Bemühen sich um ein neues Publikum für zeitgenössische Musik und um die Vernetzung von Kunst und Gesellschaft: Die Festivalleiter von Eclat, Christine Fischer und Björn Gottstein Foto: Leif Piechowski

An diesem Donnerstag beginnt das alljährliche Stuttgarter Festival für Neue Musik im Theaterhaus. Erstmals wird es von zwei künstlerischen Leitern verantwortet: Christine Fischer und Björn Gottstein.

An diesem Donnerstag beginnt das alljährliche Stuttgarter Festival für Neue Musik im Theaterhaus. Erstmals wird es von zwei künstlerischen Leitern verantwortet: Christine Fischer und Björn Gottstein.
Stuttgart - Frau Fischer, Herr Gottstein, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Wie ist in diesem Jahr das Programm des Eclat-Festivals entstanden, und worauf vor allem darf sich das Publikum freuen?
Christine Fischer : Anfangs haben wir uns über unsere Interessen unterhalten, und nachdem wir festgestellt hatten, dass sich diese in vielen Punkten überschneiden, haben wir uns rasch auf bestimmte Komponisten und Werke einigen können. Natürlich hatte unser Vorgänger Hans-Peter Jahn für 2014 schon einige Werke vorgeplant, aber dieser Rahmen hat noch viele Gestaltungsmöglichkeiten offen gelassen.
Björn Gottstein: Keiner von uns sitzt im stillen Kämmerlein, sondern jeder von uns hat Gedanken ausgesprochen und Reaktionen vom anderen bekommen, die jeden dann dazu gebracht hat, seine Ideen weiterzudenken. Durch dieses dialogische Miteinander werden Konzertprogramme anders.
Was stand denn schon vorher fest?
Fischer: Das Musiktheater „Interzone“ von Enno Poppe. Und die „Mediterranean Voices“, aber dieses Projekt hat Björn Gottstein schon vor zwei Jahren als Dramaturg mitgestaltet – noch bevor klar war, dass er nach Stuttgart kommt.
Und was hat jeder von Ihnen eingebracht?
Fischer : Das Stück von Jagoda Szmytka war ein Vorschlag von Björn Gottstein, Joanna Woznys Werk wollte ich gern haben. Das hätte aber auch andersherum sein können. Polnische Musik einmal neu zu beleuchten, fanden wir beide reizvoll . .
Gottstein: . . . und wir beide wollen stärker Frauen als Komponistinnen in den Fokus stellen. Ich könnte bei keinem Stück sagen, das kommt jetzt von Fischer und das von Gottstein. Dabei ist es natürlich klar, dass ich als SWR-Redakteur für die beiden SWR-Klangkörper verantwortlich bin Christine Fischer für die Vocalsolisten. Aber auch da gibt es einen engen Dialog.
Ist das, Herr Gottstein, die Dialektik, die Sie sich wünschen?
Gottstein: Nicht im Sinne von These und Antithese. Eher Dialogisch im Sinne der antiken Philosophie, die behauptet, im Dialog entstehe die Erkenntnis.
Enno Poppe taucht zwei Mal im Festival auf: als Komponist und als Dirigent. Warum?

Fischer : Enno Poppe hat eine unverwechselbare Musiksprache, die hierher gehört. Er gehört zu der mittleren Generation, die sich jetzt etabliert haben und der wiederkommen wird. Bei Poppe ist die Ton- und Klangfindung sehr einzigartig, und seine Stücke haben immer eine sehr gute Dramaturgie und eine extrem klare, konsequente Struktur. Da entwickelt sich nichts zufällig.

Gottstein: Enno Poppe ist an einem Punkt angekommen, wo er eine gewisse Meisterschaft erreicht hat. Jetzt sind auch lange Formen kein Problem mehr für ihn, auch wenn sie oft aus einem winzigen Motiv entstehen, und diese Kunst beherrscht kaum jemand so wie er. Man könnte das mit Brahms vergleichen – das wäre zwar plump, aber doch treffend, denn Poppes Musik hat diese Größe. Dabei geht es auch um die Harmonik, um die Ausdifferenzierung im mikrotonalen Bereich. Und die klare Struktur macht den Nachvollzug auch für Laien möglich.
Poppes „Interzone“ ist ein Stück von 2004 . . .
Gottstein: Wir betreiben bei Eclat auch Repertoirepflege, und da gehört „Interzone“ unbedingt dazu. Man merkt, dass Enno Poppe hier noch nicht am Ende mit seinen Gedanken ist, die Elektronik ist auch noch ziemlich bizarr, aber gerade die Brüche machen das Stück für mich interessant.
Eine Idee von Ihnen, Herr Gottstein, ist es auch, ein neues Publikum auch über den popmusikalischen Zugang zu gewinnen und Neue Musik weniger elitär wirken zu lassen. In welcher Weise schlägt sich das in diesem Festival nieder?
Gottstein: Man kann verschiedene Aspekte aus dem popmusikalischen Bereich aufgreifen. Zum Beispiel den des Sounddesigns. Am ehesten taucht dieser bei Hannes Seidls Stück auf: Hier geht es um MP3-Filter, um die Digitalisierung von Welt und die Verfügbarkeit von Musik. Gerade diese Debatte um die Art, wie und was wir heute hören und in welcher Weise heute die Archive offen liegen, muss in der Neuen Musik unbedingt auch behandelt werden.
Und was ist jetzt weniger elitär?
Gottstein: Man muss nicht den ganzen Brahms und Beethoven im Rucksack zu Eclat mitbringen. Das ist ein Punkt. Hinzu kommt der Bereich der Klangkunst, der ein anderes Publikum ansprechen kann, das eher aus der Bildenden Kunst kommt.
Am Freitag um 18 Uhr gibt es eine Diskussion zum Thema „Neue Musik und die Diversität der Gesellschaft“. Aus welchem Anlass?

Fischer : Was wir tun, was Kunst tut, soll auch einen gesellschaftlichen Bezug haben. Jetzt behandeln wie mit „Mediterranean Voices“ ein hochaktuelles politisches Thema. Die Diskussion soll mit dafür sorgen, dass das Projekt nicht im luftleeren Raum hängt und dass die Fragen nach der Kunst nicht enden.

Gottstein: Was heißt Integration? Was heißt Vielfalt? Was ist die Position des Künstlers in der Gesellschaft? Wie gestaltet man in einer globalisierten Welt Kunstwerke in Bezug auf Homogenisierungsprozesse, und wie standardisiert sich unser Leben? Diese Fragen beschäftigen uns natürlich gerade im Umgang mit Komponisten, die aus anderen Ländern und Kulturen kommen.

Fischer :  Das ist das vielseitigste, uneinheitlichste  Projekt von allen. Wir bespielen das ganze Theaterhaus. Zwölf Komponisten aus zwölf verschiedenen Kulturen und mit zwölf unterschiedlichen Biografien, dazu zwölf Filme über die Länder und zwölf über die Komponisten: Das ist einzigartig.
Wenn jemand noch nie bei Eclat war: Welche Veranstaltungen würden Sie beide ihm aus welchem Grund ans Herz legen?
Fischer : Er muss einfach schauen, wann er Zeit hat, denn alle Tage sind klasse.