Alles für die Forschung: Tim Bendzko singt auf der Bühne – und heizt dem Publikum ein. Foto: Caroline Neuber

In Leipzig hat am Wochenende zusammen mit dem Sänger Tim Bendzko die erste Studie zur Untersuchung des Infektionsrisikos für Covid-19 bei Großveranstaltungen stattgefunden. Unsere Mitarbeiterin Caroline Neuber aus Fellbach war als Probandin mittendrin.

Leipzig/Fellbach - Unter welchen Voraussetzungen sind Großveranstaltungen in Deutschland eigentlich wieder möglich? Ein Beispiel: Mönchengladbach lässt für einen Test wieder 300 Zuschauer in den Borussia-Park, zugleich wird ein Großkonzert in Düsseldorf mit vorgesehenen 13 000 Besuchern wieder abgesagt. Caroline Neuber, Mitarbeiterin der Fellbacher Zeitung, wohnt im Stadtteil Lindle. Als die junge Frau Mitte Juli von der Studie Restart-19 hörte, gefiel ihr die Idee auf Anhieb, und sie dachte sich: „Das will ich unterstützen!“

Da ihre Eltern beide Musiker sind, kennt Caroline Neuber die aktuelle Lage der Künstler sehr gut. Und als Studentin der Kommunikationswissenschaft an der Uni Hohenheim weiß sie zudem, wie schwierig es sein kann Probanden für eine Studie zu finden. „Leipzig liegt zwar nicht gerade um die Ecke, da ich dort auch noch nie war, ließ es sich jedoch gut mit einem kleinen Städtetrip verbinden“, erzählt sie.

Knapp 1500 Menschen versammeln sich vor der Arena

Zum Glück habe auch der Test den Weg nach Leipzig schnell genug gefunden, sodass sie teilnehmen konnte und in einer fünfstündigen Autofahrt nach Leipzig gelangte. „Und zugegeben, ein Fan von Tim Bendzko bin ich auch.“

Und dann war sie plötzlich als Testperson mittendrin. Caroline Neuber erzählt von dem Tag in Leipzig: Der Himmel ist wolkenverhangen, Regen prasselt auf die Schirme, doch das trübt die Stimmung der Menschen vor der Leipziger Arena an diesem Samstagmorgen kaum. Knapp 1500 Menschen werden sich bis 10 Uhr vor der Arena versammeln. So viel war hier seit Wochen nicht mehr los.

Seit Mitte März alle Großveranstaltungen in Deutschland verboten wurden, liegt die Arena, in der sonst die Spiele des SC DHfK Handball Leipzig stattfinden, verlassen da. Damit sich das wieder ändert, haben Dr. Stefan Moritz, Leiter der Infektiologie an der Universitätsmedizin Halle und sein Team die Restart-19-Studie auf die Beine gestellt. Alle zwischen 18 und 50 Jahren waren dazu aufgerufen, als Probanden teilzunehmen und in drei verschiedene Szenarien ein Konzert des Popsängers Tim Bendzko zu erleben.

Nach einem schnellen Fiebermessen darf man in die weißen Zelte eintreten

In den Szenarien werden die Abstände zwischen den Besuchern und auch die Einlassmöglichkeiten variiert. Das Ziel: Das Risiko einer Infektion mit Covid-19 bei Großveranstaltungen einschätzen können und Hygienekonzepte für Konzerte und Sportveranstaltungen auf Basis der ermittelten Daten zu erstellen. „Trotzdem soll natürlich die Sicherheit bestmöglich gewährleistet werden“, erklärt Caroline Neuber. Deshalb wurde allen Teilnehmern vorab ein Abstrich-Set zugesendet und nur bei negativem Testergebnis eine Teilnahme ermöglicht. Auch die Vertreter der Presse sowie alle Helfer mussten vorab getestet werden. In orangefarbenen T-Shirts sind die Helfer unterwegs, die vor allem auch als „Hygienestewards“ dienen, um zu schauen, dass sich alle an die Hygienevorschriften halten.

Nach einem schnellen Fiebermessen darf man in die weißen Zelte eintreten und bekommt drei Eintrittskarten für die verschiedenen Szenarien sowie Desinfektionsmittel, eine FFP2-Maske und am wichtigsten: den Contact Tracer. Dieser sendet Signale aus und misst so, mit welchen anderen Tracern man in Berührung kommt und wie lange. Für die Verfolgung der Wege sind zudem Sensoren in der gesamten Arena aufgestellt. Das Desinfektionsmittel beinhaltet fluoreszierende Stoffe, sodass später geschaut werden kann, welche Flächen hauptsächlich angefasst wurden. Bevor es losgeht, bleibt Zeit sich Kaffee, Gebäck und Obst an den zahlreichen Ständen rund um die Arena zu holen. Schon zu diesem Zeitpunkt besteht großes Medieninteresse, und es werden viele Interviews geführt.

