Der Diesel galt einst als besonders saubere Technologie – nun ist er schwer unter Druck geraten. Foto: dpa-Zentralbild

Die Region verstößt den Diesel: Viele Besitzer rund um Stuttgart wollen ihren alten Selbstzünder loswerden, doch die Käufer wenden sich – auch angesichts denkbarer Fahrverbote – dem Benziner zu.

Stuttgart - Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gilt unter Automanagern als Nervensäge Nummer eins. Sie macht Konzernchefs dafür verantwortlich, dass Menschen angeblich wegen Autoabgasen sterben, sie verklagt Daimler wegen seiner Werbung – und sie klagt beim Verwaltungsgericht Stuttgart auf Fahrverbote für den Diesel. Doch seit die Organisation sich in einem ähnlichen Fall in Düsseldorf durchsetzen konnte, lassen sich ihre Aussagen nicht mehr so einfach vom Tisch wischen. „Wir empfehlen allen übrigen von Dieselabgas belasteten Städten, ähnlichen Urteilen zuvorzukommen und Dieselfahrverbote zum Schutz der Bevölkerung vorzubereiten“, sagte Geschäftsführer Jürgen Resch – eine klare Ansage nach Stuttgart. „Es wirkt nur der Abschied vom Verbrennungsmotor“, sagte Stuttgarters OB Fritz Kuhn kürzlich unserer Zeitung. Harte Zeiten für die Autobranche.

Die Sichtweise auf den einst als besonders umweltfreundlich geltenden Diesel hat sich dramatisch verändert. Der Verbrauch und damit der Schutz des Weltklimas sind in den Hintergrund getreten – viel wichtiger ist nun die Luft in den Städten. Feinstaub, Kohlenwasserstoff, Stickoxide – das sind Stoffe, die zumindest ältere Dieselautos im Übermaß ausstoßen. Schon bald muss das Land auf Geheiß der EU einen überzeugenden Plan vorlegen, wie die Stickoxide, die die Bildung von bodennahem Ozon begünstigen und einst für sauren Regen sowie das Waldsterben verantwortlich gemacht wurden, reduziert werden.

Während die Politik noch um Verkehrsbeschränkungen ringt, haben Autokäufer bereits gehandelt. Nach einer exklusiven Auswertung des bundesweiten Online-Autoportals Mobile.de für unsere Zeitung hat sich bei den Gebrauchtwagenpreisen eine riesige Schere aufgetan: Während in der Region Stuttgart der durchschnittliche Angebotspreis für ein Dieselfahrzeug seit Oktober 2015 um 1,1 Prozent gesunken ist, stieg er bei den Benzinern um satte 14,8 Prozent. Diese Schere ist in der Region weit größer als im Bundesdurchschnitt, wo der Preis für den Diesel stagnierte, während die Preise für Benziner um lediglich 3,7 Prozent gestiegen sind. Offensichtlich führt die Diskussion über Einfahrverbote in Stuttgart dazu, dass schon jetzt viele Dieselbesitzer ihre Fahrzeuge über das Internet anbieten – sie dort aber nicht loswerden. Die Zahl der angebotenen Dieselfahrzeuge ist binnen Jahresfrist um 17,6 Prozent gestiegen. „Offensichtlich wollen viel mehr Leute einen Diesel abstoßen als einen Diesel kaufen“, sagt Torsten Treiber, Obermeister der Innung des Kraftfahrzeuggewerbes Region Stuttgart, zu den Zahlen. Von dem Trend profitieren diejenigen, die einen Benziner verkaufen und dafür offenbar deutlich mehr Geld verlangen können als vor einem Jahr. Für die Analyse wurden pro Monat rund 1,6 Millionen Verkaufsangebote ausgewertet.

Autohändler: In Verkaufsgesprächen geht es oft um Einfahrverbote

Besonders hart getroffen von dem Trend ist die Marke Volkswagen. Hier ging nicht nur der durchschnittliche Preis für Diesel, sondern entgegen dem Bundestrend auch der für Benziner zurück – bundesweit um 3,3 Prozent. Auch der Preisrückgang beim Diesel fiel mit 1,6 Prozent stärker aus als bei den anderen Marken. Der Markt in der Region Stuttgart reagiert nicht nur beim Diesel, sondern auch bei der Marke VW stärker als der Markt im Bundesgebiet – die Preisrückgänge für Benziner und Diesel fallen deutlich stärker aus als im Bundesdurchschnitt.

