Biotop am Bahndamm: Die Sicht aufs Fahrradparkhaus vom Kiosk aus. Foto: Patricia Sigerist

Der Bau des umstrittenen Turms am Fellbacher Bahnhof steht seit Monaten still. Wann geht es weiter?

Fellbach - Wie rasch sich die Natur verloren geglaubtes Terrain zurückerobern kann, lässt sich derzeit am Fellbacher Bahnhof bestaunen. Dort präsentiert sich der fürs geplante Fahrradparkhaus gerodete Hang inzwischen wieder in üppig wucherndem Grün.

Fast meint man, ein paar kleine Eidechsen durchs Blattwerk huschen zu sehen

Groß gewachsen ist das Gestrüpp, fingerdick die Äste der gar nicht mehr so kleinen Büsche, am Bahndamm wächst das reinste Biotop. Fast meint man, ein paar kleine Eidechsen durchs Blattwerk huschen zu sehen. Von der Drahtesel-Herberge, mit der sich Fellbach als auch in Mobilitätsfragen zukunftsfähige Kommune präsentieren wollte, steht nach wie vor nur das Fundament. „Das macht einen jeden Tag sprachlos“, sagt eine ältere Dame, die am Donnerstag ihr Fahrrad am Bauzaun vorbeischiebt. Sie spricht ungefragt von einem „Denkmal“ – und hat ansonsten nicht viel gute Worte für Stadtverwaltung und den Fellbacher Gemeinderat übrig.

Tatsächlich gibt es – abgesehen von der auf die Vollendung wartenden Ruine des Gewa-Towers vielleicht – wohl kein Bauprojekt, das unter einem derart schlechten Stern steht wie das Fahrrad-Parkhaus am Bahnhof. Erst war sich die Lokalpolitik uneins über den exakten Standort, dann rückten die beachtlichen Kosten für den 16-Meter-Turm mit der Paternoster-Technik ins Blickfeld.

In Betrieb gehen sollte das „Leuchtturmprojekt“ ursprünglich bereits Ende 2018

Findige Rechner hatten nämlich schnell ermittelt, dass wegen der hohen Baukosten jeder einzelne der 76 geplanten Fahrrad-Abstellplätze mit stattlichen 12 000 Euro zu Buche schlägt. Beraten und beschlossen wurde der Fahrrad-Turm trotz der Bausumme von 912 000 Euro. Die Stadtverwaltung konnte nämlich nicht nur mit der innovativen Strahlkraft des im Rahmen des „Bahnhofs der Zukunft“ entstandenen Projekts werben. Ins Gewicht fiel für die Bürgervertreter bei der Entscheidung auch, dass es reichlich Fördermittel gibt. Wegen des Vorbildcharakters in Sachen „Neue Mobilität“ sind aus dem Füllhorn von Stuttgart und Brüssel fast 450 000 Euro zugesagt. Dass fast die Hälfte der Baukosten als Zuschuss fließen, gab für die Stadträte den Ausschlag – wer möchte schon Nein sagen, wenn es die Imagewerbung zum halben Preis gibt?

Die Antwort aus dem Rathaus war, dass es leider wegen vertragsrechtlicher Bedenken zu Verzögerungen komme

In Betrieb gehen sollte das „Leuchtturmprojekt“ ursprünglich bereits Ende 2018 – ein Zeitplan, der sich nicht halten ließ. Doch auch die Idee, die zur Remstal-Gartenschau am Bahnhof ankommenden Besucher mit einem Fellbacher Vorzeigeprojekt zu beeindrucken, scheiterte. Im Mai erlaubte sich der CDU-Stadtrat Jörg Schiller die Nachfrage, ob es denn irgendwann auch mal weitergehe mit dem Fahrradparkhaus. Die Antwort aus dem Rathaus war, dass es leider wegen vertragsrechtlicher Bedenken zu Verzögerungen komme. Auf Fragen nach dem Zeitplan stellte die fürs Baudezernat zuständige Bürgermeisterin Beatrice Soltys einen Eröffnungstermin im Herbst in Aussicht – freilich ohne auch ein genaues Datum zu nennen. „Das hat jetzt leider einfach länger gedauert“, sagte sie.

