Der Festungsgraben als Spielort für ein Stück über die Festung und ihre Gefangenen: Das Theater Lindenhof Melchingen probt im Graben des Hohenaspergs. Foto: factum

Der Hohenasperg wird Spielort einer ungewöhnlichen Freilichtproduktion. Das Theater Lindenhof erzählt zum Asperger Stadtjubiläum am Originalschauplatz, warum die Festung für viele Gefangene zum Schicksalsberg wurde. Der Aufwand dafür ist enorm.

Asperg - Der Wallgraben der Festung Hohenasperg ist, erst recht im Nieselgrau der jüngsten Tage, ein unzugängliches und unwirtliches Plätzchen – eigentlich. Doch in den nächsten Wochen steht der Graben zu Füßen des einstigen Gefängnisses, in dem unliebsame Intellektuelle und Querdenker mundtot gemacht werden sollten, im wahrsten Wortsinn im Rampenlicht. Gelände wurde geschottert, Eidechsenzäune aufgestellt, und der Eglosheimer Zimmereibetrieb Kapfenstein baute eine passgenau konstruierte zweigeschossige Bühne unter die Brückensäulen beim Festungseingang. „Es ist fast ein bisschen erhebend, vor diesen alten Mauern spielen zu dürfen“, sagt Bernhard Hurm, einer der Intendanten des Theaters Lindenhof Melchingen.

Experten für inspirierende Theater-Projekte

An dem Ort, der für Württemberg so geschichtsträchtig ist, zeigen die für inspirierende Theater-Projekte bekannten Melchinger von Freitag an ihr neues Stück „Lass mich atmen, o gnädiger Himmel“. Das Stück, eine Auftragsarbeit der Stadt Asperg zum 1200-Jahr-Jubiläum, setzt Gefangenen ein Denkmal, die auf dem „Schicksalsberg“, „Demokratenbuckel“ oder auch „Tränenberg“ genannten Gefängnis eingekerkert waren. Prominenten wie dem Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart, aber auch solchen, von denen kaum jemand etwas weiß – etwa Walter Dorn, der einen skurrilen Ausbruchsversuch wagte und der später von den Nationalsozialisten im Zuge ihrer Krankenmorde umgebracht wurde.

Aus Massen von spannendem Material und biografischen Dokumenten, die Axel Krauße und Peter Sindlinger in Archiven zusammentrugen, schuf der Stuttgarter Regisseur Christof Küster ein knapp zweieinhalbstündiges Theaterstück. Eine Meisterleistung in der Kunst des Weglassens – hätte der Stoff doch für mehrere abendfüllende Produktionen gereicht. In dem Stück über Recht und Gerechtigkeit, Macht und Ohnmacht und Herrscher und Beherrschte richten sich die Spots nun auf einzelne Häftlinge, die stellvertretend für viele stehen. Zu Wort kommen Gefangene aus unterschiedlichen Jahrhunderten – auch der Remstalrebell Helmut Palmer, der 1963 und 2000 Insasse war.

Die meisten Gefangenen kamen gebrochen aus der Haft

Der Theaterabend streift nicht nur die Gefängniszeit der Protagonisten, sondern auch das Vorher und das Nachher, sodass die Zuschauer einen Eindruck davon bekommen, wie der „Schicksalsberg“ das Leben der Gefangenen veränderte. „Die meisten“, erzählt Christof Küster, „waren gebrochen, viele lebten nicht mehr lange.“

Marianne Pirker ist so ein Beispiel für ein zerstörtes Leben: Ohne Verhöre oder Prozess ließ Herzog Carl Eugen die Opernsängerin und Vertraute seiner Frau Friederike auf dem Hohenasperg einsperren, ebenso ihren Mann, den Kapellmeister Joseph Pirker. Die Sängerin wurde bezichtigt, der Herzogin von den Seitensprüngen ihres Mannes berichtet zu haben. Fast ein Jahrzehnt darbte das Ehepaar Pirker voneinander getrennt in Einzelhaft. Körper, Geist und Stimme der einstigen ersten Solistin der Stuttgarter Oper waren nach den Jahren der Haft ruiniert. Im Stück wird indes eine unbeschadete Stimme erklingen: Pirker-Darstellerin Sandra Hartmann ist auch Sängerin, live gesungene Arien und Lieder gehören zur Produktion.

„So etwas wird es in naher Zukunft nicht mehr geben“

Bei allen beklemmenden Einzelschicksalen war es dem Theater-Team ein Anliegen, einen „unterhaltsamen Spätsommerabend“ zu schaffen. „Es kommt nicht alles in Grautönen daher“, sagt Regisseur Küster. Das Stück hat auch seine heiteren Seiten, denn die Autoren haben auch manche kuriose Begebenheit zutage gefördert.

Geradezu hingerissen ist der Asperger Bürgermeister Christian Eiberger von dem Werk, das seinem Hausberg auf den Leib geschneidert ist. „Er ist Symbol für so viele Kämpfe um die Demokratie“, sagt er, „es ist toll, dass er zu unserem Jubiläum jetzt ein eigenes Stück bekommt.“ Dass es ein einzigartiges, exklusives Ereignis wird, dessen ist er sich sicher: Sowohl die jahrelangen Mühen, um Ausnahmegenehmigungen für den Spielort einzuholen – etwa beim Land, der Justiz, dem Denkmal- oder dem Artenschutz – als auch der hohe finanzielle und personelle Aufwand lassen ihn zu der Einschätzung kommen: „So etwas wird es in naher Zukunft definitiv nicht mehr geben.“

Zehn Vorstellungen sind angesetzt – weitere an anderen Spielstätten sind nicht vorgesehen. Mit einer speziellen Location verbundene Aufführungen in überschaubarer Anzahl gehören zu den Markenzeichen des Theaters Lindenhof. Wie jüngst ein Stück über Mössinger Textildruckfirma Pausa im Rahmen des Bauhaus-Jubiläums, das am Originalschauplatz über die Bühne ging. „Es gab zehn Vorstellungen, und wer sie sehen wollte, musste sich eben rechtzeitig um Karten bemühen“, berichtet Pressesprecherin Simone Haug. Die Vorstellungen waren alle ausverkauft – „da gab es an der Abendkasse manchmal lange Gesichter.“

Alle sind Feuer und Flamme

Asperg wird für die Künstler nicht nur als denkwürdiger Spielort in die Theater-Annalen eingehen. Auch die Zusammenarbeit mit den Aspergern sei extraordinär, finden die Melchinger. „Egal mit wem wir es zu tun haben: Überall ist ein Wollen, alle sind Feuer und Flamme“, schwärmt Christian Burmeister-van Dülmen, Stiftungsvorstand und kaufmännischer Leiter des Theaters Lindenhof. „Das ist Kairos: Alles kommt am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt zusammen.“