Der Fernsehturm bei Nacht: Rund um das Wahrzeichen treffen sich Leute zum Cruising. Dabei handelt es sich um unverbindlichen, anonymen Sex. Foto: Archiv Daniel Moritz

Rund um den Kiosk am Fernsehturm in Stuttgart-Degerloch sieht es oft unappetitlich aus. Kondome und Zigaretten liegen herum. Was sagt der Inhaber des Kiosks dazu? Und werden die Homosexuellen zu Unrecht an den Pranger gestellt?

Degerloch - Es ist ein ungemütlicher Vormittag. Die Spitze des Fernsehturms verschwindet in den tief hängenden grauen Wolken, große Schneeflocken fallen hinab, es ist kalt. Im Kiosk von Rainhard Pietsch auf dem Parkplatz vor dem Fernsehturm ist es deutlich gemütlicher: Etwa ein Dutzend Handwerker sitzen dort, jeder mit einer Tasse Kaffee vor sich. Währenddessen wird im Ofen der Leberkäse warm gemacht. Und ein Lieferant bringt neue Ladungen an Cola, die Rainhard Pietsch nach und nach in den Kühlschrank legt.

Manche warten länger in der Klokabine

Der 62-Jährige ist seit elf Jahren der Besitzer des Kiosks auf dem öffentlichen Parkplatz vor dem Fernsehturm. „Dinkelacker Grill“ steht auf dem Schild über der Tür. Der Wirt beobachtet Tag für Tag die Situation rund um den Fernsehturm. Er erzählt: „Wenn ein Mann auf die öffentlichen Toiletten hinter dem Kiosk geht, rennen sofort ein oder zwei andere Männer hinterher.“ Es sei ein offenes Geheimnis, dass der Fernsehturm ein Treffpunkt für Menschen aus der Homosexuellen-Szene sei – speziell eben die Toiletten und der umliegende Wald. „Das ist schon seit Jahrzehnten so“, meint Pietsch.

Dagegen hat Pietsch nichts, nur ärgert es ihn, dass er sich immer wieder für den Zustand der Toiletten rechtfertigen muss: „Die Männer werfen ihre Zigaretten und Kondome einfach in die Ecke. Ich bin für die Reinigung der Toiletten aber gar nicht zuständig, darum kümmert sich die Stadt. Jeden Tag kommt ein Mitarbeiter und macht das.“ Doch weil einige Männer recht viel Zeit in den Toiletten verbringen würden, sei es dort trotzdem oft dreckig: „Einige warten ein bis zwei Stunden in der Herrentoilette auf potenzielle Interessenten. Währenddessen rauchen sie eine Zigarette nach der anderen – und die Kippen landen eben einfach auf dem Boden.“

Wäre ein „Klo-Management“ die Lösung?

Andreas Dorer aus Esslingen ist einer der Besucher, die sich von den Toiletten angeekelt fühlen. Dorer ist nicht oft am Fernsehturm, doch vor einigen Wochen war er mit Gästen von auswärts mal wieder dort und war entsetzt: „Die Toiletten sind nicht nur optisch schlimm. Auch vom Reinigungszustand und dem Gestank kann man nur entsetzt sein“, sagt er. „Nie wieder gehen wir auf diese Toilette.“

Der Esslinger hat kein Verständnis dafür, warum sich die Stadt Stuttgart nicht intensiver um die gesamte Gegend rund um den Fernsehturm kümmere: „Schließlich ist der Turm ein wichtiges Wahrzeichen und ein Besuchermagnet in und für Stuttgart.“ Außerdem fragt er sich, warum man nicht eine Art „Klo-Management“ einführe – so wie an Raststätten. „Damit wäre einigen Problemen abgeholfen.“

Homsexuelle fühlen sich an den Pranger gestellt

Unterdessen berichtet der Kioskbesitzer, dass viele von seinen Kunden mittlerweile lieber in den angrenzenden Wald statt auf die Toiletten gehen, um zu pinkeln, was freilich auch keine gute Lösung sei. Denn bereits jetzt beklagen sich immer wieder Spaziergänger und Fernsehturm-Besucher über die herumliegenden Taschentücher und anderweitigen Müll in dem Waldstück. Erst kürzlich haben die Degerlocher Bezirksbeiräte dafür gestimmt, am Wahrzeichen mehr Mülleimer aufzustellen.

Die Initiativgruppe Homosexualität Stuttgart mahnt unterdessen zu etwas mehr Fairness: „Das ist selbstredend eine Sauerei. Und es gehört zu einer gewissen Anständigkeit, dass man seinen eigenen Müll in eine dafür vorgesehene Tonne entsorgt. Aber trotzdem fällt uns bei dieser Debatte der Fokus auf die schwule Community besonders auf: Würde es tatsächlich im Allgemeinen um das Thema Müll in der Stadt gehen, würden die überfüllten Mülleimer in der Innenstadt oder die mit Kippen bedeckten Gleisbetten der Stadtbahnen ebenso im Fokus stehen. Dies ist aber nicht der Fall“, schreibt Valentin Gashi in einer Stellungnahme.

Im Fernsehturm selbst gibt es auch Toiletten

Trotzdem glaube die Gruppe, dass ein paar mehr Mülleimer helfen könnten, „dass die Menschen ihre Manieren beweisen und den eigenen Müll richtig entsorgen.“ Generell gebe es sogenannte Cruising-Szenen – also Orte, an denen sich Menschen zum schnellen Sex treffen – in großen Städten schon immer. „Das ist weder ein Stuttgarter Phänomen noch eines der schwulen Männer.“

Gashi berichtet, dass Cruising-Szenen ihr Hoch in den 1980er und 1990er Jahren in Amerika hatten – vor allem unter den heterosexuellen Studenten. Er sieht das Problem vielmehr im Umgang mit sexueller Freizügigkeit: „Diese sollte in einem angemessenen Rahmen stattfinden, aber das muss man auch unseren heterosexuellen Mitbürgern erklären.“ Bei der Initiativgruppe selbst seien bisher keinerlei Klagen von Menschen angekommen, die sich über das Treiben am Fernsehturm beschweren.

Bezüglich der unappetitlichen Toiletten hinter dem Kiosk hat Andreas Dorer übrigens noch einen Tipp für die Besucher des Fernsehturms: „Wir selbst haben es zu spät gesehen, aber im Kassenbereich des Fernsehturms direkt gibt es ja auch Toiletten. Und die sind in einem deutlich besseren Zustand als die hinter dem Kiosk.“