Wie im vergangenen Jahr wird der Marktplatz zur Bühne Foto: Leif Piechowski

Seit Jahrzehnten schon gilt Stuttgart als Musterbühne für die kulturelle Vielfalt einer Stadtgesellschaft. Wichtige Fragen formuliert das Künstlerhaus mit seinem von Adnan Yildiz verantworteten Ausstellungsprogramm.

Stuttgart – Seit Jahrzehnten schon gilt Stuttgart als Musterbühne für die kulturelle Vielfalt einer Stadtgesellschaft. Wichtige Fragen formuliert das Künstlerhaus mit seinem von Adnan Yildiz verantworteten Ausstellungsprogramm.

Positionen

„This exhibition’s factual accuracy may be compromised due to its practical nature“, ist im November 2012 eine Ausstellung des kurdischstämmigen Konzeptkünstlers Ahmet Ögüt im Künstlerhaus Stuttgart betitelt. Die Übersetzung: „Die sachliche Richtigkeit dieser Ausstellung könnte durch ihren praktischen Charakter beeinträchtigt sein.“ Adnan Yildiz, künstlerischer Leiter des Künstlerhauses, formulierte seinerzeit zum Ansatz der Ausstellung: „Es soll eine kritische Sicht auf die Art und Weise entwickelt werden, wie wir als ökonomische, aber zugleich irrationale Subjekte gesellschaftliche Veränderungen in einer Welt im Übergang einfordern und herbeiführen.“

Wir sind die anderen

Die Frage, wie wir uns als einzelne Persönlichkeiten in kleineren und größeren, uns bekannten und uns unbekannten Szenarien verhalten, beschäftigt Adnan Yildiz als Leitfaden seiner Ausstellungen und Veranstaltungen im Künstlerhaus. Programmatisch schon der Auftakt im Jahr 2011 mit dem Projekt „Wie geht es Dir, Stuttgart?“. Erarbeitet und geboten wurde eine Bestandsaufnahme des Lebens in und mit der Stadtgesellschaft. So präsentierten etwa Sylvia Winkler und Stephan Köperl mit ihrer Videoarbeit „Stiefkind ZOB“ einen kritisch-melancholischen Blick auf die Verlagerung des Zentralen Omnibusbahnhofs aus der Stadtmitte heraus nach Stuttgart-Vaihingen. Der Busbahnhof als Forum der Kulturen im eigentlichen Sinn ist nur mehr Erinnerung, das über die jeweiligen nationalen Buslinien und ihre Reisenden spürbare Band in die markierte Fremde ist Geschichte. „Wie geht es Dir, Stuttgart?“ machte deutlich: Wir – das sind immer auch die anderen. Und damit Ausgangspunkt von Interesse und Respekt.

Realitäten

Die Stadt Stuttgart hat sich sehr früh für einen offensiven Umgang mit der wachsenden Vielfalt der Bevölkerung entschieden. Eine Haltung, die Identifikation mit dem jeweiligen Wohn- und Lebensquartier, aber auch mit der Stadt als Ganzes befördert. Die aktuellen Zahlen: In Stuttgart leben Zuwanderer aus 180 Nationen, die über 120 Sprachen sprechen. Knapp 40 Prozent aller Einwohner und mehr als 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund. Was aber besagt dieses Wort heute eigentlich? Wie wird es verwendet? Als Entschuldigung? Als Angriff? Als Möglichkeit der Distanzierung? Oder umgekehrt gar als Chance, eine neue Identität zu schaffen?

Integration ist mehr

Die Gegenwartskunst skizziert in besonderer Weise die weltweiten Wanderungsbewegungen. Wie auch das Künstlerhaus unter Leitung von Adnan Yildiz ist – mit Projekten in noch größerem Maßstab – der Württembergische Kunstverein Stuttgart unter Leitung von Iris Dressler und Hans D. Christ als Forum zu nennen, das Ausgangspunkte, Begleiterscheinungen sowie politische und wirtschaftliche Bedingungen von Migration untersucht. Immer wieder werden dort auch Projekte dokumentiert, in denen Künstlerinnen und Künstler versuchen, scheinbar starre Zustände durch aktive Teilhabe an Entscheidungsprozessen in Bewegung zu bringen.

Einer der am häufigsten diskutierten Begriffe ist Integration. Wer erwartet was und warum von diesem Begriff? Ist Integration gar zu einem Ausweis geworden? Für die einen Ausweis ausgrenzender Erwartungen der Angleichung, für die anderen Ausweis der bewussten Vielfalt? Über alldem wird übersehen: Integration ist zunächst einmal ein bewusster Vorgang gegen Ausschluss und erkennbare Teilung der Stadtgesellschaft.

Das Festival

Von kommenden Dienstag an bis einschließlich Sonntag findet auf dem Marktplatz in Stuttgart das Sommerfestival der Kulturen statt. Ist es eine Antwort auf jene Fragen, die Adnan Yildiz im Künstlerhaus stellt, die Iris Dressler und Hans D. Christ im Württembergischen Kunstverein formulieren und die tagtäglich in allen Stadtquartieren gestellt werden (müssen)? Es ist zuerst und vor allem ein Festival. Organisiert durch das Forum der Kulturen, Dachverband der Migrantenvereine. Und es könnte Ausgangspunkt sein, die vielen Fäden kultureller Vielfalt weiter zu verknüpfen. Wie geht es Dir, Stuttgart? Zusammen bestens.