Dickes Problem: Im Nahen Osten sind besonders viele Menschen übergewichtig. Foto: dpa

In vielen arabische Staaten grassiert die Fettleibigkeit – mit gravierenden gesundheitlichen Folgen.

Kairo - Ägyptens Staatschef redete sich in Rage. „Wie kann es sein, dass ein 30-Jähriger mit solch einem irren Gewicht herumläuft“, fauchte Abdel Fattah al-Sisi auf dem Weltjugendforum in Sharm el-Sheikh, als er sich mit dem Publikum ein paar Videos über erfolgreiche junge Ägypter ansah. „Einige in den Filmen müssen mindestens die Hälfte abnehmen.“ Überhaupt frage er sich, wenn er so manche füllige Frau sehe, wie die überhaupt noch laufen könne. „Ägypten braucht eine Kultur, bei der die Leute besser auf sich und ihre Gesundheit achten.“ Jeder Bürger solle sich seinen Bauch anschauen, „dann weiß er, wie groß sein Problem ist“. Fernsehstationen forderte Sisi auf, keine fettleibigen Gäste mehr zu Talkshows einzuladen.

Noch nie zuvor hat ein ägyptischer Präsident seinen Landsleuten derartige Vorhaltungen gemacht. Selbst den Premierminister ermahnte er vor laufenden Kameras, auf seine Linie zu achten. An der Situation gibt es nichts zu deuteln, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des Institute for Health Metrics and Evaluation der Universität Washington belegt. Danach gehört Ägypten neben den USA und Saudi-Arabien zu den dicksten Nationen der Welt. Ein Drittel der 98 Millionen Ägypter sind fettleibig, ein Drittel übergewichtig, lediglich ein Drittel hat Normalgewicht. Mit an der Weltspitze der überflüssigen Pfunde liegen auch die steinreichen Golfstaaten Kuwait, Qatar, Vereinigte Arabische Emirate und Bahrain.

Viele sind an Diabetes erkrankt

Entsprechend düster sind die Gesundheitsprognosen. In keinem anderen Teil der Erde sind so viele Menschen Diabetiker wie im Nahen Osten. Während heutzutage weltweit im Durchschnitt 8,5 Prozent aller Menschen über 18 Jahren erkranken, sind es auf der Arabischen Halbinsel schon 15 bis 20 Prozent. „Wenn Du kein Diabetes hast, bist du kein Kuwaiter“, frotzelte ein 49-Jähriger, der 125 Kilogramm wiegt. Die Zahl der Todesfälle in der arabischen Region durch Herzkrankheiten, Nierenversagen und Schlaganfälle stieg laut Weltgesundheitsorganisation WHO zwischen 2000 bis 2015 um 38 Prozent, in anderen Teilen der Welt dagegen um 25 Prozent.

Diese kollektive Gesundheitskrise hat kulturelle und soziale Ursachen. Viele arabische Städte sind vor allem für Autos angelegt. Selbst kurze Wege werden motorisiert zurückgelegt. Die meisten sitzen den gesamten Tag, entweder zu Hause, im Auto, im Café oder im Büro. Sport ist verpönt. Körperliche Arbeit gilt als Merkmal niedriger sozialer Schichten. Wichtigster Zeitvertreib sind Familientreffen, „bei denen sich praktisch alles ums Essen dreht und ein hoher sozialer Druck herrscht, noch mehr in sich reinzustopfen“, so die ägyptische Ernährungswissenschaftlerin Sherine el Shimi. Vor allem bei den Frauen konzentriere sich der Lebensstil auf „Gastfreundschaft, übermäßigen Nahrungskonsum und Bewegungsmangel“, konstatiert eine Studie der American University in Beirut.

Das Geschäft mit den Magenverkleinerungen

Zu dem schlechten Körperzustand trägt laut WHO auch die Armut bei. In Ägypten können   sich mehr und mehr Familien wegen der rasanten Inflation kein Obst und Gemüse mehr leisten. Billiges Essen dagegen ist fett und reich an Kohlehydraten – Brot, Nudeln und dicke Bohnen. Üblich sind zudem stark gesüßter Tee oder kalorienreiche Softdrinks wie Coca Cola.

Im superreichen Saudi-Arabien machen Chirurgen ein Riesengeschäft mit Magenverkleinerungen. Allein 10 000 solcher Operationen hat Aayed Al-Qahtani, Professor an der König Saud Universität, nach eigenen Angaben bisher vorgenommen, darunter 2900 an Kindern, das jüngste vier Jahre alt und 70 Kilogramm schwer. Übergewichtige aus der gesamten Golfregion pilgern zu dem geschäftstüchtigen Doktor nach Riyadh. Doch viele seiner Kollegen halten diesen Rummel für fragwürdig. „Wir können das Problem nicht mit Chirurgie lösen“, argumentiert Ali Khammas, Chefarzt am Rashid-Krankenhaus in Dubai. „Was wir brauchen, sind Prävention und Aufklärung – und Kampagnen für gesunde Ernährung in jeder einzelnen Schule.“