Wird jedes Jahr in Wildbad gefeiert: Der Komponist Gioachino Rossini (1792-1868). Foto: Festival

Im Jubiläumsjahr bietet das kleinere der beiden europäischen Rossini-Festivals eine besonders lange und materialreiche Version von Rossinis Schiller-Oper „Wilhelm Tell“ und einen Goethe-Einakter von Adolphe Adam.

Man muss verrückt sein, um an diesem kleinen Ort große Oper machen zu wollen. Verrückt – oder krank. Der italienische Komponist Gioachino Rossini (1792–1868) war beides ein wenig, als er 1856 nach Bad Wildbad kam, um dort seine Gicht und seinen Tripper – eine Erinnerung an Zeiten ausschweifenden jugendlichen Liebes-Übermuts – zu kurieren. Im Jahr 1992 wurde der damals 32-jährige Jochen Schönleber Intendant des erst zwei Jahre alten, finanziell beinahe ruinierten Festivals „Rossini in Wildbad“: ein Opernverrückter, ein Fan des Belcanto, also des „Schöngesangs“ in der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts, und ein Mann, der immer an den Grenzen krankte, die ihm sein magerer Etat vorgab.

Mittlerweile jammert Schönleber zwar manchmal noch darüber, dass sein Haushaltsgeld für zwei Festivalwochen eine halbe Million Euro kaum je überschreitet, aber grundsätzlich hat er sich mit der Reibung zwischen dem hohen Anspruch seiner Rossini-Festspiele und seiner geringen Ausstattung abgefunden. Vielleicht hat er auch erkannt, dass eben dieser Widerspruch zu einem Markenzeichen der Veranstaltung geworden ist.

Kleiner Rahmen und große Kunst, teure Sänger bei geringen Gagen, Weltrang in der Provinz, italienische Arien neben Bollenhut, Schwarzwälder Schinken und Kuckucksuhr: Zwischen diesen Polen spannt sich „Rossini in Wildbad“ auf; das sind, auch wenn die pragmatischen Folgen für einen Kunstbesessenen wie Schönleber manchmal schmerzlich sein mögen, die Alleinstellungsmerkmale eines der feinsten und wichtigsten unter den vielen kleinen Sommerfestivals.

Dass die Nachfrage nach Karten für die Vorstellungen in der historischen Trinkhalle und im schnuckeligen kleinen Kurtheater groß ist, verdankt sich vor allem der musikalischen Qualität, für die das Festival bekannt ist. Viele junge Sänger, die Schönleber für sich entdeckte und die später Karriere machten, erarbeiteten sich in Bad Wildbad erste Erfahrungen und kehren gerne immer wieder zurück. Für wenig Geld, versteht sich. In Wildbad singt, wer sich hier wohlfühlt: zwischen dunklen Tannen, in guter Luft, fern der Metropolen, bei einem Intendanten, der ein intimer Kenner der Rossini-Zeit und der für ihre Werke passenden Sängerstimmen ist. Zahlungsmittel, sagt der Intendant, seien bei ihm vor allem die CD-Aufnahmen des auch auf Raritäten spezialisierten Labels Naxos, die bei den Opernproduktionen entstehen. Einmal, erzählt Jochen Schönleber stolz, habe er doch tatsächlich einen Stapel mit Rossini-CDs aus Bad Wildbad ausgerechnet im Shop der Metropolitan Opera gefunden. Wildbad in New York: Das hätte man wohl fotografieren sollen.

2013 ist ein ganz besonderer Festspieljahrgang

Stolz ist Jochen Schönleber aber auch ohne Foto, denn der Glanz seines Festivals strahlt nicht nur bis in die USA, sondern auch ins italienische Pesaro, zum älteren, größeren, besser finanzierten der beiden Rossini-Festivals. Nicht wenige Sänger, die in Pesaro unzufrieden waren, sangen später für weit kleinere Gagen Rossini in Wildbad - wie etwa der Bassbariton Bruno Praticò, eine der festen Größen der Schwarzwälder Sängerfamilie. Auch die Verpflichtung des Dirigenten Antonio Fogliani als musikalischer Leiter in Wildbad ist ein Glücksgriff, denn der lässt Rossinis Musik singen, schwingen und federn wie nur wenige.

