänzer ausübt, liegt für Heidi Rehse darin, dass „es in realem Kontext entstanden ist“. Zwar reagierten die Zuschauer sehr unterschiedlich auf das Stück, aber irgendeine Reaktion entlocke „Abertura“ dem Publikum jedes Mal. „Es berührt die Leute,“ erklärt Rehse. Zu sehen, dass der Tanz das Publikum in irgendeiner Weise berührt, bestätigt Rehse in ihrer Arbeit.

Auch die Tänzer zieht „Abertura“ in seinen Bann, wie Rehses Praktikant Larry Bamidele aus Erfahrung weiß. „Heidi hat es uns beigebracht, indem sie es uns entwickeln ließ,“ sagt er. Bis zum Ende der Proben sei der Schluss offen geblieben. Durch die vielen Möglichkeiten, die „Abertura“ den Tänzern zur Improvisation lässt und die vielen Theaterelemente, ist jede Aufführung etwas anders. Zwar wird der Mittelteil des Stücks in jedem Land zur gleichen Musik aufgeführt, aber den Anfang und den Schluss variiert Rehse je nach Umgebung: „Ich passe das Stück ländermäßig an,“ erklärt sie. So beginnt das Stück in Afrika mit Trommelrhythmen. Auch durch die persönliche Note, die die Tänzer dem Stück durch das Mitentwickeln verleihen, variieren die Inszenierungen. „Du hast das Gefühl, es ist ein Teil von dir“, sagt Larry Bamidele.

Auf diese Weise hat sich „Abertura“ inzwischen beinahe verselbstständigt, sagt Heidi Rehse . „Es geht weiter!“ Rehse erinnert sich an die Begegnung mit einem kleinen Jungen in einem Waisenhaus in Sierra Leone im April diesen Jahres. Schmunzelnd erzählt sie, dass sie den Jungen dabei beobachtet habe, wie er Bewegungen der „Abertura“ tanzte. Als sie daraufhin zu ihm sagte: „Hey, das ist ja mein Tanz,“ antwortete er nur trotzig: „Nein, das ist mein Tanz!“. Er hatte die „Abertura“ von einem ehemaligen Salamaleque Schüler gelernt.

Das Ziel ihrer Tanzprojekte ist deren selbstständige Fortführung in den einzelnen Ländern, weshalb Rehses Team Tanzpädagogen vor Ort ausbildet. Dies gebe Tanzschülern neue Perspektiven. Ein Beispiel dafür sei der 17-jährige Mohammed, ein ehemaliger Schüler Rehses aus Sierra Leone. Er möchte in der Stadt Port Loko in Sierra Leone ein eigenes Tanzprojekt auf die Beine stellen, wobei er durch den Verein Salamaleque unterstützt wird.