US-Notenbank-Präsidentin Janet Yellen leitet den Rückgang zur Normalität ein Foto: dpa

Die US-Notenbank Fed geht einen mutigen Schritt in Richtung Normalität. In Europa wird man davon auf lange Sicht nur träumen können, meint unser Kommentator Klaus Köster.

Stuttgart - Seit vielen Jahren sind die Leitzinsen fast in aller Welt am Boden. Denn nach dem Ausbruch der Finanzkrise öffneten die Notenbanken die Schleusen, damit den Banken und ganzen Staaten das Geld nicht ausgeht. Doch mit der Geldpolitik ist es wie mit vielen Medikamenten: Bei Dauergebrauch werden die Nebenwirkungen immer stärker, und der angestrebte Effekt schwächt sich ab. Inzwischen hat die Weltwirtschaft auch dieses Stadium längst verlassen. Die Geldpolitik wirkt heute wie eine Droge, die Aktienmärkte aufputscht und abhängig macht. Deshalb ist es sehr mutig, dass die US-Notenbank Fed nun ernst macht und die Dosis vorsichtig reduziert. Die Zinswende markiert eine Zeitenwende.

Es wäre wünschenswert, dass die Fed damit der Euro-Notenbank EZB den Weg vorgibt. Doch von einem Kurswechsel ist die EU noch weit entfernt – im Gegenteil: Erst Anfang des Monats verlängerte EZB-Chef Mario Draghi das billionenschwere Anleihenkaufprogramm und löste damit einen Kursrutsch aus, weil die Aktienmärkte noch mehr Billiggeld erwartet hatten. Zusätzlicher Stoff reicht den Kapitalmarkt-Junkies heute nicht mehr aus. Die Dosis muss schon kräftig steigen, sonst beginnen sie zu zittern.

Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Dauertherapie werden immer größer: Für viele Menschen bricht mit dem Zins ein Teil ihrer Altersvorsorge zusammen; viele Firmen können die Betriebsrenten kaum noch finanzieren, und der Wert der Ersparnisse schmilzt dahin: Das Sparen wird zur Untugend. Nur die Aktien- und die Immobilienmärkte brummen, befeuert durch das billige Geld. Doch der Börsenboom ist genauso künstlich wie das Geld, das ihn finanziert.

Teufelskreis der Tatenlosigkeit

Immerhin – die deutsche Wirtschaft schnurrt vor sich hin. Doch auch dieser Boom ist nicht ganz echt, denn der niedrige Euro macht die deutschen Exporte im Ausland günstiger. Die deutsche Wirtschaft erscheint stärker als sie ist. Eine Rückkehr in Richtung Normalität wird es aber schon deshalb nicht geben, weil EU-Schwergewichte wie Frankreich und Italien dann unter der Last ihrer Schulden zusammenbrechen würden. Und weil sie wissen, dass Europa das nicht zulassen wird, unternehmen diese Länder seit Jahren viel zu wenig, um Schulden abzubauen, weshalb wiederum die Zinsen unten bleiben. Ein Teufelskreis der Tatenlosigkeit, der die EU spaltet. Anders als in den USA sind die Einzelstaaten in der EU finanzpolitisch sehr eigenständig. Doch solange die EU kein Mittel findet, um in den einzelnen Staaten finanzpolitische Disziplin durchzusetzen, wird sie von Draghis Drogen nicht loskommen.