Beim Terroranschlag in Mogadischu im April sterben sieben Menschen. Foto: EPA

Ein junger Somalier ist in einer Asylbewerberunterkunft in Fellbach ausgerastet. Der ehrenamtliche Freundeskreis für Flüchtlinge macht dafür auch die aus seiner Sicht unzureichende Betreuung verantwortlich.

Fellbach - Die Spuren der Eskalation sind noch an vielen Stellen sichtbar: Im Büro der Sozialarbeiterin Dominique Schmid hat ein junger Somalier alle Fensterscheiben eingeworfen (wir haben berichtet). Notdürftig wurde es mit lichtundurchlässigen Sperrholzplatten geflickt. Ohne Kunstlicht säße Dominique Schmid den ganzen Tag im Dunkeln. So düster muss es in dem jungen Somali innerlich ausgesehen haben, sagen die Sozialarbeiterin und Kathrin Bratenstein sowie Cornelia Funk vom Freundeskreis für Flüchtlinge in Fellbach. Der 19-jährige Somalier, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt, habe wochenlang um Hilfe gebeten, erzählt Kathrin Bratenstein. „Er hat gesagt, er hält es hier nicht aus, er muss raus, aber niemand hat ihm zugehört und es ist nichts passiert.“

Kritik am Personalschlüssel der Sozialarbeiter

Sie habe erkannt, dass er eine Gefahr für sich und andere war, sagt Dominique Schmid. Zweimal hat die Sozialarbeiterin dafür gesorgt, dass der junge Mann in die Psychiatrie nach Winnenden kam. Zweimal wurde er wieder heimgeschickt. Dann habe er sich sogar vom Containerdach gestürzt. Er sei verzweifelt gewesen, habe das Nichtstun und das Herumsitzen nicht länger verkraftet, sagt Cornelia Funk. Die engagierten Ehrenamtlichen kritisieren in diesem Zusammenhang auch den schlechten Personalschlüssel der Sozialarbeiter in der Unterkunft, wo eine Sozialarbeiterin für 180 Flüchtlinge zuständig ist. Auch das, sagt Cornelia Funk, sei verantwortlich dafür, dass es zu den gewalttätigen Ausschreitungen kam. „Während Jugendliche unter 18 Jahren vom Jugendamt betreut werden, hat ein 19-Jähriger keinen Ansprechpartner, der sich um ihn kümmert. Er ist damit sich komplett selbst überlassen und einem unstrukturierten Tagesablauf.“

Jeder Warlord hat eine Privatarmee

Die Frauen vom Freundeskreis sorgen sich vor allem um die Situation der Flüchtlinge aus Somalia. Sieben junge Männer aus dem afrikanischen Land, in dem seit 24 Jahren Bürgerkrieg herrscht, leben in der Asylbewerberunterkunft in der Bruckstraße. Mustaf Omar Yusuf ist einer von ihnen. Sein Vater, der Lehrer an einer Koranschule war, wurde von Al-Shabaab-Milizen erschossen. Kurz zuvor hatte er sich geweigert, seinen Schülern den Dschihad zu lehren. In seinem Land gebe es keinen Frieden, keine Regeln und keine Polizei. Selbst 14-Jährige liefen mit Waffen herum. Jeder der vielen mächtigen Warlords habe eine Privatarmee.

„Damals habe ich beschlossen zu fliehen“, sagt der 24-Jährige. Im vergangenen Oktober kam er aus Karlsruhe nach Fellbach. Im November hat er seinen Asylantrag gestellt. „Seitdem ist nichts passiert“, sagt Mustaf Omar Yusuf. Er hat daheim als Taxifahrer gearbeitet. Jetzt schafft er für etwas mehr als einen Euro die Stunde im Tafelladen. Dort ist auch sein Landsmann Maslah Ibrahim Mohamed beschäftigt. Der Körper des 29-Jährigen ist von Narben übersät. Die Narben auf der Seele erahnt jeder, der in die traurigen braunen Augen des Mannes blickt. Eineinhalb Jahre hat er im Gefängnis gesessen. In einem Land, in dem die Anarchie regiert, gibt es viele Gründe, die zu einer Inhaftierung führen. Seine Frau und seine sechs Kinder sind noch in Somalia, sagt Mohamed, der in seiner Heimat eine Farm hatte. „Kürzlich habe ich einen Onkel am Telefon erreicht, der hat erzählt, dass sie irgendwo auf dem Land sind, aber Genaues weiß ich nicht.“

Wer aus Somalia kommt steht in der zweiten Reihe

Dominique Schmid weiß um das Problem. Derzeit würden vorrangig die Asylverfahren von Syrern und Menschen aus dem Kosovo bearbeitet. „Es ist ein anderes Verfahren, sogar der Fragebogen für Syrer ist ein anderer.“ Alle anderen, selbst die aus einem Krisengebiet wie Somalia kommen, stünden in der zweiten Reihe. „Wir sehen, dass viele Syrer schon ihre Familien hier haben, wir haben auch Familie“, sagt Mustaf Omar Yusuf, dessen Mutter, Schwester und Frau in Somalia geblieben sind. Der Familiennachzug, der bei den Syrern meist recht unproblematisch funktioniert, sei auch bei Somaliern möglich, sagt die Sozialarbeiterin. „Aber die Voraussetzungen sind ungleich härter.“

Also sitzen Mustaf Omar Yusuf, Maslah Ibrahim Mohamed und ihre Landsleute seit Monaten herum und warten, dass irgendetwas geschieht. „Das finde ich am allerschlimmsten“, sagt Kathrin Bratenstein. Die Menschen seien hierhergekommen, in der Hoffnung, dass sich jemand für ihr Schicksal interessiert und sich kümmert. „Es muss eine große Enttäuschung sein, zu sehen, dass nichts passiert.“