Viele Hausärzte sind bei der Aufnahme von Patienten an ihre Grenzen gekommen. Foto: dpa

Allgemeinärzte sind überlastet, müssen Patienten abweisen und wünschen sich mehr Kollegen .

Fellbach - Während die Kassenärztliche Vereinigung belegt, dass die Versorgung in der Region mit Haus- und Fachärzten gut bis sehr gut sei (wir berichteten), erscheint zwei Fellbacher Allgemeinärzten, Dr. Ingrid Neumann und Dr. Dietmar Treiber, die Situation vor allem in der hausärztlichen Versorgung nicht so rosig. „Nachdem Dr. Roland Zaiß für seine Praxis keinen Nachfolger fand, hatte ich im vergangenen Quartal täglich etwa vier Anfragen von neuen Patienten. Im Durchschnitt musste ich drei davon ablehnen, einen konnte ich annehmen“, sagt Dietmar Treiber, der im südlichen Fellbach eine Hausarztpraxis betreibt. In der Umgebung Waiblingens fehlten bis zur maximalen Deckung von 110 Prozent deutlich über 20 Hausarztstellen“, berechnet die Sprecherin der Fellbacher Ärzte, Ingrid Neumann.

Nicht nur Roland Zaiß hat seine Praxis aufgegeben, in den vergangenen eineinhalb Jahren schlossen auch Dr. Austel und Dr. Wesnin in Schmiden und Oeffingen ihre Praxen. „In Schmiden gibt es nur noch vier Hausärzte in drei Praxen, in Oeffingen sind es lediglich zwei“, sagt Dietmar Treiber. Und die Versorgung könnte noch knapper werden: Bundesweit liege der Altersdurchschnitt der Allgemeinärzte so hoch, dass in den kommenden Jahren 21 Prozent altershalber aufhörten, meint Treiber: „Und nur jede dritte Praxis wird einen Nachfolger finden“. Rund 500 Hausarztpraxen würden innerhalb der nächsten fünf Jahre in Baden-Württemberg ohne Nachfolger schließen, sagt Ingrid Neumann voraus.

Inzwischen sind 70 Prozent der Berufsanfänger im medizinischen Bereich Frauen

Weil inzwischen 70 Prozent der Berufsanfänger im medizinischen Bereich Frauen sind und viele von ihnen Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollten, gehen die Fellbacher Praxisinhaber davon aus, dass ein Großteil der jungen Ärztinnen nur in Teilzeit und in einem geregelten Angestelltenverhältnis arbeiten möchte. Auch er habe seit zwei Jahren eine junge Kollegin, die zu 50 Prozent in seiner Praxis eingestiegen sei, ab Januar komme voraussichtlich eine weitere Kollegin dazu. Er möchte aber auch selbst nicht durch zu viel Stress die eigene Gesundheit riskieren: „Ich arbeite jede Woche rund 55 Stunden und meistens wird die Mittagspause ersatzlos gestrichen, weil ich da Hausbesuche mache“. Das Problem für ihn ist nun, dass seine Räume für drei Ärzte zu klein sind. „Trotz intensiver Suche war es mir bisher nicht möglich, geeignete Räume zu finden“, sagt er. Kürzlich ist er deshalb bei der Stadt vorstellig geworden und hat um Unterstützung gebeten: „Man ist meinen Plänen sehr wohlwollend begegnet und will intern besprechen, was es für Möglichkeiten gibt“, berichtet Treiber und findet, dass es zu den Aufgaben einer Kommune gehört, hier vorausschauend zu planen und zu bauen: „Gemeinden müssen auch in Bezug auf die hausärztliche Versorgung attraktiv bleiben – und langfristig gesehen ist diese bei uns bedroht“.

Auch Ingrid Neumann arbeitet mit einem jungen Internisten als selbstständigem Partner zusammen: „Nachdem Dr. Hans-Peter Dinkel in Ruhestand ging, hatte ich mit dem Einstieg von Dr. Sven Eric Paluch als Nachfolger großes Glück, schnell einen kompetenten Kollegen gefunden zu haben“. Neumann betont, dass die Fellbacher Hausärzte die Bevölkerung mit großem Engagement versorgen: „Wir alle empfinden für unsere Patienten eine große soziale Verantwortung“. Aber auch sie ist mit der Aufnahme zahlreicher neuer Patienten an ihre Grenzen gekommen: „Man braucht für neue Patienten am Anfang deutlich mehr Zeit, bis man sie und ihre Krankengeschichte als Voraussetzung für eine gute hausärztliche Betreuung kennen gelernt hat“. Zudem habe die Dokumentationspflicht zugenommen und immer mehr Befunde von Fachärzten müssten verarbeitet werden.

Eine älter werdende Gesellschaft braucht ausreichend Allgemeinärzte in der Umgebung

Dass eine älter werdende Gesellschaft ausreichend Allgemeinärzte in der Umgebung brauche, ist für Ingrid Neumann unabdingbar: „Wir wollen für jeden Patienten genügend Zeit haben und ihn korrekt behandeln – schließlich kann das lebenswichtig sein.“ Wie sehr sich die Hausärzte ihren Patienten verpflichtet fühlen, zeige schon der extrem niedrige Krankenstand ihrer Berufsgruppe, berichtet Neumann: „Im Durchschnitt ist ein Arzt nur zwei Tage im Jahr krank - das ist einsame Spitze.“ Neumann und Treiber betonen, dass sie das deutsche Gesundheitssystem weltweit für eines der Besten halten. Trotz aller körperlichen und psychischen Belastungen lieben beide Ärzte ihren Beruf: „Die Alternative ins Ausland zu gehen, besteht für mich definitiv nicht und ich würde jederzeit wieder Hausarzt werden“, sagt Dietmar Treiber.