2013 ist allerdings ein ganz besonderer Festspieljahrgang. Zu erleben ist „Wilhelm Tell“, Gioachino Rossinis letzte Oper nach Schillers Schauspiel, also mit Bezug zu Baden-Württemberg – in einer Aufführung, die Schönleber wegen ihrer Länge und wegen des erforderlichen Aufwands mit Wagners „Ring“ vergleicht und die „mehr Material bietet, als jemals gespielt wurde“ (dasselbe behauptet ironischerweise auch das Festival in Pesaro, das in diesem Jahr ebenfalls den „Wilhelm Tell“ herausbringt). Etliche sonst übliche Kürzungen hat man rückgängig gemacht, und was in die neue Bühnenfassung nicht hineinpasst, wird in einem Konzert nachgeliefert.

„Bei Schiller“, beschreibt Schönleber den Unterschied der Oper zur Schauspielvorlage, „ist der Tell subtiler, vergrübelter, bei Rossini hingegen ein knallharter Freiheitskämpfer, eine Art trockener Berufsrevolutionär.“ Und wenn seine Inszenierung mit ihrer Bebilderung der zahlreichen Ballett-, Chor- und Orchestereinlagen des Stücks auch die Frage nach dem Wert und Ziel von Kunst stellt, dann hat dies durchaus selbstbezügliche Aspekte. Schließlich ist „Rossini in Wildbad“ auch ein Wallfahrtsort für Stimm-Fetischisten, für geschmäcklerische Belcanto-Süchtige.

Besetzung verspricht Exzellenz

Die werden natürlich wissen, dass mit einem Barytenor ein Sänger gemeint ist, der sich stimmlich irgendwo zwischen Bariton und Tenor bewegt. Michael Spyres ist so einer, und Schönleber ist besonders stolz, dass er diesen Sänger von Weltformat, der anschließend nach Pesaro weiterreist, für die Partie des Arnold im „Tell“ gewinnen konnte, denn nur ein Barytenor könne diese Partie mit all ihren Facetten darbieten.

Auch der Rest der Besetzung verspricht Exzellenz, und selbst bei der vergleichsweise bescheidenen zweiten diesjährigen Wildbader Opernproduktion, Adolphe Adams bescheidenem, unbekanntem Dreipersonenstück „Le Chalet“ (nach Goethes ebenfalls unbekanntem Singspiel „Jery und Bäteli“), darf man stimmlich Erstklassiges erwarten.

Da werden sie dann wieder im Foyer stehen oder auf der Terrasse, die Freunde der italienischen Oper, und genussvoll darüber diskutieren, bei welchem Sänger wo im Kopf oder im Kehlkopf welche Töne, welche Vokale sitzen.Die Szene, ach ja, sie ist auch da, steht aber in Bad Wildbad traditionell nur an zweiter Stelle. Der Schwarzwald bietet vor allem Glücksmomente für Gesangs-Gourmets. Aber auch alle anderen werden Wildbad verlassen mit federnden, luftigen Rhythmen im Kopf – verrückt nach Rossini, aber kein bisschen krank.

„Rossini in Wildbad“

Das Festival beginnt an diesem Donnerstag und geht bis zum 21. Juli.

„Wilhelm Tell“ ist am 13., 16., 18. und 21. Juli zu sehen, „Le Chalet“ am 11. und 19. Juli. Als konzertante Oper wird Rossinis „Ricciardo e Zoraide“ gespielt – am 17. und 20. Juli. Ein Porträtkonzert für Helmut Lachenmann gibt es an diesem Freitag.

Karten: 0 70 81 / 1 02 84. Mehr unter: www.rossini-in-wildbad.de