Schwere Lasten, die auf den Rücken gehen: Stuttgarter Müllwerker sind häufiger krank als andere Arbeitnehmer. Foto: dpa

Beschäftigte der Abfallwirtschaft in Stuttgart haben 2016 im Schnitt an 49,6 Tagen gefehlt, besagt eine Auswertung der AOK. Damit sind sind sie traurige Spitzenreiter. Aber woran liegt das – und was wird gegen den hohen Krankenstand getan?

Stuttgart - Sie wuchten schwere Tonnen und sind bei Wind und Wetter auf den Straßen unterwegs: Die Stuttgarter Müllwerker sind häufiger und länger krank als andere Arbeitnehmer. Das geht aus einer aktuellen Auswertung der Krankenkasse AOK Stuttgart-Böblingen hervor. Im Schnitt an 49,6 Tagen waren Beschäftigte privater und städtischer Betriebe im Entsorgungssektor in Stuttgart demnach im vergangenen Jahr krankgeschrieben. Das sind deutlich mehr Fehltage als noch 2014 mit 41,2 Tagen und deutlich mehr als im baden-württembergischen Durchschnitt der AOK-Versicherten in dieser Branche.

Im Stuttgarter Rathaus ist das Problem bekannt, die Quote sei schon länger konstant hoch – für alarmierend hält man sie trotzdem nicht. Die Fehlzeiten beispielsweise beim städtischen Entsorgungsbetrieb, der Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) mit 800 Mitarbeitern, lägen laut eigener Statistik unter den Werten der AOK, sagt Stadtsprecher Sven Matis: An durchschnittlich 35,5 Tagen hätten AWS-Mitarbeiter 2016 demnach gefehlt (2014:36,6) – ausgelassen sind dabei wie auch bei den AOK-Zahlen Erkrankungen bis zu drei Tage. „Die Kollegen des Eigenbetriebs haben einen Knochenjob“, sagt Matis. „Sie holen bei Wind und Wetter Mülltonnen ab und bringen sie zurück. In Stuttgart, wo es Steigungen bis 20 Prozent gibt, verdient das größte Wertschätzung.“

Auch bei der AWS ist man sich eines hohen Krankenstands bewusst – das sei ein branchenspezifisches Thema, sagt Sprecherin Annette Hasselwander. Wer Abfälle entsorge, sei „erheblichen körperlichen Belastungen“ ausgesetzt. Besonders zu kämpfen haben viele der Angestellten mit Rückenleiden. Dazu kämen die Wetterabhängigkeit der Müllwerker und Straßenreiniger und das mit 44,3 Jahren hohe Durchschnittsalter.

Stuttgarter Besonderheiten

Etwa die Hälfte derjenigen, die sich krankmeldeten, seien Langzeitkranke, heißt es von der AWS. Als solche gelten all jene, die länger als sechs Wochen krank sind. Sogenannte leistungsgeminderte Beschäftigte, die ein volles Arbeitspensum nicht mehr schaffen, können im öffentlichen Dienst weiterbeschäftigt werden. Die Stadt sei eben eine „soziale Arbeitgeberin“, sagt Sven Matis. „Wir respektieren, wenn Mitarbeiter wegen einer Erkältung nicht zum Dienst kommen können, und wir halten zu ihnen, wenn sie länger erkranken.“

Doch warum schneiden die Stuttgarter Müllwerker vergleichbare Arbeiter auch im landesweiten Vergleich schlechter ab? Rund zehn Tage fehlten sie nach AOK-Berechnungen im Jahr 2014 länger als im baden-württembergischen Schnitt. Bundesweit fehlten Mitarbeiter im Entsorgungssektor an rund 31 Tagen. Für 2016 liegen laut AOK zwar noch keine landesweiten Vergleichszahlen vor, aber: In Stuttgart ist die Abfallwirtschaft die Berufsgruppe mit den meisten Fehltagen – in anderen Städten im Land taucht der Entsorgungssektor unter den Top-Zehn-Berufsgruppen mit besonders hohem Krankenstand gar nicht auf.

Den vergleichsweise hohen Stand in diesem Sektor führen Stadt und AWS vor allem auf Stuttgarter Besonderheiten zurück. Von der „Topografie und den vielen Stäffele in Stuttgart“ ist da die Rede. Zudem bietet die Müllabfuhr in Stuttgart beispielsweise einen Vollservice an – die Mülltonnen werden direkt am Standplatz abgeholt, geleert und dann wieder zurückgestellt. In vielen anderen Städten müssten die Bewohner ihre Eimer selbst an die Straße stellen.

Gesundheitsmanagement soll umgesetzt werden

Seit Jahren versucht die AWS, den hohen Krankenstand gezielt zu reduzieren. Von einem „strategischen Gesundheitsmanagement“ spricht Annette Hasselwander und betont, es gebe bereits gezielte Schulungen, Gesundheits- und Fitnessangebote, bessere Schutzkleidung und den Einsatz moderner, technischer Hilfsmittel. Angebote und Übungshilfen gebe es schon, sagen auch zwei Müllwerker, nur müsse man sich nach dem langen, schweren Arbeitstag erst einmal zu den Rückenübungen aufraffen. „Die Senkung des Krankenstands ist Daueraufgabe und braucht einen langen Atem“, sagt die Sprecherin.

Im Rathaus wird nun eine Stelle für das neue Sachgebiet „Gesundheitsmanagement, Aus- und Fortbildung“ ausgeschrieben. Man wolle, dass die Mitarbeiter gesund zum Dienst kämen, um den „Service für die Bürger“ leisten zu können, sagt Sven Matis. Von der Umsetzung eines nachhaltigen Gesundheitsmanagements vor dem Hintergrund eines laufenden Restrukturierungsprozesses in der Abfallwirtschaft ist da die Rede. Diese Restrukturierung wurde bereits 2008 vom Gemeinderat beschlossen und fordert unter anderem „die Reduzierung der Krankenquote und die Senkung des Anteils leistungsgeminderter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“. Mithilfe des neuen Sachgebiets Gesundheitsmanagement wolle man „Verbesserungen im gesundheitlichen Bereich erreichen“, so Hasselwander.

Ein Viertel der Mitarbeiter fehlt immer

In den Betriebsstellen der städtischen Entsorgung werde die hohe Fehlquote immer mit eingeplant, schließlich sei das kein neues Phänomen, sagt ein AWS-Mitarbeiter aus Vaihingen. 61 Mitarbeiter gibt es hier, etwa ein Viertel davon fehle quasi permanent, heißt es – sei es durch Krankheit oder Urlaub. Ein paar Beschäftigte seien daher immer als Reserve gerechnet, kurzfristig helfe in Zeiten gehäufter Krankenfälle jemand von einer anderen Betriebsstelle aus, oder die Vorarbeiter führen ausnahmsweise mit. Nur wenn jemand längerfristig ausfalle, würden zusätzlich Leiharbeiter eingestellt, denn der Bewerbungsprozess über die Stadt dauere lang. Für die Sauberkeit in Stuttgarts Straßen und für die Leerung der Mülltonnen sei trotzdem gesorgt, sagt der AWS-Mitarbeiter: Darauf habe der hohe Krankenstand keine spürbaren Auswirkungen..