Für die Fassade allerdings hatte sich die Stadt eine zweite Pilotidee ausgedacht

Zu erfahren war im Frühsommer immerhin, dass es keine technischen Probleme mit dem Paternoster-System gibt und der in den Hang gegrabene Baugrund keine unlösbaren Schwierigkeiten birgt. Auch von einer Kostenexplosion – bei Prototypen eine durchaus denkbare Gefahr – konnte offenbar keine Rede sein. Schuld an der Verzögerung war vielmehr, dass es mitten in der Bauphase plötzlich Bedenken zur Gewährleistungsfrage gab. Der Hintergrund: Mit dem Fahrrad-Parkhaus selbst hat die Stadt Fellbach die Firma Klausner aus Luzern in der Schweiz beauftragt. Die will bei der Fördertechnik für den Turm nicht auf komplizierte Digitaltechnik, sondern auf die bewährte Mechanik eines Paternoster-Aufzugs setzen. Die geringere Störungsanfälligkeit gab für das Fellbacher Baudezernat auch den Ausschlag, das Projekt mit den bisher vor allem für Hochregallager stehenden Schweizern umzusetzen. Baudezernentin Soltys rechnet beim Radturm, sollte er dereinst mal fertig werden, mit einem Wartungsaufwand von gerade mal vier bis sechs Stunden im Jahr.

Betont wurde im Mai allerdings, dass die leidige Frage nach der Gewährleistung inzwischen vom Tisch sei

Für die Fassade allerdings hatte sich die Stadt eine zweite Pilotidee ausgedacht: Neben einem als Vandalismusschutz sehr robusten Stahlmantel im Sockelbereich soll am Turm recycelte Glaskeramik zum Einsatz kommen. Die aber wird nicht von den Schweizern, sondern einer zweiten Firma geliefert. Und deshalb stellte sich die Frage, wer für Komplikationen haftet, wenn es mit dem Fahrradturm doch nicht so läuft wie gedacht. Besonders komplex war die Suche nach einer Lösung offenbar auch deshalb, weil wegen der Fördermittel jeder Schritt mit L-Bank und Regierungspräsidium abgestimmt werden musste. Betont wurde im Mai allerdings, dass die leidige Frage nach der Gewährleistung inzwischen vom Tisch sei. Die Schweizer Firma, gab Baubürgermeisterin Soltys als Verhandlungsergebnis zu Protokoll, sei bereit, auch fürs Recycling-Glas geradezustehen. Seither freilich ist erneut ein Vierteljahr ins Land gezogen, ohne dass sich beim Fahrradparkhaus am Bahnhof etwas getan hätte. Gut, ein Stück Gehweg hat die Stadt asphaltieren lassen, damit die Passanten in Richtung S-Bahn nicht über die Fahrbahn hasten müssen. Doch ansonsten herrscht Stille am Bahndamm.

Der Bürger muss sich also noch ein wenig gedulden mit dem „Bahnhof der Zukunft“

Ob es denn dieses Jahr noch was wird mit der Einweihung des Vorzeigeprojekts? Eine Anfrage bei der Stadtverwaltung bringt da keine wirkliche Erhellung. Im Pressereferat ist zwar zu hören, dass es demnächst weitergehen müsse mit der seit Monaten ruhenden Baustelle, offenbar wird aktuell der Zeitplan für die ausstehenden Arbeiten abgestimmt. Wann und wie es weitergehen soll, ist aber leider nicht zu erfahren. Denn für die Sitzung des Bauausschusses am nächsten Donnerstag werde eine Information an die Stadträte vorbereitet – und der wolle man trotz Presseanfrage nicht vorgreifen. Der Bürger muss sich also noch ein wenig gedulden mit dem „Bahnhof der Zukunft“. Immerhin ist beim Fahrrad-Turm bisher nicht von einer weiteren Verzögerung die Rede. Das ist doch auch schon mal was. Und Gras ist schließlich ohnehin schon reichlich gewachsen über die Baustelle am Bahndamm. Wenn es so weitergeht wie bisher, werden auch noch richtige kleine Bäumchen draus.