Offensichtlich reagiert der Automarkt ganz ähnlich wie der Aktienmarkt und nimmt Entwicklungen bereits auf, bevor sie eingetreten sind. Das beobachtet auch das Kraftfahrzeuggewerbe. „In Verkaufsgesprächen geht es oft um die Frage, welche Verbote kommen könnten“, sagt Treiber. „Viele Käufer sind verunsichert.“ Deshalb rückten bei der Entscheidung nun wieder verstärkt Aspekte ins Bewusstsein, die früher eher verdrängt wurden. „Für viele war die höhere Leistung eines Diesels ein entscheidendes Kaufargument“, sagt Treiber. Jetzt rückten Nachteile wie die schlechte Eignung für den ständigen Betrieb auf Kurzstrecken wieder stärker ins Bewusstsein. Die Skepsis sucht nach Bestätigung.

Die Zulassungsstatistiken für Neuwagen in der Region sprechen eine deutliche Sprache – der Verkauf von Dieselfahrzeugen bricht geradezu ein: Im Kreis Böblingen wurden im Oktober 34,3 Prozent weniger Autos zugelassen als im Oktober des Vorjahres, im Rems-Murr-Kreis lag das Minus bei 15,4 und in der Stadt Stuttgart bei 19,5 Prozent. Wer einen Neuwagen kauft, tendiert zum Benziner – und dazu, seinen gebrauchten Diesel beim Händler in Zahlung zu geben. Dem Handel kann es aber nicht gleichgültig sein, welche Autos er verkauft. Die Entwicklung bereite „vielen Händlern Sorge“, sagt Treiber. Denn niemand weiß, ob die Preise für gebrauchte Diesel nicht noch stärker nachgeben. „Wenn ein Händler Gebrauchtwagen im Wert von zwei oder drei Millionen Euro auf den Hof stehen hat, und dann sinken die Preise um zehn oder 20 Prozent, hat er ein Problem.“

Für den Handel bergen sinkende Gebrauchtwagenpreise ein Risiko

Die Spielräume, um beim Ankauf gebrauchter Dieselautos den Preis zu drücken, sind begrenzt. „Wenn der Händler einem Kunden zu wenig für seinen Gebrauchten bietet, wird er diesem kaum einen Neuwagen verkaufen können.“ Das Preisrisiko für den Händler sei umso größer, je mehr Autos auf dem Hof stünden und je länger der Wiederverkauf dauere. Derzeit seien die Höfe „gut gefüllt“.

Trotz der Bewegung auf dem Markt ist von Panik bei den Käufern bislang nichts zu spüren. Doch je näher der Tag rückt, an dem tatsächlich Fahrverbote kommen und womöglich nur noch Autos mit einer künftigen blauen Plakette in die Städte gelassen werden, desto hektischer wird der Markt. Allerdings lassen sich echte Kaufleute vom Pessimismus so schnell nicht herunterziehen. Schließlich hat man in der Region mit den Umweltvorschriften so seine Erfahrung.

Als einst die rote, die gelbe und die grüne Schadstoffplakette kamen und schließlich nur noch die grüne Plakette zur Einfahrt in die Umweltzonen berechtigte, wurden schon einmal viele Autos von bestimmten Strecken verbannt. Dabei habe sich gezeigt, dass längst nicht jeder Besitzer sein Auto abstieß. „Manch einer fährt sein ganzes Leben auf der Hohenloher Ebene herum, ohne auch nur einmal nach Stuttgart zu kommen“, sagt Treiber. „Der kann sich dann freuen, beim nächsten Mal einen Gebrauchten zum Schnäppchenpreis zu bekommen.“ Selbst heute gebe es in der Region Stuttgart noch 17 000 Autos mit gelber oder roter Plakette, die längst nicht mehr in die Umweltzonen fahren dürften, sagt Treiber. Sein Fazit: „Wir haben schon die rote, die gelbe und die grüne Plakette überstanden – dann werden die blaue bestimmt auch überleben.“