Der Auftrag war längst ausgeschrieben, die ersten Rohre lagen – doch die Stadtwerke behaupteten, es werde keine Leitung verlegt. Foto: Priebe

Entgegen aller Beteuerungen erweitern die Stadtwerke ihr Rohrnetz in Richtung Hulb. Die Interessengemeinschaft Fernwärme stellt alte und neue Aussagen genüsslich nebeneinander und zweifelt am Versprechen, das Geschäft finanziere sich selbst.

Böblingen - Der Oberbürgermeister feierte das Geschäft als „Bündnis für den Klimaschutz“ und „Meilenstein der Fernwärmeversorgung“. Zur Vertragsunterschrift ließ Wolfgang Lützner sich mit einem Glückwunsch an „die Mannschaft der Stadtwerke“ zitieren. Damit zu Teilen an sich selbst, denn Lützner ist Aufsichtsratschef des städtischen Unternehmens.

Anlass aller Begeisterung war, dass die Stadtwerke künftig den Gewerbepark H 130 mit Energie beliefern, einen Gebäudekomplex im Gebiet Hulb, den eine Frankfurter Immobiliengesellschaft verwaltet. Den Bau teilen sich 15 Unternehmen und eine Behörde – der Zoll. Für zehn Millionen Euro wollen die Stadtwerke einerseits ein Blockheizkraftwerk bauen, andererseits den Komplex an das Fernwärmenetz anschließen. Die Stadtwerke versichern, das Projekt finanziere sich selbst. Altkunden „werden mit der Anbindung der Hulb nicht belastet“, sagte Lützner. Was zu betonen in Böblingen stets wichtig ist.

Der Bürgerinitiative gilt das Lob als Beweis für eine Lüge

Der Widerspruch ist auch stets garantiert. Peter Aue gilt all das Lob zuvörderst als Beweis dafür, dass die Stadtwerke bisher eine Lüge verbreitet haben. Ein Ausbau des Fernwärmenetzes in Richtung Hulb „wurde immer vehement bestritten“, sagt Aue. Er ist Sprecher der Interessengemeinschaft Fernwärme, der IGF, deren Mitglieder satzungsgemäß beklagen, das Unternehmen zocke seine Altkunden ab.

Im vergangenen April hatte die Verlegung von Rohren in Richtung Hulb bereits begonnen – unübersehbar und erwartungsgemäß. Schließlich hatte das Unternehmen den Auftrag, zwischen den Gebieten Steidach und Hulb 350 Meter Leitung zu verlegen, im November zuvor ausgeschrieben. Auch als die Rohre schon neben und in den Gräben lagen, ließen die Stadtwerke wissen, es würden keine verlegt.

Entsprechend genüsslich stellt die IGF nun damalige und jetzige Aussagen gegenüber. Dies, wie stets, verbunden mit dem Vorwurf, dass die Stadtwerke künftige Geschäfte finanzierten, indem sie ihren Altkunden überhöhte Preise berechneten. Seit 2015 waren die Kosten für die Böblinger Fernwärme zweimal gestiegen, etwa um ein Drittel. Im bundesweiten Schnitt sanken sie gleichzeitig um rund zehn Prozent. Begründet worden waren die Aufschläge mit Investitionen in Leitungen, keineswegs mit einem Ausbau des Netzes.

Das ARD-Magazin Plusminus widmet sich den Stadtwerken

Dieser Umstand findet inzwischen weit über Böblingen hinaus Beachtung. Im vergangenen November widmete das ARD-Magazin „Plusminus“ den Stadtwerken einen Beitrag. Vor einer Woche war Aue neuerlich im Fernsehen zu sehen. Diesmal erklärte er für das SWR-Magazin „Zur Sache! Baden Württemberg“ seine Sicht der Dinge. Für die Fernsehkamera gaben Verbraucherschützer ihm jeweils Recht – allerdings handelte es sich um zwei nahezu deckungsgleiche Sendungen. Die letztinstanzliche Entscheidung fehlt nach wie vor. Das Landeskartellamt prüft die Geschäftspraxis der Stadtwerke – noch immer. Ursprünglich hätten im vergangenen Herbst erste Ergebnisse vorliegen sollen, aber „die Stadtwerke haben um eine Fristverlängerung gebeten“, sagt Aue.

Derweil ist ein Versuch der IGF gescheitert, den Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden für Preissenkungen in die Pflicht zu nehmen. Ende 2016 hatte der Gemeinderat entschieden, einen Teil des Festpreises zu senken. Fernwärme-Zwangskunden zahlen 2,70 Euro sogenannte Konzessionsabgabe. Wer sich aus freien Stücken für die Fernwärme entscheidet, dem werden lediglich 30 Cent berechnet. Auf dieses Niveau sollte nach dem Willen der Kommunalpolitiker auch der Preis für die Zwangskunden gesenkt werden. Weil dies bis heute nicht geschehen ist, hat die IGF gegen den Rathauschef Lützner eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Zumindest vorerst ohne Konsequenzen: Für Oberbürgermeister, ließ das Regierungspräsidium wissen, sei die Dienstaufsicht schlicht nicht zuständig.