Die Anwohner des Feinstaub-Brennpunkts Neckarstraße und weitere Bürger demonstrierten zum Jahresende für Fahrverbote. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Wetterdienst lag im Herbst bis auf zwei Tage mit seinen Prognosen zur Überschreitungen des Grenzwertes richtig.

Stuttgart - In der Landeshauptstadt hat es im Jahr 2016 die geringste Zahl an Überschreitungstagen beim Feinstaub-Grenzwert seit Beginn der Aufzeichnungen gegeben. Entwarnung ist dennoch nicht in Sicht, denn die von der Landesanstalt für Umwelt und Messungen (LUBW) an der Station Neckartor registrierten 59 Überschreitungstage (2015: 72) sind viel mehr, als die EU erlaubt. Bereits seit mehr als zehn Jahren gilt für den Tagesmittelwert (höchstens 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) die Grenze von 35 Überschreitungen pro Jahr.

Mit dem 2016 eingeführten Feinstaubalarm appellieren Land, Stadt und Regierungspräsidium an Autofahrer und die Besitzer von Kaminöfen, während der Alarmphase auf Busse und Bahnen umzusteigen und den Zusatzofen nicht anzufeuern. Der Alarm wurde über die Weihnachtsferien unterbrochen und greift, entsprechende Wetterbedingungen vorausgesetzt, frühestens ab dem 9. Januar 2017 erneut. Vorgewarnt würde ab dem 7. Januar. Kriterium für die Auslösung des Alarms ist, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) für mindestens zwei aufeinanderfolgende Tage ein stark eingeschränktes Austauschvermögen der Atmosphäre prognostiziert.

Die Vorhersage wurde zuverlässiger

Die Zuverlässigkeit der DWD-Vorhersage hat sich seit der ersten Alarmphase im Frühjahr erheblich verbessert, dazu waren die Kriterien angepasst worden. Bei den ersten fünf Feinstaub-Alarmen zwischen dem 18. Januar und dem 11. April wurden an 22 Alarmtagen 16 Überschreitungen gezählt. Bis Ende April (offiziell ging die erste Alarmphase am 15. April zu Ende) sammelten sich insgesamt 31 Überschreitungstage an, zwei davon (1. Januar und 22. April) lagen außerhalb der Alarmphase. In der Summe konnten im Frühjahr 13 Überschreitungstage nicht vorhergesehen werden.

Zwischen dem Ende der ersten und dem Start der zweiten Alarmphase registrierte die Messstelle im Mai und September nur drei Überschreitungstage. Im Sommer gibt es kaum Inversions-Wetterlagen wie im Winter, wenn Warmluft in den höher liegenden Luftschichten das Aufsteigen kalter Luft vom Boden verhindert. Im Stadtkessel steigt die Konzentration von Feinstaub und Stickoxiden dann an.

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Lage beim Feinstaub bessert sich

In der zweiten Alarmphase ab dem 15. Oktober bis zum Jahresende gab es 25 Überschreitungstage. Davon fielen 23 in die Zeit des Feinstaubalarms, nur zwei wurden von den Prognosen des Wetterdienstes nicht erfasst. Die Überschreitungen bis zum 6. Dezember sind von der LUBW mit dem von der EU anerkannten gravimetrischen Messverfahren abgesichert, zwölf Überschreitungstage gelten als vorläufig und müssen noch bestätigt werden. Nur wenige der vorläufigen Werte liegen nahe der 50-Mikrogramm-Grenze. Eine Korrektur der 59 Überschreitungstage ist unwahrscheinlich.

Die Lage beim krebserregenden Feinstaub bessert sich mit geringen Rückschlägen seit 2005 nahezu kontinuierlich. Der Jahresmittelwert wird auch am Neckartor seit 2011 eingehalten. Ein Grund dafür ist auch die Filtertechnik für Dieselmotoren. Zur lokalen Belastung am Neckartor trägt das Abgas des Straßenverkehrs nach Berechnungen für das Landes-Verkehrsministerium mit sechs Prozent, der Verkehr ansonsten durch Bremsen- und Reifenabrieb und die Aufwirbelung von Staub mit 31 Prozent bei. Das Verkehrsministerium nimmt an, dass auch der Tagesmittelwert in wenigen Jahren eingehalten werden könne. Die Autohersteller werden bald auch in Benzinfahrzeuge Partikelfilter einbauen. Das ist nötig, weil durch Direkteinspritzung von Kraftstoff bei der Verbrennung feinste Partikel entstehen.

Stickoxid bleibt ein großes Problem

Anders als beim Feinstaub sieht es beim Luftschadstoff Stickstoffdioxid aus, der die Atemwege schädigt. Hier gab es bis 2010 bei den Stundenmittelwerten einen deutlichen Rückgang und von 2013 auf 2014 einen Sprung nach unten, 2015 aber in fast gleicher Größe wieder nach oben. 2016 wurden 35 Überschreitungen des Stunden-Mittelwertes von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erfasst. Erlaubt sind 18. Im Vorjahr war auch der zulässige Jahresmittelwert um das Doppelte überschritten. Die Stickoxidbelastung stammt nach Berechnungen zu 53 Prozent vom Straßenverkehr.

2017 wird es vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Stadt und Land wegen der Grenzwertüberschreitungen beim Stickoxid kommen. Ein Verhandlungstermin könne noch nicht genannt werden, die Anwälte tauschten Schriftsätze aus, sagt eine Gerichtssprecherin.

Düsseldorfer Gericht urteilt eindeutig

Wie die DUH-Klage ausgehen könnte, zeigt das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. September 2016 zur dort gleichlautenden Klage. Das Gericht entschied, dass „die gegenwärtigen bundesrechtlichen Regelungen schon heute die Anordnung von Fahrverboten für (bestimmte) Dieselfahrzeuge erlauben“. Es stehe außerdem ein „hinreichendes Instrumentarium zur Verfügung, um der Befürchtung zu begegnen, durch die Sperrung der Innenstadt würden Handel, Bau, Gewerbe, Handwerk Industrie und ÖNV mit unabsehbaren Folgen zum Erliegen gebracht“. Der Vorwurf von Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer, die Betriebe würden mit einem Fahrverbot „enteignet“ wären damit überzogen. Das Düsseldorfer Urteil wird vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig überprüft.

OB Fritz Kuhn und Verkehrsminister Winfried Hermann (beide Grüne) hatten Ende 2015 klar gemacht, das nach den freiwilligen ab 2018 verbindliche Alarmphasen mit Fahrverboten kommen könnten. Sie sind angesichts der Werte aus 2016 zu erwarten.