Die Salamaleque Dance Company denkt in ihrem Stück „Females Un-Covered“ über das Frausein heute nach. Foto: Salamaleque/FTTS

Ob Frauen unterm Schleier oder Jugendliche in einer überalterten Gesellschaft: Beim Festival der freien Szene im Theaterhaus sorgen zwei Produktionen für mehr Sichtbarkeit.

Stuttgart - Die freie Tanz- und Theaterszene Stuttgart (FTTS) ist einen Monat lang zu Gast im Theaterhaus. Neben Profis gehört die Bühne noch bis zum 3. Oktober auch Amateuren und wird so zum Ort, an dem unterschiedliche Menschen auf sich und ihre Themen aufmerksam machen. Um diese Art von Sichtbarkeit ging es am Ende der ersten Festivalwoche gleich in zwei Stücken, die sehr aktuelle Fragen verhandeln. Die Choreografin Heidi Rehse holt mit ihrer Salamaleque Dance Company geflüchtete und zugewanderte Menschen aus dem Verborgenen; die momentane Lage in Afghanistan macht ihr Tanzstück „Females Un-Covered“ zum Appell für ein selbstbestimmtes Leben. Ismene Schell setzt mit ihrer Freien Bühne in „That’s my Life“ auf junge Menschen, die mit hoher Intensität sehr authentisch vom Druck erzählen, der auf ihnen lastet.

Wie ist es, hinter einem Schleier und aus der Öffentlichkeit zu verschwinden? Wo das Verbergen des Körpers oberstes Gebot für Frauen ist, ist auch Tanzen, die körperlichste aller Künste, verboten. „Females Un-Covered“ bricht mit solchen Tabus und scheut sich nicht vor Ambivalenzen, wie eine Filmprojektion gleich zu Beginn klarmacht. Dünne, transparente Plastikfolien, im Video vom Atem bewegt, verhüllen die neun Frauen und den einen Mann dann auch auf der Bühne. Sind sie Gefängnis oder Schutz? Ist Befreiung auch ein Sich-Preisgeben? Mit Transparenten beweisen die Frauen, welchen Un-Freiheiten sie in einer vermeintlich freien Gesellschaft ausgesetzt sind. „Unweiblich“ oder „zu sexy“? „Kinderlos“ oder „Gebärmaschine“, „Dumm und blond“ oder „karrieregeil“, wie auf den Plakaten steht? Frauen können sich abarbeiten an den Ansprüchen und es doch nie recht machen. Oder sie befreien sich – etwa im Tanz. Charmant unangestrengte Gruppenszenen und fein gestaltete Duette erzählen davon.

Mit so geballter Wut und Aggression in Gesten und Sprache verhandeln die jungen Menschen in „That’s My Life“ ihre Anliegen, dass ihr Seelenballast schnell auf uns allen lastet. Karriere und Kohle oder Klima? Kopftuch rauf oder runter? Wie Mädchen heute ansprechen? Und was wollen diese hören? „Es gibt so viele Probleme, ich kann nicht alle lösen“, macht sich jemand Luft. Die Präsenz von Ismene Schells jungem Team ist enorm, jeder und jede ist ein Individuum mit Gegenwartsproblemen und Zukunftsängsten, jede von ihnen hat Sexismus, jeder Rassismus am eigenen Leib erlebt, alles zusammen wehren sich gegen den Druck der Leistungsgesellschaft. Man würde ihnen gern in einem Folgestück wiederbegegnen, das ihre Wut besser kanalisiert und mehr Analyse wagt. Dann findet sich vielleicht auch eine Antwort auf ihre Frage: „Wie geht das, frei zu sprechen als Ich, als Mensch?“

Festival An diesem Dienstag ist Katja Erdmann-Rajskis Body-Opera „Via traviata“ zu sehen, am Mittwoch hat Eva Baumanns Solo „Personne oder Fräulein Irgendwer“ Premiere.

Info

Festival
Am 21. September ist Katja Erdmann-Rajskis Body-Opera „Via traviata“ bei FTTS@Theaterhaus zu sehen, am 22. September hat Eva Baumanns Solo „Personne oder Fräulein Irgendwer“ Premiere.

Tickets
Über das Theaterhaus-Telefon unter 0711/40 20 7-20 /-21 /-22 /-23