Peter Hein bei einem Auftritt 2017 in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

In der Reihe „Playtime“, bei der in der Esslinger Dieselstraße legendäre Popalben wiedergehört und diskutiert werden, ging es diesmal um „Monarchie und Alltag“ von den Fehlfarben. Als Experte war ein berufener Gast dabei: Peter Hein, der Bandsänger.

Esslingen - Nicht ganz vierzig Jahre ist es her, da war Deutschland plötzlich ganz vorne. Da gab es eine Platte aus Düsseldorf und Wuppertal, die nah am Puls der Zeit stand und im Regal gleich neben all den Postpunk-Ikonen aus England. Im Oktober 1980 veröffentlichten Fehlfarben ihr Debüt; bis heute ist „Monarchie und Alltag“ ein Meilenstein, ein Album, auf das sich alle einigen können. Kein Kritiker, der es nicht als eines der besten deutschsprachigen Alben werten würde, wenn nicht als bestes.

Und beim Wiederhören wird augenblicklich klar, weshalb das so ist. Peter Heins Stimme zittert über der Musik, hysterisch, traurig, wild. „Paul ist tot, kein Freispiel drin. Ein Fernseher läuft, tot und stumm. Und ich warte auf die Frage, die Frage: Wohin?“ Elf Songs befinden sich auf „Monarchie und Alltag“, jeder von ihnen eine solche Frage, die bitter und schneidend Befindlichkeiten bloßlegt, Sensibilität aufdeckt.

Ein altes Konzert flimmert auf einem Röhrenfernseher

Fehlfarben kamen vom Punk her, aber sie waren längst über ihn hinaus. Sie hatten sich infiziert mit Ska, New Wave und Psychedelic. Thomas Schwebels Gitarre spielte nervös zuckendes, synkopiertes Staccato, Uwe Bauers Schlagzeug setzte hämmernd ein, Michael Kemners Bass klopfte an, unglaublich tief. Dann das Saxofon von Frank Fenstermacher: Der musikgewordene Grauschleier, ein klagendes, hohles, hallendes Industriehorn, das aus dem Groove auftauchte und wieder in ihm versank. Und Peter Hein, der jammernd, schreiend, wortreich ein Denkmal errichtete für die trostlosen Jugendhäuser, die dreckigen Wohnsiedlungen der späten deutschen 1970er Jahre.

Ein Fernseher, ein kleines, altes Röhrengerät, läuft auf der Bühne, tot und stumm, während das Publikum im Esslinger Kulturzentrum Dieselstraße am Donnerstagabend auf Peter Hein wartet. Ein altes Konzert der Fehlfarben flimmert auf der Mattscheibe. Als Hein schließlich eintrifft, steigt er zunächst nicht auf die Bühne hinauf, sondern setzt sich erst einmal auf ein Sofa, um sich „Monarchie und Alltag“ anzuhören.

Premiere bei dem Esslinger Format

„Playtime“ – so heißt die Reihe. Akteure der Kulturszene stellen dabei ihre Lieblingsplatten vor und sprechen über sie. Marc Engenhart und Duc Thi Bui haben das Format entwickelt. Dass der Urheber einer Platte selbst mit dabei ist, das gab es bisher noch nie: Premiere.

Peter Hein, das stellt sich allerdings heraus, als alle sich schließlich doch auf die Bühne begeben haben, hört sich das eigene Album gar nicht gerne an. „Es ist furchtbar“, sagt er. „Eigene Platten zu hören ist einfach das Schlimmste.“ Nur manchmal macht es ihm doch Spaß – zum Beispiel in Esslingen: „Mit euch zusammen hatte das schon eine gewisse Wucht“, gesteht er.

Neben Peter Hein, Marc Engenhart und Duc Thi Bui diskutieren: Reiner Pfisterer, Musikfotograf aus Ludwigsburg, und Stefanie Rhein, Soziologin an der PH Ludwigsburg; sie befasst sich mit dem Rezeptionsverhalten von Jugendlichen und Erwachsenen und liest, früh am Abend, als Ouvertüre gewissermaßen, die Liner-Notes vor, die der Journalist Peter Glaser für die Neuauflage von „Monarchie und Alltag“ schrieb: „Gegenüber der feuchtromantischen Blümelei der 1970er waren die Gefühle der 80er Jahre scharf, entschieden und asymmetrisch.“

Auf die Zeit, den Ort, die Stimmung, auf all das, was zusammenkam, um ein wahrhaft großes Album entstehen zu lassen, kommt das Gespräch immer wieder – und Peter Hein windet sich, höhnt und scherzt, weicht aus, spielt zuallermeist den fröhlichen Diskursverweigerer, wird nur manchmal knapp und plötzlich ernst. „Schlimm!“, ruft er theatralisch. „Ich will nicht nachdenken! So war das damals. So sind wir. Mehr war da nicht. Da ist kein großes Geheimnis. Das war alles nur ein Riesenblödsinn!“ Ein Platte von Kindern für Kinder, sagt er, das sei „Monarchie und Alltag“ gewesen – „Wir haben nur so getan, als würden wir Erwachsenenmusik spielen.“ Aber dann, aber doch: „Ja, vielleicht waren wir gut.“

Kein Fan von aktuellem Austropop

Ihre Vorbilder, erzählt er, hießen Joy Division, Buzzcocks, The Jam und Wire. Dass auf Deutsch gesungen wurde, wurde nicht diskutiert und war eigentlich eher ein Betriebsunfall: „Auf Englisch haben wir das nicht auf die Reihe bekommen. Wir haben gemacht, was wir konnten, so laut es ging. So einfach war das. Oder auch nicht.“

Peter Hein ist 63 Jahre alt, arbeitete all die Jahre für eine Düsseldorfer Kopierfirma, spielte nebenher auch bei Family Five, war vor Fehlfarben gemeinsam mit Gabi Delgado López Sänger der Punkband Mittagspause. Will man ihn richtig in Rage bringen, dann fragt man ihn, ob die Musik sein Hobby sei. Als sein Brotberuf der Rationalisierung zum Opfer fiel, zog er nach Wien. Mit dem bekannten Austropop der Gegenwart hat er nicht viel am Hut – „Bilderbuch? Wanda?“ Peter Hein scheint schlimme Schmerzen zu erleiden. „Die magst du ja mögen, aber ich nich!“ Staatlich geförderte Rockmusik ist ihm ein Graus: „Senatsrock!“

„Freunde werden überschätzt“

Gesangsunterricht nahm er nie, und als Gitarrist scheiterte er: „Ich möchte nicht unterrichtet werden. Ich bin auch gegen das Studieren.“ Alle Jahre wieder geht er mit Fehlfarben noch auf die Bühne und spielt die alten Lieder. Und er gibt zu: „Das haut einen ab und zu immer noch von den Socken, weil wir jetzt natürlich andere Musiker sind.“

Eine Zuschauerin fragt ihn zuletzt, ob er überhaupt Freunde habe im Leben. „Freunde werden überschätzt“, sagt Peter Hein. Ironie ist längst anderswo, aber „Monarchie und Alltag“ klingt immer noch gut.