Die alte Orgel hat immer wieder Probleme gemacht. Foto: Patricia Sigerist

Die Orgel in der Lutherkirche hat immer wieder Probleme gemacht. Laut dem Kantor war die Windlade eine Fehlkonstruktion. Jetzt wurde die Königin der Instrumente abgebaut.

Fellbach - Die Königin der Instrumente ist weg. Wo vor kurzem noch hunderte von Orgelpfeifen in die Höhe strebten, ragen nur noch ein paar Metallschienen nach oben. Wie Mahnmale, die an Vergänglichkeit erinnern. Auch die dekorative Verkleidung – der Prospekt – ist abgebaut. Dadurch wird der Blick frei auf das langjährige Sorgenkind der Lutherkirchen-Orgel, den Stein – oder eher das Holz – des Anstoßes: die Windlade. Für Kantor Thilo Frank war diese technische Voraussetzung für ein einwandfreies Orgelspiel von Anfang an ein Ärgernis und eine Herausforderung, die nicht zu meistern war: „Diese Windlade war eine Fehlkonstruktion.“ Der simple Holzkasten ist vertikal in verschiedene Breiten unterteilt und nach oben mit Löchern versehen, auf denen die Orgelpfeifen stehen. Durch den permanenten Luftdruck, der in der Windlade herrscht, und durch die Register der Orgel können die entsprechenden Töne erzeugt werden.

Nicht jede Pfeife kommt zum Klingen

Nur dass, wie Thilo Frank erzählt, vor 40 Jahren beim Bau der neuen Orgel der Lutherkirche bei den Windladen gespart worden war. „Angesichts der Menge an Orgelpfeifen hätten es eigentlich vier Windladen sein müssen“, erklärt der Organist. Es sind jedoch nur drei, und die haben, so Frank, das Orgelspiel für feine Ohren und auf Grund ständig steigender Wartungskosten zu einer Zumutung gemacht. „Der Winddruck und die Anzahl der Pfeifen müssen in einem mathematisch genau berechneten Verhältnis stehen.“ Wenn diese Rechnung nicht stimmt, kann der Klang nicht optimal sein, egal, wie gut der Organist ist. Der Experte führt weiter aus: „Jede Pfeife, vom Einfuß (30 Zentimeter) bis zum Sechzehnfuß, muss so viel Luft kriegen, dass sie zum Klingen kommt.“ Und das war bei der Lutherkirchenorgel nicht gewährleistet.

Das ursprüngliche Problem war, so schildert Thilo Frank, dass man früher der Meinung war, dass auf der Empore einer Kirche viel Platz sein sollte. Für Chöre, Besucher oder wen auch immer. Deshalb wurde damals beschlossen, aus Platzspargründen zwei Windladen zu einer zu machen: „Dadurch wurde alles viel länger, viel größer und der Verschleiß war viel höher. Jetzt weiß man, dass das ein Fehler war.“ So wurde aus einem ordnungsgemäßen Windfluss eher ein Wind(ge)jammer. Das bedeutete dann immer wieder Reparaturen und neue Justierungen – war also die letzten Jahrzehnte ein erheblicher Kostenfaktor.

Es gibt extreme Temperaturschwankungen

Durch den einst gewünschten größeren Platzbedarf war die Orgel dann auch direkt an die Kirchenwand gebaut worden und dadurch extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Dazu brauchte Thilo Frank nichts zu sagen, denn das Gespräch auf Orgel-Höhe fand fast unter Sauna-Bedingungen statt. „Und im Winter war es eisig kalt, keine guten Voraussetzungen für ein Musikinstrument“, sagt der Kantor.

Alle diese Umstände und noch einige weitere (siehe Hintergrund) sowie neue Bauvorschriften haben dann vor zehn Jahren zu gravierenden Überlegungen geführt. „Nach genauem Abwägen war der klare Befund, dass nur ein Neubau in Frage kam“, sagt Frank, der seit 2003 Organist der Lutherkirche ist. Da es um Musik geht, könnte man den Planungsfortschritt eher nicht als „presto“, sondern als „adagio“ bezeichnen.

Die Windlade ist inzwischen zersägt

Aber jetzt ist es endlich soweit. Die Windlade ist inzwischen zersägt, die alte Orgel ist weg – laut Frank schon die siebte der Lutherkirche, was „nicht normal ist“ – und spätestens Ende 2016 ist die neue eingebaut. Zum Beispiel mit vier Windladen. Und mit einer Pfeifen-Anordnung, die nicht jedem Organisten die Haare zu Berge stehen lässt wie beim Vorläufer. Ob es wegen der Optik Blindpfeifen geben muss, steht noch nicht fest. Das neue Modell hat dann einen klimatisch notwendigen Abstand zur Außenwand und – natürlich – einen phänomenalen Klang. Thilo Frank verspricht jedenfalls schon mal unglaubliche Hörgenüsse.

Vor den schönen Schallwellen sollte jedoch noch der Rubel rollen. Denn die Finanzierung ist noch nicht endgültig gesichert. Aber immerhin hat die Gemeinde beim Fixpreis von 567 000 Euro schon bemerkenswerte 485 000 Euro gestemmt. Für den Rest haben sich die Verantwortlichen unter anderem eine Orgelpfeifen-Patenschaft einfallen lassen. Gegen einen Obolus werden Sponsoren auf einer Liste vermerkt und können sich über „ihren“ Ton freuen. Dazu wird es im Juli eine Broschüre geben. Aber natürlich darf auch einfach so gespendet werden. Für einen „völlig neuen Klang“ der Königin der Instrumente ein schon akustisch einleuchtender Grund.