Im ersten Szenario, dem „Vor-Corona“, sitzen alle dicht gedrängt

Kein wissenschaftliches Großprojekt ohne kleine Panne: Der erste Einlass verzögert sich um eine Stunde, da versehentlich falsche Tracer ausgegeben wurden. Diese senden kontinuierlich, statt nur alle vier Minuten Signale aus, was zur Folge hätte, dass alle Geräte nach zwei Stunden mit Daten überladen gewesen wären. Zum Glück hat der Regen mittlerweile aufgehört und trotz der Wartezeit bleiben die allermeisten ruhig und entspannt. Dann beginnt auch schon der Einlass, und gespannt tritt man in die Halle ein. Es läuft leise Musik, die Lichter sind abgedunkelt und wie bei einem richtigen Konzert gibt es Helfer, die den Platz zum Weg zeigen.

Im ersten Szenario, dem „Vor-Corona“, sitzen alle dicht gedrängt, und es gibt nur zwei Eingänge. Eigentlich hatten die Veranstalter auf eine Teilnehmerzahl von 4400 Personen gehofft, doch auch mit den rund 1500 Probanden ist Dr. Stefan Moritz zufrieden: „Das ist zwar nur etwa ein Drittel der erwarteten Probandenzahl, aber eine Datenbasis, mit der wir sehr gut arbeiten können.“

Nach kurzer Erklärung der Studie mit kleiner Aerosolen-Vorführung anhand von Bühnennebel ist auch schon die erste Pause. Im Gegensatz zu normalen Konzerten, bei denen diese Pause vor allem der Erholung der Künstler dient, sind die Forscherinnen und Forscher sehr an den Ergebnissen interessiert: Wie bewegen sich Besucher in den Pausen? Kommt es zu Engstellen und vielen Kontakten bei den Toiletten? Immer wieder wird betont, dass trotz der Studiensituation bitte möglichst natürlich gehandelt werden soll. „Mit der Maske ist man dennoch stets daran erinnert“, sagt Caroline Neuber. Allerdings komme durchaus Konzertstimmung auf, als Tim Bendzko die Bühne betritt. Nach 20 Minuten ist jedoch zunächst wieder Schluss und Szenario eins beendet.

Tim Bendzko hat richtig Spaß

Nach Umbauarbeiten und Esspause geht es mit Szenario zwei weiter. Die Halle ist nun in vier Quadranten aufgeteilt, und zwischen jedem Besucher ist ein Platz frei. Beim „Schachmuster“ ist die Halle schon fast zur Hälfte gefüllt. Das Publikum ist dabei bunt gemischt. Es sind zwar etwas mehr Frauen, aber altersmäßig lässt sich keine Tendenz erkennen. Neben Pärchen und kleineren Gruppen sind auch einige Teilnehmer allein gekommen. Dennoch spürt man ein gewisses Wirgefühl, da alle dieses Projekt unterstützen wollen.

Dass es nicht nur ein wissenschaftliches Projekt ist, fällt auch Tim Bendzko auf: „Das hat uns richtig Spaß gemacht. Ich hatte erst gedacht, dass es wegen der Masken sehr steril wird, aber es war ein überraschend gutes Gefühl. Und das Publikum in Leipzig war erstaunlich textsicher.“ Das ist bei einem Publikum, das teils aus Handballfans und Beschäftigten der Veranstaltungsbranche besteht, nicht selbstverständlich, doch viele geben auch zu, dass Tim Bendzko ein weiteres Argument für die Teilnahme war.

Die Studie weckt großes Interesse

Zu guter Letzt das dritte Szenario: Nun unter vorschriftsmäßigen Corona-Bedingungen. Zwischen jedem Pärchen sind 1,5 Meter Platz, und so füllen die 1500 Menschen schon fast die ganze Halle, in der ansonsten rund 8000 Leute Platz haben. Nach bereits mehr als acht Stunden und trotz sommerlichen Temperaturen lassen sich die Probanden nichts anmerken, und es kommt gegen Ende sogar wieder richtig Stimmung auf – trotz der Abstände. Einige stehen auf und tanzen an ihrem Platz, und auch mit Maske ist der Gesang deutlich zu hören. Das überrascht auch Tim Bendzko, der immer wieder das Publikum zum Klatschen und Singen animiert. Bevor er sein Lied „Keine Maschine“ singt, ruft er dem Publikum zu: „Ihr seid vielleicht doch welche. So lange die Masken tragen und dass bei den Temperaturen. Ihr seid hier die Helden!“

Kurz nach halb sieben ist es dann geschafft. Man kommt aus der Arena heraus und blinzelt in das Sonnenlicht. Was im Regen begonnen hatte, endet bei Sonnenschein und einem schönen Sommerabend. Man kann nur hoffen, dass es so auch für die vielen Menschen in der Veranstaltungsbranche läuft. „Ich hoffe, dass die Ergebnisse uns dabei helfen, bald wieder richtige Konzerte vor Publikum zu spielen“, sagt Tim Bendzko. Erste Ergebnisse werden in ungefähr sechs Wochen erwartet. Doch schon jetzt hat die Studie internationales Interesse geweckt, und in Australien, Belgien und Dänemark sind ähnliche Untersuchungen in Planung.