Leise Lieder, laut gesungen: Felix Kramer im Stuttgarter Marmorsaal. Weitere Bilder zeigt die Fotostrecke. Foto: /Jan Georg Plavec

Der Wiener Musiker Felix Kramer singt im Stuttgarter Marmorsaal am Donnerstag gegen den Wahnsinn seiner Heimat an – und gegen quatschende Besucher an der Bar. Obs’s was genützt hat?

Stuttgart - Felix Kramer hat sich den Österreichkennern unter den Popfans besonders mit seinem Lied „Wahrnehmungssache“ ins Herz gespielt: eine leise leidende Hymne gegen den Internethass, die Leistungsgesellschaft und die Politiker, die sie hervorbringt. Die Folgesingle „Vielleicht bist es eh du“ ist ein im Video wunderbar angesoffen inszeniertes Beziehungsgespräch, das ebenfalls eher im Stillen seine Dramatik entfaltet. Auch live war Kramer bislang eher ein Mann der ruhigen Töne, etwa vergangenes Jahr beim Popfest Wien oder im Februar beim Atelierkonzert in Stuttgart-Ost.

Jedenfalls rechnet man nicht zwingend mit dem, was Felix Kramer im Rahmen der „Songs of Marble Hall“-Reihe am Donnerstag im Stuttgarter Marmorsaal präsentiert. Mit kompletter Band ist er angereist, und es wird schnell deutlich, dass es ein äußerst expressiver Abend wird. Das ist nicht zuletzt deshalb erfreulich, weil die Veranstalter vom Schorndorfer Restaurant Éclat das Konzert mit einer Gin-Präsentation verbinden und der opulente und kerzenbeschienene Raum an sich schon alles tendenziell einkitscht.

Um all das machen Felix Kramer und seine äußerst dynamisch spielenden Mitmusiker einen großen Bogen. Der Ottakringer ist sichtlich leidender Künstler, oft an der Grenze zum Wahnsinn. Wie soll es auch anders sein in einem Land wie Österreich? Manch bittere Erkenntnis berichtet Kramer, und das Private kann man bei ihm oft ins Politische ziehen. Die schlimmste Einsicht: wenn „alles in allem wahrscheinlich egal“ ist.

Im Oasch daham

Ganz und gar nicht egal sind ihm seine Zuhörer. Zweimal bittet Kramer recht eindeutig um Ruhe im hinteren Teil des doch recht halligen Saals. Nach dem Konzert erzählt er, dass es noch weitere Eskalationsstufen gibt – bis zu einer Intonierung des Heller/Qualtinger-Duetts „Bei mir sad’s alle im Oasch daham“ samt anschließendem Abgang. Habe er aber noch nie machen müssen, sagt Felix Kramer.

Letztlich kommt es, wie es bei einer Band in Bestform fast kommen muss. Die Songs und die Art, wie sie präsentiert werden, nehmen wirklich jeden mit auf eine tief bewegte Reise ins Innere eines empfindsamen jungen Mannes, der seine Musik gar nicht mehr bloß empfindsam spielen möchte. Stattdessen wird aus dem eingangs erwähnten Song „Wahrnehmungssache“ ein wütendes Manifest gegen die österreichische Ibiza-Politik. Im einen Moment tritt Felix Kramer für einen Chanson neben den vor der Bühne aufgebauten Flügel, im nächsten haut er ein mitreißendes E-Gitarren-Solo raus.

Auch, weil es bis zum Schluss abwechslungsreich bleibt, gewinnt der Abend jene Eigendynamik, auf die man bei Konzerten immer hofft und die sich doch nicht immer einstellt. Der euphorische, fast opernhafte Applaus am Ende ist mehr als verdient.