Ina Schröder, Heinrich Längerer und die Mitarbeiterin Ivana Siegel (von links) öffnen am 28. Juli zum letzten Mal die Türen des Feinkostgeschäfts. Foto: Sandra Hintermayr

1913 begann die Geschichte des Feinkostgeschäfts an der Vaihinger Straße in Stuttgart-Möhringen. Nun haben sich Heinrich Längerer und seine Frau Ina Schröder dazu entschieden, den Familienbetrieb aufzugeben.

Möhringen - Mit Kartoffeln hatte alles angefangen. „Es waren Eisenbahnwagen voll“, berichtet Heinrich Längerer. Sein Großvater zog das Geschäft 1913 auf, nach und nach erweiterte er das Sortiment. „In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg verkauften wir erstmals auch Fisch, und zwar Fisch aus dem Meer“, sagt der Inhaber. „In den 30er Jahren war das ungewöhnlich, und der Fisch kam dann aus dem Bodensee“, sagt Längerer. Zu Beginn sei es schwer gewesen, die Meerestiere an den Mann und bringen.

Mit den Jahren allerdings etablierte sich der Familienbetrieb an der Vaihinger Straße. Mit etwa 50 Prozent des Umsatzes ist der Verkauf von Fisch auch heute noch das „Zugpferd“, sagt Längerer. Dazu kämen selbst gemachte Salate und Marinaden, Obst und Gemüse, Gewürze, Weine und zahlreiche weitere Delikatessen. „Das funktioniert nur im Gesamtkonzept“, sagt der 63-Jährige.

Für ein Privatleben bleibt kaum Zeit

Nach dem frühen Tod des Firmengründers übernahm Ernst Längerer, der Sohn des Unternehmensgründers, das Geschäft und baute den Feinkostsektor aus. Er starb im Krieg, danach ging der Betrieb an den zweiten Sohn Willy, Heinrich Längerers Vater, über. 1973 stieg der heutige Inhaber in das Unternehmen ein, nachdem er eine Lehre bei einem namhaften Stuttgarter Feinkosthändler absolvierte. 2016 übernahm er die Geschäftsführung von seinem Vater, der aus gesundheitlichen Gründen die Leitung abgeben musste. „Mein Vater hat sein ganzes Leben in dieses Geschäft investiert und darüber fast das Leben vergessen“, sagt Längerer. Er habe nie Urlaub gemacht und sei so lange es ihm möglich gewesen sei, im Laden gestanden.

Auch Heinrich Längerer und seine Frau Ina Schröder sind dem Familienbetrieb eng verbunden, mit allen Nachteilen, die das mit sich bringt. „Unser Arbeitstag beginnt um 4.45 Uhr und endet um 20 Uhr am Abend. Dazwischen haben wir maximal eine Stunde Pause“, sagt Ina Schröder. „Neben dem Laden sind ja noch die Buchhaltung und die Kasse zu machen.“ Da bleibe kaum Zeit fürs Privatleben. Die Gesundheit leide. „Man ist irgendwann mürbe“, sagt die 58-Jährige.

Ihr Mann ergänzt, er habe gerne im Geschäft gearbeitet: „Aber ich bin seit 45 Jahren hier, irgendwann ist es gut. Körperlich geht es so langsam nicht mehr.“ Am 28. Juli öffnet das Ehepaar zum letzten Mal die Türen des Feinkostgeschäfts. Neben gesundheitlichen Gründen sind es Auflagen und erforderliche bauliche Veränderungen, die Heinrich Längerer und Ina Schröder dazu bewogen haben, über die Schließung des Familienbetriebs mit 105-jähriger Geschichte nachzudenken. Es gebe neue EU-Normen, die kleine Läden wie denjenigen an der Vaihinger Straße nur schwer erfüllen könnten, sagt Schröder. Diese beträfen etwa die Kühlräume des Geschäfts. Außerdem stünden Reparaturen an. Unter dem Laden führe der Kanal des Aischbachs hindurch, deswegen sei der Untergrund ständig in Bewegung: „Wir müssen regelmäßig Fensterscheiben und Bodenplatten austauschen, weil sie Risse haben.“

Ein bisschen Wehmut schwingt mit

Der Entschluss, den Familienbetrieb aufzugeben, ist den Inhabern nicht leicht gefallen. „Ein bisschen Wehmut schwingt schon mit“, sagt Längerer. Was die Zeit nach dem Ende des Feinkostgeschäfts bringe, wisse er nicht. „Erst mal Urlaub“, sagt seine Frau.

Die Verbundenheit der Kunden ist groß. Viele von ihnen kommen seit Jahrzehnten fast jeden Tag in das Feinkostgeschäft. Die Inhaber kennen sie mit Namen, der Umgang ist herzlich. Die Schließung trifft auch die Kundschaft, berichtet Ina Schröder. „Viele sind wirklich traurig. Sie bedauern es, dass wieder ein kleines Traditionsgeschäft schließt.“ Das spreche aber auch für die Art und Weise, wie die Familie den Betrieb geführt habe. „Es bedeutet, wir haben vieles richtig gemacht“, sagt Schröder.

Die beiden Inhaber haben ihre Mitarbeiter bereits vor Monaten über die bevorstehende Schließung informiert. Viele haben mittlerweile Stellen in anderen Geschäften gefunden. Eine, die bis zum letzen Tag bleibt, ist Ivana Siegel. „Wir sind ihr dankbar, dass sie bis zum Schluss da ist“, sagt Ina Schröder. Ihren Kunden möchten die Geschäftsleute ebenfalls ihren Dank aussprechen. „Wir überlegen noch, wie wir uns am Samstag, 28. Juli, gebührend von ihnen verabschieden können“, sagt Schröder.