Viele Erwerbstätige empfinden seit Beginn der Coronapandemie mehr seelischen Stress als zuvor. Foto: imago images//AntonioGuillem

Vor allem in Pflegeberufen leiden viele Mitarbeiter seit Beginn der Pandemie unter verstärktem seelischem Stress – und denken auch über einen Berufswechsel nach.

Berlin - Die psychische Belastung der Beschäftigten in Deutschland hat infolge der Coronakrise deutlich zugenommen. Das ist das Ergebnis einer Befragung von 2500 Erwerbstätigen im Alter zwischen 20 und 65 Jahren für den neuen Fehlzeiten-Report der AOK, den die Verfasser in Berlin vorgestellt haben. Während etwa zu Beginn des Jahres 2020 kurz vor Ausbruch der Pandemie in Deutschland rund 69 Prozent der Befragten über emotionale Probleme wie Nervosität oder Niedergeschlagenheit berichtetet hatten, waren es nun 88 Prozent.

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Mit Blick auf die Fehlzeiten der bei der AOK versicherten Erwerbstätigen könne man zwei Tendenzen beobachten, sagte Helmut Schröder, der Mitherausgeber des Berichts. Einerseits seien die Krankmeldungen in allen Bereichen mehr oder weniger stark rückläufig, andererseits zeige die Kurve bei der Länge der Ausfallzeit nach oben. „Wir führen das darauf zurück, dass während der Pandemie Ärzte oftmals nur bei wirklich schweren Erkrankungen aufgesucht werden“, sagte Schröder.

Viele Corona-Infektionen in Pflegeberufen

Auch die Zahl der Corona-Infektionen variiert je nach Berufsgruppe erheblich. Am häufigsten meldeten sich seit Ausbruch der Pandemie AOK-Versicherte aus Pflege- und Erziehungsberufen wegen einer nachgewiesenen Infektion mit Covid-19 krank. Ganz oben stehen die Berufsfelder Gesundheits- und Krankenpflege (4,3 Prozent) sowie Kinderbetreuung (3,8). Am anderen Ende der Skala finden sich die Bereiche Landwirtschaft (0,5) und Hochschullehre (0,6).

Werden Berufsaustritte in der Pflege wahrscheinlicher?

Insbesondere im Pflegebereich sind die Belastungen infolge der Pandemie gestiegen. „Und das zum Teil in ziemlich großen Dimensionen“, sagte Kira Isabel Hower, die den Fehlzeiten-Report mitverfasst hat. Bei einer Online-Befragung unter Leitungspersonen aus ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen gaben zwei Drittel der Befragten an, dass die physische und psychische Belastung ihrer Mitarbeiter während der Coronakrise zugenommen habe. Auch mit einem Berufswechsel beschäftigen sich inzwischen immer mehr: 20 Prozent der Befragten gab an, oft oder sehr oft über die Aufgabe des Pflegeberufs nachgedacht zu haben – vor der Pandemie waren es 13 Prozent gewesen. „Berufsaustritte in der Pflege werden also wahrscheinlicher“, sagte Hower, „das ist ein Signal, das man sehr ernst nehmen muss – insbesondere in Kombination mit dem Fachkräftemangel.“

AOK-Chef enttäuscht von der Politik

AOK-Chef Martin Litsch forderte eine Nachbesserung bei der betrieblichen Gesundheitsvorsorge. „Diese Zahlen sind ein klarer Auftrag an die Arbeitgeber, ihre Bemühungen zu intensivieren“, sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands. Die Pandemie habe gezeigt, was im Arbeitsalltag in kurzer Zeit verändert werden könne – auch zum Guten. Enttäuscht äußerte sich Litsch indessen über den Stellenwert der Pflege in der Politik: „Diese kleine Pflegereform aus dem Sommer wird’s nicht wuppen. Ich finde es schade, dass das Thema im Wahlkampf kaum eine Rolle spielt.“