Beim Thema Zivilcourage gilt es, beim Helfen vorsichtig zu reagieren Foto: dpa

Wie jüngst ein Fall gezeigt hat, ist es um Zivilcourage in der Stadt schlecht bestellt. Polizeichef Klaus Auer rät: Statt auf eigene Faust zu handeln, lieber Hilfe von anderen suchen.

Fellbach - Sie versteht nur einzelne Wörter: Messer, Steine, Angst. Danach hört Daniela Prosic-Götte Schreie und dann den Satz: „Mama, Mama, wir werden verfolgt.“ Die Fellbacherin springt ins Auto und sammelt am Stuttgarter Platz ihre verängstigte Tochter und deren zwei Freundinnen ein.

Was die Mädchen berichten – sie wurden von drei Jungs verfolgt und mit dem Messer bedroht – schockt die Mutter. Viel schlimmer noch ist für Daniela Prosic-Götte aber das Verhalten der Passanten. „Die Kinder haben mehrere Leute angesprochen, keiner hat geholfen, das darf einfach nicht sein.“

Das defensive Verhalten überrascht den Polizeichef nicht

Für Klaus Auer ist das geschilderte defensive Verhalten der Bevölkerung keine wirkliche Überraschung. „Zivilcourage ist in Fellbach leider nicht so ausgeprägt, wie man es sich wünschen würde“, sagt der Polizeichef. Dabei sei seine Mannschaft auf Mithilfe dringend angewiesen, schließlich könne die Polizei nicht überall gleichzeitig in der Stadt sein.

Auch an dem Samstag in den Pfingstferien vermissten die Mädchen einen Streifenwagen. Der Konflikt zwischen ihnen und drei älteren Jungs entzündete sich an einem Handy. „Die Teenager dachten, sie werden damit gefilmt“, sagt Daniela Prosic-Götte. Sie fingen an, die Mädchen zu bedrohen. Diese retteten sich nach ihrer Flucht in eine U-Bahn.

Polizeioberkommissarin Heike Reichenecker kann das Verhalten der Kinder nachvollziehen. „Noch besser wäre es aber gewesen, wenn die Kinder einen Erwachsenen direkt angesprochen hätten. Dann wäre es ihm peinlich, wenn er sich bloß umdrehen und weiterlaufen würde“, sagt sie.

Die Kinder haben Passanten angesprochen, keiner hat geholfen

Glaubt man den Erzählungen der Kinder, haben sie genau das gemacht. Der Mutter berichteten sie, dass sie mehrere Passanten vor der Schwabenlandhalle und dem Best Western Hotel um Hilfe gebeten und nur Beschwichtigungen zu hören bekommen hätten. „Zwei Erwachsene sagten, das ist doch nicht so schlimm, die wollen euch nur Angst machen“, sagt Daniela Prosic-Götte.

Angst hatten die drei Mädchen. Sie kannten die Jungs zwar, und vielleicht meinten diese es tatsächlich nicht so ernst, aber das tut für Daniela Prosic-Götte nichts zur Sache. „Ich kenne meine Tochter und die Kinder meiner Bekannten. Alle drei waren in Panik, und das hat keinen der Passanten interessiert.“

Ob das Messer als Waffe genutzt wurde, tut nichts zur Sache

Polizeioberkommissarin Heike Reichenecker hat mit allen Beteiligten gesprochen. Sie kann die Mutter verstehen – unabhängig davon, ob das Messer nun als Waffe eingesetzt wurde oder nicht. „Frau Prosic-Götte erwartet zurecht, dass Kindern geholfen wird, wenn sie in Panik sind und um Hilfe schreien.“

Polizeichef Klaus Auer erinnert in diesem Zusammenhang an das Filmprojekt „Ohnmacht“, das in einer Kooperation des Polizeireviers Fellbach mit der Stadt Fellbach und der Albert-Schweitzer-Schule in Schmiden vor Jahren entstanden war. Damals wurden gestellte Szenen mit der versteckten Kamera gedreht. So war etwa zu sehen, wie Jugendliche eine ältere Frau vor der Schwabenlandhalle belästigen oder jemanden am Bahnhof verprügeln. „Die Reaktionen der Passanten waren erschreckend passiv“, sagt der Polizeichef.

Helfer sollen eine Gruppe bilden statt den Supermann zu spielen

Wo geht das noch hin mit unserer Gesellschaft?, fragt sich Daniela Prosic-Götte. Für sie ist das ein „feiges und unmenschliches“ Verhalten. Es gehe ihr nicht darum, dass sich jemand für ihre Tochter in Gefahr bringt, sagt sie. „Klar, da war ein Messer im Spiel, da muss der Helfer aufpassen, dass er nicht selbst bedroht wird. Aber die Kinder begleiten, das hätte möglich sein müssen.“ Klaus Auer rät: Statt auf eigene Faust zu handeln und den Supermann zu spielen, soll man lieber andere zur Mithilfe auffordern nach dem Motto: „Sie da, mit der roten Jacke!“ Ebenso empfiehlt der Polizeichef, sofort die Notrufnummer 110 zu wählen.