Felix Ensslin, Kurator, Autor, Philosoph und jetzt auch noch Professor an der Kunstakademie Stuttgart Quelle: Unbekannt

Felix Ensslins Antrittsvorlesung an der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart.

Stuttgart - Der Professor, der sich seinen Studenten vorstellt, besitzt zu Stuttgart einen besonderen Bezug: Er ist der Sohn des Verlegers und Schriftstellers Bernward Vesper und der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Seine Mutter starb 1977 in Stammheim durch Selbstmord, sein Vater tötete sich 1971 selbst.

Felix Ensslin wurde 1967 in Berlin geboren, wuchs im schwäbischen Undingen bei Pflegeeltern auf, ging in Wiesbaden zur Schule, studierte Philosophie und Theaterregie in New York und ist nach wie vor als Theaterregisseur tätig. Er war in den 1990er Jahren politischer Berater der grünen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer und bis 2002 Berater Rezzo Schlauchs. In der vieldiskutierten Ausstellung "Zur Vorstellung des Terrors", die er 2003 mit Klaus Biesenbach und Elke Blumenstein in Berlin einrichtete, setzte er sich auch mit der Geschichte seiner Eltern auseinander.

Politische Gesten sucht man jetzt im Hörsaal der Stuttgarter Kunstakademie aber vergeblich: Ensslin argumentiert wissenschaftlich und abstrakt, sein Interesse gilt den feinkörnigeren Wahrnehmungsstrukturen und nicht, wie er es formuliert, dem Blick "durch die ideologische Brille, die die grobkörnige Matrix von Macht und Ökonomie leicht wahrnimmt".

Seine Antrittsvorlesung kommt spät, aber sie findet vor einem vollen Saal statt. Schon seit 2009 ist Ensslin an der Akademie als Professor für Kunstvermittlung und Ästhetik tätig; nun spricht er über den Zusammenhang zwischen Psychoanalyse und Kunst. "Ding, Leere, Sublimation" war der Titel seiner Vorlesung, die seinen Zuhörern hohe Konzentration bei tropischen Temperaturen abverlangt.

Petra von Olschowski als Rektorin der Akademie und Nils Büttner als Professor für mittlere und neuere Kunstgeschichte stellen den Professor vor, der seit vergangenem Jahr auch dem Senat der Akademie angehört. Dass er seine Antrittsvorlesung nicht schon früher gehalten hat, bedauert Ensslin nun glaubhaft - ein kühles Bier hätte er an diesem heißen Tag ganz sicher vorgezogen. Aber das Bier muss warten. Zuerst soll die komplexe Kunstannäherung mit den Begriffen des Psychoanalytikers Jaques Lacan (1901-1981) kommen.

Kunst im Spiegel von Nicht-Kunst

Ensslins Ziel ist es, die besondere Eignung der Psychoanalyse zum Verständnis des "Eigentümlichen der Kunst, ihrer Rezeption und Produktion" darzulegen.

Von Augustinus wird die Transzendenz als Bruch, Unterbrechung beschrieben: "Eine andere Dimension schlägt ein wie ein Blitz." Dies ist für Ensslin nicht nur theologisch bedeutsam, sondern wird von ihm auch als Urform des Problems der ästhetischen Erfahrung in der Moderne angesehen. Parallel zum Transzendenten in Theologie und Ästhetik fasst er den Auftritt des Unbewussten in der Psychoanalyse auf und sieht in dieser deshalb die geeignete Disziplin zur Beschreibung von Kunst und ihrer Wirkung.

Dabei schildert er eigene Erlebnisse im Museum zur Verdeutlichung: Anhand von Arbeiten der Amerikanerin Lydia Benglis beschreibt er einen Augenblick der Irritation - einer Irritation, die beliebig eintritt, sich vollständig weder auf ein Subjekt noch auf ein Objekt zurückführen lässt, und die Ensslin klar machte, welche Rolle das Unbewusste, der "Diskurs des Großen Anderen" Lacans, auch in der Kunstbetrachtung spielt.

Bei Benglis' Arbeiten "Primary Structures (Paula's Props)" und "Fallen Paintings" stellt der Kunstwissenschaftler sogleich Bezüge zu einer berühmten Ausstellung des Minimalismus oder zum Action Painting Jackson Pollocks her; bei der Arbeit "Untitled" aus der Reihe der "Quatered Meteors" allerdings setzt bei Ensslin der Interpretationsmechanismus aus und der als transzendent empfundene Bruch ein: "Der Text stockte, sein Vollzug in meinem Kopf hörte auf, war unterbrochen."

Von diesem Punkt an wendet sich seine Vorlesung Lacan zu, der jeden Akt in eine dreiteilige Struktur zergliedert, an dessen Anfang eben diese Irritation, der "Augenblick", steht - eine Erfahrung, die unbewusst gemacht wird und für das Nichtauflösbare in der Kunst steht. "Kommunikation", so eine prägnante Aussage Ensslins, "muss mit Nichtkommunikation konstitutiv verbunden bleiben, Kunst mit Nicht-Kunst, wenn sie lesbar bleiben und nicht in ihren Bedeutungen verschwinden soll."