So wie auf unserer Fotomontage könnte der Appell an die Autofahrer 2016 aussehen Foto: Leif Piechwoski/StN-Bearbeitung:Yann Lange

Die Pläne von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) für Fahrverbote in Stuttgart wegen zu hoher Feinstaubwerte finden nicht überall Beifall. Am Tag nach Hermanns Ankündigung meldet die Kfz-Innung einen neuen Auto-Zulassungsrekord.

Stuttgart - In der Landeshauptstadt sorgen viele Autos für dicke Luft. Seit Juni sind es noch fast tausend mehr. „Die Pkw-Neuzulassungen schießen durch die Decke“, jubelte am Donnerstag die Kraftfahrzeuginnung. Der Dezember-Höchstwert sei um 989 auf jetzt 292 531 Fahrzeuge überboten worden. Stuttgart hat 600 000 Einwohner.

Die Ankündigung von Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann, ab 2017 in Stuttgart Fahrverbote auszusprechen und von 2019 an nur noch Diesel mit der Euro-Norm 6 zuzulassen, damit die von der EU vorgegebenen Feinstaub- und Stickoxid-Grenzwerte endlich eingehalten werden, schockt die Innung nicht. Hermann ist unter Druck, weil eine EU-Klage mit täglich sechsstelligen Geldstrafen droht, falls die Grenzwerte weiterhin gerissen werden.

Fahrverbote für ältere Diesel seien zwar „wenig durchdacht, denn jahrelang wurde der Diesel als treibstoffsparendes Musterauto propagiert“, sagt Innungs-Obermeister Torsten Treiber, er könne sich aber eine „Umstiegsprämie“ auf Euro 6 vorstellen. Unerwünschte Dieselautos könnten dann in der Region auf- und woandershin verkauft werden. „Wir helfen gern“, so Treiber.

Verwaltungsspitze im Rathaus offenbar verschnupft

Hermanns Pläne werden mit der Stadt und dem Regierungspräsidium abgestimmt. „Wir kommentieren Zwischenschritte und Zwischenstände über das gemeinsame Feinstaubkonzept nicht“, sagt Stadtsprecher Andreas Scharf. Offenbar ist die Verwaltungsspitze im Rathaus verschnupft, weil Hermann vorpreschte. Am 27. Juli soll es ein Spitzentreffen geben. Das Konzept zum sogenannten Feinstaubalarm, das Teil der Gespräche sei, stamme von Grünen-OB Fritz Kuhn, merkt Scharf an.

Kuhn hat die Geschäftsführung des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) beauftragt, „tarifliche Maßnahmen beim Ausrufen des Feinstaubalarms zu überlegen“, sagt VVS-Geschäftsführer Horst Stammler. Er hat vor wenigen Tagen an den VVS-Aufsichtsratschef Kuhn geliefert: „Wir schlagen die Halbierung der Fahrpreise vor, das ist einfach umzusetzen, gerecht und gegenüber unseren Abo-Kunden zu rechtfertigen“, sagt Stammler. Erwogen werde auch, ein Einzel-Tages-Ticket (6,60 Euro für zwei Zonen) für Gruppen (11,50 Euro) zuzulassen. 2014 gab es in Stuttgart 64 Tage, an denen die Grenzwerte für Feinstaub überschritten wurden.

Von einem „Nulltarif“, also kostenfreier Fahrt, hält Stammler nichts. „Der VVS hat an Tagen mit Feinstaubalarm einen höheren Aufwand, wir brauchen längere Züge“, so der Geschäftsführer. Über einen finanziellen Ausgleich müsse gesprochen werden. Das Feinstaub-Ticket soll es schon in der Versuchsphase, laut Stammler ab 2016, geben, wenn die Bürger bei hohen Feinstaubkonzentrationen aufgefordert werden, wechselweise ihr Fahrzeug mit gerader oder ungerader Kennzeichennummer stehen zu lassen.

„Wir wollen erst warnen und nicht gleich verbieten“

„Wir wollen erst warnen und nicht gleich verbieten“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), „aber wir haben als Land die Verpflichtung, etwas zu tun, schließlich geht es um Gesundheitsschutz“. Eine Prämie für den Wechsel auf Euro-6-Autos hält Hermann für ausgeschlossen: „Das muss der Markt richten.“

Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, warnt davor, den Handel in der City abzuwürgen. „Nur noch Euro-6-Autos fahren zu lassen wäre ein einschneidende Maßnahme“, sagt Richter. Das treffe den Handel. Viele Kunden mit vergleichsweise jungen Autos würden dann nicht mehr nach Stuttgart fahren können und in Zentren in der Region ausweichen.

Richter warnt auch vor Überlegungen für ein komplettes Lkw-Durchfahrtsverbot. Was die IHK bisher vom Regierungspräsidium gehört habe, „läuft darauf hinaus“, so Richter. Wenn man solches plane, müsse man aber als Land und Stadt eine regionale Lösung bieten. Dann müsse OB Kuhn über die Filderauffahrt und die Nordostumfahrung Stuttgarts sprechen. Beim Thema City-Logistik könne sich die IHK Versuche mit Lastenfahrrädern vorstellen. Klar sei, dass die Stadt ein großes Problem habe. Sie müsse das Problem der Grenzwertüberschreitungen lösen: „Auf die lange Bank schieben kann sie das nicht mehr.“

Hintergrund

Die Europäische Union will mit ihren Abgasnormen den Ausstoß von Schadstoffen einschränken. Die Norm unterteilt Fahrzeuge in Schadstoffklassen, die bestimmte Emissionsschlüsselnummern zugewiesen sind. Zu den Stoffen, die auf der roten Liste stehen, zählen zum Beispiel: Schwefeldioxid, Stickoxide, Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und die Partikel bei Diesel. Viele der chemischen Verbindungen gefährden die Gesundheit massiv.

Die Euro-Norm 6 gilt seit dem 1. September 2014. Seitdem dürfen Diesel-Pkw nur noch 80 mg Stickoxide pro Kilometer emittieren. Bei der Euro-Norm 5 waren es noch 180 mg. Die Grenzwerte unterscheiden sich dabei je nach dem Motortyp, Benzin- oder Dieselmotor, und auch nach dem Kraftfahrzeugtyp. Die Autohersteller haben sich auf die absehbare Umstellung allerdings schon in den vergangenen Jahre eingestellt.

Die Umweltplaketten brauchen Autofahrer in Stuttgart seit März 2008. Seit Anfang 2012 dürfen in der Umweltzone nur noch Fahrzeuge mit einer grünen Umweltplakette fahren. Die Umweltzone, in der das Fahrverbot gilt, umfasst das gesamte Stadtgebiet inklusive der 23 Stadtbezirke. Die Plakette an sich kostet 6 Euro. Wer ohne sie unterwegs ist, muss zahlen: Seit dem Mai 2014 doppelt soviel wie vorher. Das Bußgeld beträgt seitdem 80 Euro für einen Plakettensünder – dafür gibt es allerdings keinen Punkt in Flensburg mehr. 12 475 Fahrer ohne grüne Plakette erwischte die Stadt im Jahr 2013.