„Interzone“ von Enno Poppe im Theaterhaus Foto: Sigmund

Eclat-Festival Stuttgart: Auftakt mit Enno Poppes „Interzone“ und einer Elektro-Performance.

Stuttgart - Schon die Zuordnung ist schwierig. „Lieder und Bilder für Stimmen, Video und Ensemble“ heißt Enno Poppes Stück „Interzone“ von 2004 im Untertitel. Also nicht: Oper (was mit Traditionen zu tun hätte) oder, offener: Musiktheater. Beide Begriffe gehen von einem synthetischen Ergebnis aus, von einer künstlerischen Einheit, die zu erreichen sei.

„Interzone“ hingegen tut das nicht, sondern behauptet zunächst einmal die Autonomie von Einzelteilen. Videos, Bilder, gesprochene Sätze, gesungene und instrumentale Musik. Dazu ein Libretto (von Marcel Beyer), das sich auf die Kurzgeschichten-Sammlung „Interzone“ des US-amerikanischen Beatnik-Autors William S. Burroughs bezieht, die ihrerseits ein Spiegel des Lebens in der internationalen Zone von Tanger sein will. Ein Miteinander der Einzelteile entsteht bei Enno Poppes „Interzone“ nur im Kopf der Zuschauer und Zuhörer; dort entsteht es aus dem Zusammenwirken von neben- und gegeneinander gestellten Einzelteilen.

Das ist reizvolle synthetische (Denk-)Arbeit. So sieht man etwa am Donnerstag zum Auftakt des Stuttgarter Neue-Musik-Festivals Eclat im Theaterhaus auf vier Video-Leinwänden zunächst aus wechselnden Perspektiven den Kopf eines Mannes, der spricht: amerikanische Sätze mit deutschen Wortbrocken.

Später stellen Anne Quirynens Filme unterschiedliche Ausschnitte, Blickwinkel und spielerische Verfremdungen von Menschen, Dingen und Situationen vor. Man sieht Häuser, Straßen, Plätze, Lichter, Farben – und merkt erst nach und nach, dass die Bilder auf spielerische Weise Begriffsfelder des Textes erweitern.

Die Musik, auch sie auf den ersten Blick ganz für sich alleine, funktioniert ähnlich. Unter Enno Poppes Leitung geben sich die Bläser, zwei Schlagzeuger und zwei Keyboarder des Ensembles Mosaik hochmotorisch und hochexpressiv, bewegen sich, oft mithilfe feiner Glissandi, in Zwischenräume der Harmonik, und erst nach und nach merkt man, wie sich die Bilder mit den Tönen verbinden (oder umgekehrt?), wie die Stimmen der fünf beteiligen Neuen Vocalsolisten Instrumentales imitieren (und umgekehrt), wie sich aus Musik und Text ein Rhythmus ergibt. Mit Hingabe zelebriert dies, sprechend, singend, schreiend, auch der Bariton Omar Ebrahim als Protagonist, der zwischen Welten lebt. Es entstehen faszinierende Klänge (etwa von zwei leise aufwärts gleitenden Keyboards oder vom Schlussdialog des Soprans mit einer Flöte) und Schnittmengen (vor allem zwischen den Rhythmen der Filme und der Musik)..

Leider ist einschränkend zu bemerken, dass die Form von „Interzone“ für den Inhalt und für die assoziative Art des Erzählens viel zu lang ist: Poppes musiktheatralischen Erstling kann man nicht nur genießen, man muss ihn auch aushalten.

Einen Gegenentwurf bot am späten Donnerstagabend die live-elektronische Performance „two ways to adress the public“: An einem Tisch drehte Boris Baltschun an Knöpfen, schob Regler hin und her, löste Kontakte – und heraus kam eine Klang-Geschichte mit klarer Dramaturgie und Struktur. Etwas schlicht wirkte das Ganze auch, aber vollkommenes Glück ist bei Neuer Musik noch seltener als anderswo.